Uni.lu-Forscher Josip GlaurdićWarum die Sanktionen des Westens gegenüber Russland keine Wirkung zeigen

Uni.lu-Forscher Josip Glaurdić / Warum die Sanktionen des Westens gegenüber Russland keine Wirkung zeigen
Der Westen muss laut Josip Glaurdić allem voran klarstellen, was er überhaupt mit den Sanktionen zu erreichen versucht  Foto: Editpress-Archiv

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Die Ukraine-Krise verschärft sich immer weiter: Der Westen regiert auf Russlands Aggression mit einer Reihe an Sanktionen – doch Moskau scheint sich davon überhaupt nicht beeinflussen zu lassen. Der Politikwissenschaftler der Uni.lu Josip Glaurdić erklärt, warum Sanktionen bislang zahnlose Tiger sind.

„Russland ist für die EU zunehmend problematisch geworden“: Mit diesen Worten beginnt ein 30-seitiger Bericht des Europaparlaments vom Februar 2022. Der Bericht nimmt vergangene Sanktionen des Westens  gegenüber Russland unter die Lupe und analysiert sie auf ihre Wirksamkeit hin. Aufgrund des drohenden Kriegs in der Ukraine haben die EU, die USA, Großbritannien sowie Kanada abermals Sanktionen gegenüber Russland verkündet. „Sie [Sanktionen] sind die Alternative zwischen Worten und Krieg“, sagt John Smith, ein ehemaliger hochrangiger US-Sanktionsbeamter gegenüber dem Radiosender Deutsche Welle. Die große Frage ist aber, ob diese Sanktionen wirklich ausreichen, um einen Krieg zu verhindern.

LINK Wie genau diese Strafmaßnahmen der EU aussehen, erfahren Sie hier.

Der Professor und Leiter des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Luxemburg, Josip Glaurdić, erklärt gegenüber dem Tageblatt, dass es eine ganze Bandbreite an Sanktionen gebe, die ein Staat einsetzen könne: Diese reiche „vom Einfrieren von Vermögenswerten einzelner Personen bis hin zum Ausschluss ganzer Staaten von der Teilnahme an der internationalen Wirtschaft“. Wie wirksam Sanktionen tatsächlich seien, könne man aber nicht verallgemeinern. „Je nach Art der Sanktionen reichen sie von hochwirksam bis zu kontraproduktiv“, analysiert Glaurdić.

Dort zuschlagen, wo es wirklich wehtut

Die wahre „Challenge“ bestehe laut Glaurdić darin, „das richtige Paket von Sanktionen zu schnüren, das genau die richtigen Leute trifft“. Das werde allerdings nur selten auch so umgesetzt. Im Falle der Ukraine-Krise sei es allerdings eher möglich als in anderen Fällen, „weil Putin und sein innerer Kreis von Kleptokraten so abhängig vom Geld sind, das sie im Westen aufbewahren“, erklärt der Politikwissenschaftler.

Laut Glaurdić gibt es einige, wie z.B. den russischen Oppositionsführer Alexej Nawalny (Zusatz vom Tageblatt), die meinen, man müsse lediglich das Vermögen aller russischen Oligarchen einfrieren, die als Strohmänner Putins dienen. Nur so könne man eine andere Reaktion des Kreml erreichen. Glaurdić ist allerdings nicht von dieser Vorgehensweise überzeugt. Er glaubt, dass große Teile westlicher Volkswirtschaften die Hauptlast „echter Sanktionen“ tragen müssten, um wirklich etwas zu bewirken. „Sanktionen sind dann wirksam, wenn sie die richtigen Akteure dort treffen, wo es ihnen wirklich wehtut, wenn sie keine Schlupflöcher haben und wenn ein klares Endspiel in Sicht ist“, meint Glaurdić.

