AnalyseWahlen in Italien, Schweden und Bulgarien: Fallen in Europa die Brandmauern gegen Rechtsaußen?

Analyse / Wahlen in Italien, Schweden und Bulgarien: Fallen in Europa die Brandmauern gegen Rechtsaußen?
Matteo Salvini (gestreifte Badehose) will Italien wieder nach rechts rücken Foto: AFP/Filippo Monteforte

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Der Herbst bringt Neuwahlen in Schweden, Italien, Lettland und Bulgarien. In zwei Ländern ist ein starkes Erstarken rechter Kräfte zu verzeichnen, in einem wird eine Einmischung des Kremls befürchtet. EVP-Chef Weber sorgt für zusätzliche Irritationen.

Für Manfred Weber, den CSU-Vize und einflussreichen Chef der christlich-konservativen Europäischen Volkspartei, ist es im Grunde ein alter Hut: Im italienischen Wahlkampf Stimmung für Silvio Berlusconi zu machen. Aus mehreren Jahrzehnten gibt es die freundlich-freundschaftlichen Fotos von Weber und Berlusconi. Deshalb ist für ihn nichts dabei, auch jetzt als Unterstützer der Forza Italia nach Rom zu reisen. Doch bei den anderen Fraktionen im Europaparlament hat das drei Wochen vor den Wahlen in Italien Besorgnis und eine Frage ausgelöst: Fällt bei der Union über den Umweg Europa die Brandmauer gegen Rechtsaußen?

Denn Berlusconis Partei hat sich mit zwei anderen zu einem Bündnis zusammengeschlossen. Mit Matteo Salvinis rechter Lega und Giorgia Melonis Fratelli d’Italia. Deren Europa-Abgeordnete finden sich nicht in Webers EVP, sondern in der nationalkonservativen ECR- und in der rechtspopulistischen ID-Fraktion. Weber stützt also mit seiner Wahlkampfhilfe für Berlusconi indirekt auch die italienischen Kräfte, die in Brüssel eine politische Gemeinschaft mit der AfD in Deutschland, der FPÖ in Österreich und mit Marine Le Pens Rassemblement National in Frankreich bilden.

Sehr schmaler Grat

„Mein Besuch dient dazu, unsere Verbündeten in der EVP zu unterstützen“, erläutert Weber. Italien brauche Stabilität, und was von den Linken zu sehen sei, so deute bei ihnen nichts in diese Richtung. Unausgesprochen ist damit die Erwartung verbunden, der alte Haudegen Berlusconi werde schon dafür sorgen, dass die anderen bei den Wahlen in Italien und Europa nicht über die Stränge schlagen.

Allerdings ist die Forza nach jüngsten Umfragen schwächstes Glied in der Mitte-rechts-Kette. Berlusconi liegt bei knapp elf Prozent, auf fast 15 bringt es die Lega, und die Fratelli-Partei wird sogar mit gut 22 Prozent als stärkste Kraft gehandelt. Zwar hat sie sich bemüht, ihr postfaschistisches Image aufzuarbeiten und sich als modernisierte National-Partei zu präsentieren. Doch nicht von ungefähr findet sich Fratelli in Brüssel im Fahrwasser der EU-Kritiker und -Gegner. Für eine neue Ministerpräsidentin Meloni bestünde die EU in erster Linie aus einem „Europa der Vaterländer“, so wie es auch von Viktor Orban in Ungarn und von der PiS-Regierung in Polen verfolgt wird.

Der EU-Rechtsstaatsexperte der Grünen, Daniel Freund, blickt daher bereits auf die möglichen Folgen eines Wahlsieges der Rechten in Italien. Bis zum 20. September müsse die Kommission dem Rat vorlegen, wie viel Geld die EU den Ungarn wegen Rechtsstaatsverstößen vorenthalten will. Verändere sich durch Italien die Zusammensetzung im Rat der Staats- und Regierungschefs, sei er sich „nicht sicher, ob die neue italienische Regierung einem Einfrieren der Gelder für Ungarn zustimmt“. Dann würde die erforderliche qualifizierte Mehrheit bei diesen und nachfolgenden Rechtsstaatsbeschlüssen wackeln.

Doch die Entwicklung in Italien bildet nur einen Teil der Sorgen in Brüssel. Bereits am 11. September wählen die Schweden ein neues Parlament. Eine Woche vor der Entscheidung bekommen dort die Schwedendemokraten immer mehr Unterstützung. Nachdem auch sie eine offene Auseinandersetzung mit ihrer Nazi-Vergangenheit in ihrer Gründungsphase vollzogen haben, scheinen sie für andere bürgerliche Parteien nicht mehr tabu zu sein. Mit einer knallharten Kampagne gegen Bandenkriminalität haben sie ein zentrales Wahlkampfthema geschaffen. Indem auch die regierenden Sozialdemokraten einen verschärften Kurs in dieser Frage einschlugen, konnten sie den Rechtspopulisten nicht das Wasser abgraben, sondern machten sie als „Original“ nur noch attraktiver. Inzwischen liegen das Mitte-links- und das Mitte-rechts-Lager auf Augenhöhe.

Sofia und der Kreml

Gewinnen auch dort die Rechtspopulisten, hat das schon bald Folgen über Schweden hinaus. Denn am 1. Januar übernimmt das Land von Tschechien die Ratspräsidentschaft und trägt damit besondere Verantwortung dafür, dass es in der EU vorangeht – oder eben nicht.

Der Sturz der Regierung des westlichen Reformers Kiril Petkow hat auch in Bulgarien Neuwahlen nötig gemacht. Viele Bulgaren fühlen sich Russland verbunden, Petkows antirussische Politik nach Beginn von Putins Angriffskrieg hat deshalb auch zum Auseinanderbrechen der Regierung beigetragen. Nach Einschätzung von Martin Kothé, Regionaldirektor der Friedrich-Naumann-Stiftung in Sofia, geht es am 2. Oktober darum, ob der Reformkurs in Richtung demokratischer Moderne fortgesetzt werden könne, „oder ob die alten, korruptiven Strukturen mit tatkräftiger Unterstützung Moskaus wieder ans Ruder kommen“. Der Ausgang sei unklar, aber es bestehe die reale Gefahr, dass ein EU-Mitglied zum Opfer massiver Unterwanderung des Kremls werden könne. „Bulgarien hat mithin strategische Bedeutung für die Zukunft der EU erlangt“, mahnt Kothé.