Mittwoch5. November 2025

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StandpunktWarum eine Tracing-App unumgänglich ist – und besser kommuniziert werden muss

Standpunkt / Warum eine Tracing-App unumgänglich ist – und besser kommuniziert werden muss
Virologe Claude Muller wünscht mehr Präzision in der Darstellung und Auflösung des Infektionsgeschehens  Foto: Fabrizio Pizzolante/Editpress-Archiv

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Seit Mitte Juni liegt die effektive Reproduktionszahl über eins. Der Anstieg sei noch linear, hieß es lange aus dem Gesundheitsministerium. Die Fallentwicklung der letzten Wochen passte jedoch schnell zum exponentiellen Verlauf einer zweiten Welle, allerdings mit einer langsamen Verdopplungszeit von acht Tagen. Die zweite Welle kam unerwartet früh.

Kamen die Lockerungen nach dem Lockdown zu früh oder zu schnell? Nein, aber sie gingen offenbar zu weit. Die Strategie, nach und nach zu lockern, machte Sinn, wenn man wusste, wie weit man gehen möchte. Lockert man auf Sicht, bis die Zahlen hochgehen, dann gehen die Zahlen eben irgendwann hoch.

Im günstigsten Fall sind die steigenden Fallzahlen der letzten Woche nur ein heilsamer Schuss vor den Bug, der die Grenzen der Lockerungen aufzeigt und die Spaßmacher und Partygänger daran erinnert, dass wir (immer noch) mitten in einer Pandemie sind – genau wie vor dem Lockdown. Mit Hinweis auf diese Entwicklung kann die Regierung der Forderung nach weiteren Lockerungen jetzt leichter widerstehen – auch gegenüber dem Staatsrat.

Aus epidemiologischer Sicht wäre es dringend erforderlich gewesen, die Umstände der Infektionen und die (landesspezifischen) Profile und Risiken der Patienten bereits frühzeitig während des Lockdowns zu erfassen und auszuwerten (LW 11.4.2020; TB 23.5.2020). Nur so wäre es möglich gewesen, Einschränkungen dort zu belassen, wo Infektionsherde zu erwarten sind, und gezielt zu lockern, wo das Infektionsrisiko gering ist. Leider sind die erforderlichen Datenerhebungen aber erst sehr spät – nach Ende des Lockdowns – angelaufen, wie das Gesundheitsministerium vor der Chamber einräumte.

Infektionsrisiko im Privaten am höchsten

Heute wissen wir, dass das Infektionsrisiko im Privaten am höchsten ist. Dort, wo es „nur“ um Spaß und Geselligkeit geht, sind Restriktionen am besten zu verschmerzen. Im Gegensatz zum gewerblichen Bereich, wo die Infektionen sich in Grenzen halten und Restriktionen Wirtschaft und Gesellschaft strangulieren. Ein besonderes Augenmerk ist dabei auf den Horesca-Bereich zu richten, der zwar besonders leidet; aber gleichzeitig hört und sieht man Schlimmes gerade an dieser Nahtstelle zwischen Privatem und Gewerblichem. Die neuen Maßnahmen der Regierung tragen dem z.T. Rechnung. Diese sollten hinnehmbar sein, denn junge gesellige Menschen sind schließlich am härtesten von den wirtschaftlichen Folgen betroffen, auch wenn ihr gesundheitliches Risiko niedriger ist.

Um Infektionsketten im Privaten zu bremsen, sollen Staat und Gemeinden auch öffentliche Quarantänemöglichkeiten zur Verfügung stellen für Menschen, die sich zu Hause oder in Sammelunterkünften nicht isolieren können (TB 23.5.20). Auch reverse Quarantäneeinrichtungen wären sinnvoll für vulnerable Menschen, die gesund sind, aber die durch Mitbewohner einem erhöhten Risiko ausgesetzt sind.

Wie die Berichte aus dem Ausland zeigen, kommt der kommunalen Ebene eine wichtige Rolle bei der Virusbekämpfung zu. Kenntnisse über die geografische Verbreitung des Virus sind deshalb hilfreich und sollten regelmäßig veröffentlicht werden, wie bereits angeregt (LW 18.3.20). In diesem Sinne ist die kantonale Kartierung, wie sie jetzt vorliegt, der richtige Weg, sollte aber durch eine Gemeindekarte ergänzt werden. Die Gemeinden haben die erforderlichen Kenntnisse der lokalen Verhältnisse, die Akzeptanz der Bürger und die Bürgernähe, um gezielt zu intervenieren. Sowohl bei Einzelfällen wie auch bei zusammenhängenden Transmissionsketten etwa in Schulen, Betrieben, Sammelunterkünften könnten die Gemeinden Maßnahmen des Ministeriums dezentral und komplementär – etwa durch gezielte Aufklärung und Beratung – unterstützen.

Strategien hängen am Kontakt-Tracing

Der Verlauf der Pandemie hängt wesentlich vom Erfolg des Kontakt-Tracings ab. Sämtliche Modelle und Strategien von Uni.lu/LIH sind eng an die Tracing-Kapazität geknüpft. Das manuelle Tracing stößt aber gerade dann an seine Grenzen, wenn es am nötigsten gebraucht wird. In Erwartung einer zweiten Welle musste dies antizipiert werden. Deshalb ist die Unterstützung durch eine entsprechende Tracing-App unumgänglich. Mit falschen Argumenten („j´aime pas“, „gibt falsche Sicherheit“, „Datenmissbrauch“) hat die Regierung die Latte für deren Verwendung sehr hoch gelegt. Wie von verschiedenen Seiten angeregt, hätte die Vorbereitung der Bevölkerung auf eine geeignete App bereits frühzeitig zu der nötigen Akzeptanz führen können.