Bisher sehe der Wissenschaftler allerdings keinen dieser drei Punkte erfüllt. Demnach würde Putin und seinem inneren Kreis nicht genug geschadet, um ein Umdenken ihrerseits zu bewirken. Zudem sehe er auch nicht, was der Westen letztendlich mit seinen Sanktionen erreichen will. Ist es ein Status quo ante in Bezug auf die Ukraine? Oder etwa ein Regimewechsel in Moskau?

Der Westen braucht ein klares Ziel

Der Westen brauche ein klar definiertes Ziel und müsse dementsprechend handeln und seine Maßnahmen auch danach ausrichten. Ist dies nicht der Fall, „wird das alles nur Theater sein“, bei dem die Politiker zwar handeln würden, aber dennoch keine wirkliche Verpflichtung zu irgendetwas bestehe. „Diese Art von Theater hat uns in die Situation gebracht, in der wir uns heute befinden“, sagt Glaurdić.

Der Westen müsse „ein komplexes Spektrum“ an Maßnahmen ergreifen, um Russland Einhalt zu gebieten. Wie etwa: verschiedene Formen von Sanktionen, diplomatische Verhandlungen, die Festigung des NATO-Bündnisses sowie die Präsenz und das Ausrüsten von Truppen in Osteuropa.

Sanktionen sind dann wirksam, wenn sie die richtigen Akteure dort treffen, wo es ihnen wirklich wehtut, wenn sie keine Schlupflöcher haben und wenn ein klares Endspiel in Sicht ist

Josip Glaurdić, Politikwissenschaftler

Alexej Nawalny bezeichnet die westlichen Sanktionen als „schreckliche Enttäuschung“, wie aus dem Schreiben des Europäischen Parlaments hervorgeht. Dabei führt er die Finanzlobbys als einen der Gründe an, warum die westlichen Regierungen so zögerlich agieren würden, wenn es darum gehe, weitere Oligarchen zu sanktionieren. Darüber hinaus würden die Sanktionslisten der EU und der USA mehrheitlich Namen von russischen Regierungsbeamten und Sicherheitskräften, mit nur geringem Einfluss auf Entscheidungsträger, enthalten. Zudem besäßen die Betroffenen in der Regel kaum Vermögen im Westen und würden daher nicht sonderlich hart von den Sanktionen getroffen werden.

Sascha Lohmann, Wissenschaftler der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) vom Deutschen Institut für Internationale Politik und Sicherheit, meint hingegen gegenüber Deutsche Welle, man könne Russland mit den richtigen Sanktionen sogar erheblichen Schaden zufügen: „Man könnte die russische Wirtschaft mit bestimmten Sanktionen in zwei oder drei Monaten in den Abfluss spülen, aber das wäre so, als würde man sagen, die Operation war erfolgreich, aber der Patient ist tot“.

Russische Öffentlichkeit wenig beeindruckt

Es gibt Theorien, denen zufolge Sanktionen indirekt Druck auf Regierungen ausüben: Die Bevölkerung werde aufgrund der Sanktionen wirtschaftliche Schäden erleiden, woraufhin sie ab einem gewissen Punkt Veränderung fordern würde. Das geht aus dem Bericht des Europäischen Parlaments hervor. In der Praxis realisiere sich das allerdings eher selten – im Gegenteil: Die öffentliche Meinung sanktionierter Länder neige öfter dazu, verstärkt für die eigenen Machthaber Partei zu ergreifen und dem internationalen Druck zu trotzen.

Das sei beispielsweise 2017 der Fall gewesen, als Putin kurz nach der Auferlegung neuer Sanktionen gegen Russland mit Zustimmungswerten von 70 Prozent gepunktet habe. Der Bericht erwähnt zudem eine Umfrage (Werte vom Dezember 2021), die besagt, dass die Sanktionen der Mehrheit der russischen Einwohner kaum (31 Prozent) bzw. überhaupt keine Sorgen (35 Prozent) bereiten.

