Transport von Kindern mit BehinderungVorfall um Tristan (5) bringt langsam Bewegung ins Dossier

Transport von Kindern mit Behinderung / Vorfall um Tristan (5) bringt langsam Bewegung ins Dossier
Der Fall des kleinen Tristan Loutsch hat Bewegung in das Dossier gebracht. Die Ministerien arbeiten an Lösungen, um gefährliche Situationen auf dem Weg zur Schule künftig zu vermeiden.  Foto: Editpress-Archiv

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Knapp zwei Wochen ist es her, dass der fünfjährige Tristan Loutsch per Hubschrauber ins Krankenhaus gebracht werden musste. Als er im Capabs-Bus („Transport complémentaire d’accessibilité pour personnes à besoins spécifiques“) zur Schule einen epileptischen Anfall erlitt, war niemand da, der ihm schnellstmöglich sein Medikament hätte verabreichen können. Vater André Loutsch bittet das Mobilitätsministerium schon seit Tristans Einschulung darum, eine ausgebildete Begleitperson für den Transport zur Verfügung zu stellen. Erst der tragische Vorfall am 17. September hat Bewegung in das Dossier gebracht – wenn auch nur langsam.

Das Problem ist nicht neu – und Tristan kein Einzelfall. Transport-, Bildungs- und Familienministerium werden sich jedoch nicht einig, wer die Verantwortung trägt. Bis zum tragischen Vorfall am 17. September 2020 bekam André Loutsch keine Antwort auf seine Anfragen. Nach Erscheinen des Tageblatt-Artikels am 18. September landete plötzlich eine E-Mail vom Mobilitätsministerium im Postfach des Vaters.

Der fünfjährige Tristan erleidet regelmäßig epileptische Anfälle. Dann gilt es, ihm schnellstmöglich sein Medikament zu geben. Im Bus ist allerdings niemand bei ihm, der das tun könnte. 
Der fünfjährige Tristan erleidet regelmäßig epileptische Anfälle. Dann gilt es, ihm schnellstmöglich sein Medikament zu geben. Im Bus ist allerdings niemand bei ihm, der das tun könnte.  Foto: privat

Weil sich der Transport von Tristan Loutsch als zu riskant herausstelle, müsse der Bus für den darauffolgenden Montag abgesagt werden, hieß es in dem Schreiben. Und weiter: „Die ‚autorité parentale’ kann nicht auf einen Fahrer oder andere, in den Transport implizierte, Akteure übertragen werden.“ Ein Schock für den alleinerziehenden Vater, der als Lehrer an der Hotelschule in Diekirch arbeitet und sich nicht einfach so freinehmen kann. Zusammen mit Germain Back, dem Direktor des „Centre pour le développement moteur“, kurz CDM, in dem Tristan zur Schule geht, musste nach einer kurzfristigen Lösung gesucht werden. Das bedeutete für André Loutsch ein Wochenende voller Telefonate.

Übergangslösung

„Zusammen mit André Loutsch haben wir versucht, eine vorübergehende Lösung für den Transport von Tristan Loutsch zu finden“, sagt Germain Back gegenüber dem Tageblatt. Das Bildungsministerium behauptet seinerseits, der Vater hätte sich zu keinem Zeitpunkt um den Transport kümmern müssen.

Für die kommenden sechs Wochen wird der Fünfjährige jetzt mit einer Taxi-Ambulanz zur Schule gebracht und dabei von verschiedenen Erziehern aus dem CDM begleitet. Das ist jedoch für keine der betroffenen Parteien eine langfristige Lösung.

André Loutsch musste derweil mit dem Ministerium diskutieren, um das Geld für die Übergangslösung Taxi-Ambulanz nicht vorstrecken zu müssen. „Das sind 200 bis 250 Euro für eine Hin- und Rückfahrt“, sagt er. Eine Summe, die sich der dreifache Vater nicht einfach so leisten kann. Loutsch ist erschrocken darüber, dass es überhaupt so weit kommen musste. „In den kostenlosen öffentlichen Transport und die Tram werden Millionen und Millionen investiert. Menschen mit einer Behinderung stellen jedoch eine Minderheit dar, die der Regierung egal zu sein scheint“, sagt er.

Zu hohes Risiko

Gwennaëlle Crohin, stellvertretende Direktorin bei „ALAN – Maladies Rares Luxembourg“, ist in engem Kontakt mit Familien, deren Kinder spezifische Bedürfnisse und komplexe Krankheitsbilder haben. Das Problem, dem André Loutsch und sein Sohn jetzt gegenüberstehen, ist laut ihrer Erfahrung schon mehrere Jahre alt. Genauso wie die Forderung nach einer Begleitperson, die ausgewählten Kindern im Bus bereitgestellt werden soll. 

„Im Moment lastet die Verantwortung auf den Schultern der Eltern. Das ist nicht richtig“, sagt Crohin. Sie müssten zum Teil Angst haben, ihr Kind in den Bus zu setzen. Es komme nicht selten vor, dass dieses Risiko sich für sie als zu groß darstellt und einer der Elternteile den Job aufgibt, um sich selbst um den Transport zu kümmern. „Das kann sich aber nicht jeder leisten“, so Crohin.