Auch die EU-Kommission hat sich für die Verwendung von Tracing Apps mit anonymer Nutzung, ohne Standorterfassung, und grenzüberschreitender Datenkompatibilität ausgesprochen. Die luxemburgische Datenschutzkommission hat die RKI-App bereits aus eigener Initiative als unbedenklich eingestuft. Es ist fraglich, ob die App bereitsteht, wenn das manuelle Tracing überfordert ist. Zu viel wertvolle Zeit wurde vertan. Auch einfache Bluetooth-Geräte, die ohne Handy und Datenspeicherung bei zu geringem Abstand einen Warnton von sich geben, sind durch das App-Bashing in Verruf gekommen. Dabei könnten diese wertvolle Dienste in Altersheimen, Firmen und Schulen leisten. Man kann also nur hoffen, dass die Regierung rasch die gleiche 180-Grad-Wende hinlegt wie bei den Masken („bréngt näischt“, „sind gefährlich“; TB 8.4.2020), die jetzt zum festen Bestandteil der Covid-Maßnahmen zählen. Immerhin wurde jetzt die Empfehlung (TB 22.3.2020) aufgegriffen, mit Stift und Papier eigene Kontakte zu notieren.

Eine ausreichende Tracing-Kapazität ist auch entscheidend für den Erfolg des Large Scale Testing (LST). Dieses macht immerhin drei Viertel der täglichen Tests und 13 Prozent der direkt positiv Getesteten aus. Hinzu kommen aber noch deren positiv getestete Kontaktpersonen. Es ist daher befremdlich, wenn es heißt, dass eine App nicht erforderlich sei, weil so viel getestet wird. Eine entsprechende Aufschlüsselung der Zahlen, besonders auch der asymptomatischen, wäre für die Teilnahme am LST sehr motivierend.

Mit chirurgischer Präzision gegen das Virus

Es ist diese hohe Auflösung des Infektionsgeschehens, die wir brauchen, um mit chirurgischer Präzision gegen das Virus vorzugehen, etwa bei bestimmten Infektionsclustern in Schulen, Altersheimen oder Betrieben, ohne die großen Streueffekte der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Kollateralschäden eines Lockdowns. Mini- und Mikro-Lockdowns müssen die neue Normalität sein, eine Form von personalisierter öffentlicher Gesundheit, in der jeder Bürger ein hohes Maß an Eigenverantwortung trägt.

Wie die Regierung richtig betont, ist der Rollback die Zeit für kollektive und individuelle Verantwortung für sich selbst und die anderen. Effektive Eigenverantwortung kann aber nur wahrnehmen, wer ausreichend informiert ist. Zahlen zu den Tests und Neuinfektionen sollten deshalb deutlich kategorisiert und kommuniziert werden, auch nach Testanlass, Gemeinden, Risikofaktoren, Symptomatik, Kontakt-Tracing usw., um den Sichtflug transparent zu machen und den steigenden Bedarf an Glaubwürdigkeit zu decken.

*Prof. Muller arbeitet seit 25 Jahren am Luxembourg Institute of Health in der Überwachung von Viren und Virusepidemien in Dutzenden Ländern Afrikas, Asiens und Europas

Laut Claude P. Muller sind die Modelle und Strategien im Kampf gegen das Virus eng an die Tracing-Kapazität geknüpft. Unser Archivfoto zeigt Mitarbeiter der Abteilung für Contact Tracing bei der „Inspection sanitaire“ im Mai.
Laut Claude P. Muller sind die Modelle und Strategien im Kampf gegen das Virus eng an die Tracing-Kapazität geknüpft. Unser Archivfoto zeigt Mitarbeiter der Abteilung für Contact Tracing bei der „Inspection sanitaire“ im Mai. Foto: Fabrizio Pizzolante/Editpress-Archiv
Jean-Marie Grober
24. Juli 2020 - 16.03

War das nicht der Herr Professor, der vorschlug, alle Infizierten sollten eine "rote Mütze" tragen, um sich kenntlich zu machen? Wir sind nur noch einen kleinen Schritt vom Überwachungsstaat entfernt. Mit "Tracing Apps" und "Isolierung" respektiv "Quarantäne" in spezifischen Räumlichkeiten (Lager?) wird's immer enger. Um nicht falsch verstanden zu werden: ich habe mich an die Regeln gehalten, habe Masken getragen (obwohl ich diese Sch....masken hasse), habe Social Distancing praktiziert, so gut es ging usw. Mit dem Resultat, dass ich jetzt bei drei Tests (Rachen-, Nasenabstrich und Blutanalyse mit Antikörpertest) jeweils negativ war. Allerdings wird es jetzt so langsam kritisch mit diesen Endzeitaussagen! Ich rate eindringlich all diesen Experten, Professoren, Doktoren, Virologen und Epidemilogen: Macht eure Arbeit (am besten alle zusammen), bleibt in euren Laboratorien, bis ihr endlich Medikamente und Impfsera gefunden habt, und endlich klare Erkenntnisse über dieses Virus gewonnen habt. Dann könnt ihr euch in den Medien ausbreiten und habt den Respekt der Menschen!

Tom
24. Juli 2020 - 15.53

Also wann esou eng App kommen sollt dann hun ech keen Smartphone mei, vlait nemmen nach esou en aalen Nokia 32/10 oder 33/10.
Hun nach emmer een an enger Kescht an den Akku och

Heeber
24. Juli 2020 - 13.32

@ maria

"hun keen handy a keng app. a well keen. basta"

Leit wéi Dir maachen dat analog, Dir féiert e Buch wou der aschreift, wien Der, wéini, wou begéint hutt.

maria
24. Juli 2020 - 10.53

hun keen handy a keng app. a well keen. basta