Wie lange die Aufarbeitung von erlebtem Unrecht dauern kann, lässt sich am Beispiel des Möbelhauses IKEA schildern. In der DDR wurden in den 1970er und 1980er Jahren Möbel für das Unternehmen teils von politischen Häftlingen produziert. Als das öffentlich bekannt wurde, leitete IKEA 2012 eine unabhängige Untersuchung ein, später kamen wissenschaftliche Studien zur DDR-Zwangsarbeit hinzu. Im vergangenen Herbst, genauer im Oktober 2024, sagte IKEA eine Entschädigung zu und erklärte, dem bundesweiten Härtefallfonds für Opfer der SED-Diktatur sechs Millionen Euro zur Verfügung zu stellen.
Knapp 35 Jahre nach der deutschen Vereinigung zog die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke am Dienstag in Berlin mit Blick auf die Aufarbeitung Bilanz und lobte IKEA. „Es geht nicht um Schuld oder Buße. Nein, es geht uns um gegenseitigen Respekt und Wertschätzung“, sagte sie. Die Menschen in den DDR-Gefängnissen „mussten diese Haftzwangsarbeit unter menschenunwürdigen Bedingungen leisten“. Es habe keinen ausreichenden Arbeitsschutz gegeben, keine ausreichende medizinische Behandlung. Viele westdeutsche Firmen hätten solche Produkte gekauft. IKEA habe aber moralische Verantwortung übernommen, denn „juristisch kann man kein Unternehmen heutzutage mehr heranziehen“. Sie sei IKEA dafür sehr dankbar.
Der Jahresbericht 2025 der SED-Opferbeauftragten nimmt die Menschen in den Blick, die in der DDR politisch verfolgt wurden und teils bis heute gesundheitlich leiden. Nicht zufällig fiel die Veröffentlichung mit dem Jahrestag des DDR-Volksaufstands am 17. Juni 1953 zusammen, der gewaltsam niedergeschlagen wurde. Die frühere DDR-Bürgerrechtlerin, die seit 2021 die erste Bundesbeauftragte dieser Art ist, geht insgesamt von etwa 250.000 DDR-Haftopfern aus.
Viele Opfer von Zwangsdoping
Ausführlich ging Zupke auch auf die Opfer des DDR-Sportsystems ein, „die bis heute an den körperlichen und seelischen Folgen des Zwangsdopings leiden“. Sie forderte eine breitere öffentliche Aufarbeitung des DDR-Staatsdopingsystems. „Unser Blick fällt viel zu häufig nur auf die Olympiasieger. Das DDR-Sportsystem hat jedoch eben nicht nur Medaillen und Weltmeister produziert“, sagte sie. Es sei ebenso verantwortlich für Tausende Menschen, die bis heute an den körperlichen und seelischen Erkrankungen des Zwangsdopings litten. Die Opfer seien „verheizt und ohne eigenes Wissen und das Wissen ihrer Eltern dem Medaillenhunger des SED-Regimes geopfert“ worden, sagte Zupke.
Am Vormittag hatte die Beauftragte ihren Jahresbericht an Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) überreicht. Darin heißt es: „Oftmals führte die Verabreichung von Dopingpräparaten zu langfristigen und gravierenden Gesundheitsschäden.“ Von den Betroffenen lebten heute noch rund 8.000 bis 10.000 ehemalige Sportlerinnen und Sportler, hieß es anschließend bei der Vorstellung des Berichts.
2019 sei jedoch das zweite Dopingopfer-Hilfegesetz ausgelaufen – seither gebe es „kein geeignetes Instrument mehr, um die Betroffenen adäquat zu unterstützen“, bemängelt der Bericht zudem. Nur in Thüringen lebende Betroffene könnten bei wirtschaftlicher Bedürftigkeit Hilfen aus einem Härtefallfonds beantragen. Zudem sei nur wenigen Betroffenen bisher überhaupt eine Rehabilitierung zuerkannt worden, die Voraussetzung für finanzielle Entschädigungen sei. Im Herbst will Zupke dem Bundestag daher einen Bericht über die Situation der Dopingopfer mit Handlungsempfehlungen vorlegen. Auch generell sei bisher „die breite Mehrheit der Betroffenen von politischer Gewalt bei der Anerkennung ihrer verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden“ gescheitert, kritisierte die Opferbeauftragte.
Gedenkstätte einrichten
Lob gab es vonseiten der Opferbeauftragten für ein Anfang des Jahres vom Bundestag und Bundesrat beschlossenes Gesetz, das die Opferrente erhöht und die Anerkennung von verfolgungsbedingten Gesundheitsschäden erleichtert hat. Opfer von Zwangsaussiedlung hätten eine Einmalzahlung erhalten, der bundesweite Härtefallfonds sei auf den Weg gebracht worden. Der Bundestag habe „den Paradigmenwechsel im Umgang mit den Opfern der SED-Diktatur eingeleitet“, sagte sie.
Zupke forderte zugleich, Teile des 500 Milliarden Euro schweren Sondervermögens Infrastruktur für Gedenkstätten einzusetzen. Sie betonte: „Für mich sind die Gedenkstätten Teil der kritischen Infrastruktur unserer Demokratie.“
Thüringens Ministerpräsident Mario Voigt (CDU) sagte dem Tageblatt ebenfalls: „Wer unter der Repression des SED-Regimes gelitten hat, soll auch künftig Wertschätzung und gesellschaftliche Anerkennung für sein persönliches Schicksal erfahren. Ihre Geschichte ist ein Vermächtnis, das wir gerade jungen Menschen weitergeben müssen – damit Unrecht nie wieder Raum greifen kann.“
De Maart
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