Diese Art von Theater hat uns in die Situation gebracht, in der wir uns heute befinden

Josip Glaurdić, Politikwissenschaftler

„In einer idealen Welt wären die Sanktionen ein klares Signal an die andere Seite, dass sie ihr Verhalten ändern muss“, sagt Glaurdić. In diesem Fall würden sie das Putin-Regime dazu bewegen, seine Strategie bezüglich der Ukraine aufzugeben. „Mit den bisher angekündigten Sanktionen ist das nicht zu erwarten“, meint der Politikwissenschaftler, und weiter: „Aus ukrainischer Sicht besteht die Befürchtung, dass die Teilsanktionen zum Feigenblatt für das Ausbleiben einer echten Reaktion des Westens werden.“

„Keine sichtbare Wirkung gezeigt“

Bruttoinlandsprodukt (BIP)

Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) misst den Wert aller Güter und Dienstleistungen, die in einem Jahr innerhalb der Landesgrenzen einer Volkswirtschaft erwirtschaftet werden. Das BIP beinhaltet auch die Leistungen der Ausländer, die innerhalb des Landes arbeiten, während die Leistungen der Bewohner, die im Ausland arbeiten, nicht berücksichtigt werden.
Das BIP wird regelmäßig in der Wirtschaftsstatistik  herangezogen, um sich ein Bild über den Wohlstand eines Landes und die Leistungsfähigkeit einer Volkswirtschaft zu machen. (Quelle: bpd)

Die Effizienz der Sanktionen gegen Russland kann scheinbar selbst die EU nicht konkret beziffern: „Die Gesamtauswirkungen auf die russische Wirtschaft sind schwer zu messen“, heißt es in dem Bericht des Europaparlaments. Schätzungen zufolge würden sich die Kosten der Sanktionen auf 0,2 bis zwei Prozent des russischen Bruttoinlandsprodukts (BIP) belaufen. Man sei sich allerdings darüber einig, dass die „Volatilität des Ölpreises“ und die „tiefgreifenden strukturellen Faktoren“ – und nicht die auferlegten Sanktionen  – Russlands Wirtschaftswachstum am meisten behindern.

Auch die politischen Auswirkungen der Sanktionen sind laut dem Bericht „unklar“: „Es gibt weder Beweise dafür, dass sie Russland dazu gebracht haben, sein Verhalten zu ändern, noch haben sie in Russland selbst sichtbaren Druck für Veränderungen erzeugt.“ An einer anderen Textstelle heißt es sogar: „Westliche Sanktionen haben keine sichtbare Wirkung gezeigt.“

Sogar die Dauer der Sanktionen sei kein Garant für Erfolg: Man kann nicht pauschalisieren, ab wann Sanktionen ihre Wirksamkeit zeigen, sagt Glaurdić. Das Beispiel Kuba habe bewiesen, dass Gesellschaften jahrzehntelang unter Sanktionen leiden können, ohne daran zu zerbrechen.

MarcL
24. Februar 2022 - 19.33

Die sogenannte militärische Operation ist von langer Hand geplant. Die Kriegskasse ist gut gefüllt. Die Abhängigkeit vom Westen längst auf ein Minimum zurückgefahren. Wenn westliche Sanktionen wehtun sollen, dann nur wenn sie dem Westen gleichfalls Schmerzen bereiten. Die Russen sind nicht doof.

josy.mersch.lu
24. Februar 2022 - 17.10

Ähnlichkeit mit Hitlers Angriff auf Polen ! Damals Hitler "seit heute morgen früh wird zurückgeschossen". Heute Putin "es handelt sich um eine Friedensmission zum säubern von nazis". Wenn jetzt Europa, die USA und die Nato in ein Chamberlain Dornrösschenschlaf verfallen sind wir alle verloren ! Russland was im zweiten Weltkrieg Millionen Opfer erlebt hat müsste doch mit einem solchen Kriegstreiber im eigenen Land fertig werden. Schlimmster Vorfall an der Europagrenze seit dem letzten Weltkrieg ! Der will deutlich mehr !