So zum Beispiel André Loutsch. Das Mobilitätsministerium hatte dem Vater angeboten, selbst mit Tristan mitzufahren. Für den arbeitenden Vater von drei Kindern keine Option. „Eltern eines Kindes mit einer Behinderung haben oft keine andere Wahl, als dass einer von ihnen zu Hause bleibt. Meistens ist es die Frau“, sagt er. Loutsch findet das ungerecht und fragt sich, wieso sich Eltern von einem Kind mit besonderen Bedürfnissen weniger leisten können sollen als andere.

Von Fall zu Fall

„Wir haben das Gefühl, dass es zuerst zu einer Krise kommen musste, damit sich etwas bewegt“, sagt Gwennaëlle Crohin. Das findet sie schade. Auch dass Kinder, die mit dem regulären Schulbus gefahren werden, in der Regel von einem Erzieher begleitet werden, Kinder mit einer Behinderung jedoch nicht die gleiche Chance kriegen, kritisiert sie.

Dabei findet die stellvertretende ALAN-Direktorin nicht, dass jedes Kind, das in einem Capabs-Bus mitfährt, eine Begleitperson bräuchte. „Das müsste einfach von Fall zu Fall ausgewertet werden“, sagt sie. Eine Auswertung, die zeitgleich mit der Evaluierung des Kindes zur Aufnahme in der Sonderschule gemacht werden könnte. „Diese Aufgabe könnte von der nationalen Kommission für Inklusion mitübernommen werden. Es müsste also keine neue Abteilung geschaffen werden”, sagt Crohin.

Die ALAN fordert zudem die Erstellung einer transparenten und klaren Evaluierungsprozedur, um die Bedürfnisse bei der Transportbegleitung für Kinder mit speziellen Bedürfnissen zu ermitteln. Um deren Finanzierung und Umsetzung zu stemmen, sei eine Zusammenarbeit zwischen Mobilitäts-, Bildungs- und Familienministerium unumgänglich. „Es gibt viele verschiedene Akteure, die dabei helfen können, diese Bedürfnisse zu evaluieren“, sagt Crohin. Psycho-soziale Dienste wie die ALAN, die eng mit betroffenen Familien zusammenarbeiten, Kinderärzte, die die Kinder begleiten, und regionale Schuldirektionen mit dem Service „Elèves à besoins spécifiques“, Professionelle aus Kompetenzzentren und viele mehr. 

Dieser Meinung schließt sich auch Yannick Breuer an. Er ist Koordinator für Barrierefreiheit und Tourismus bei Info-Handicap und auch an ihn haben betroffene Familien bereits häufig ähnliche Sorgen herangetragen. „Es wäre einfach hilfreich, wenn es einen Pool an Begleitpersonen geben würde, die für Fälle wie die von Tristan Loutsch zur Verfügung stehen“, sagt er. Busfahrer des Capabs-Dienstes seien zu häufig überfordert mit solchen Situationen.

Verunsicherte Busfahrer

Das bestätigt Paul Glouchitski, stellvertretender Syndikatssekretär beim LCGB, wo er sich unter anderem um die „Association des chauffeurs d’autobus privés“ kümmert. „Natürlich stellen wir uns in diesem Dossier die Frage der Verantwortung“, sagt er gegenüber dem Tageblatt. Es sei klar, dass diese nicht beim Fahrer liegen könne. Dessen Beruf sei ausschließlich das Fahren, nicht die edukative und medizinische Betreuung der Kinder. Bei den Busfahrern herrsche deshalb große Unsicherheit. „Die Regierung muss ihre Verantwortung übernehmen und Begleitpersonen zur Verfügung stellen“, fordert er.

Am 30. September haben sich Beamte aus Mobilitäts-, Bildungs- und Familienministerium getroffen, um über die Problematik zu reden. „Es ging darum, Pisten zu definieren, die zu einer Lösung führen“, schreibt die Kommunikationsabteilung des Mobilitätsministeriums am Freitag gegenüber dem Tageblatt. Die Machbarkeit dieser Pisten müsse jetzt aufgrund der Zahl von betroffenen Kindern geprüft werden. Mehr könne das Ministerium zurzeit nicht sagen. „Nur, dass es der Wille der drei betroffenen Ministerien ist, so schnell wie möglich eine praktikable und definitive Lösung bereitzustellen.“

Zur Vorgeschichte

Schon im Juli berichtet das Luxemburger Wort vom Fall des kleinen Tristan Loutsch. Der Vierjährige leidet am Syndrom der Alternierenden Hemiplegie, kurz AHC, einer komplexen neurologischen Krankheit. Sie führt dazu, dass der Junge weder laufen noch sprechen kann und nicht sauber ist. Tristan erleidet regelmäßig epileptische Anfälle. Dann gilt es, schnell zu handeln und ihm die richtigen Medikamente zu geben. Sonst können die Anfälle Langzeitschäden verursachen, wie sein Vater sagt. Tristan besucht dreimal die Woche das „Centre pour le développement moteur“, kurz CDM, in Strassen und zweimal die Woche die „Ecole précoce“ in Redingen/Attert. An beiden Orten ist immer eine Person in seiner Nähe, die schnelles Handeln garantiert. Unterwegs dahin ist das anders – und genau da liegt das Problem. Den Transport übernimmt der Spezialbusdienst Capabs („Transport complémentaire d’accessibilité pour personnes à besoins spécifiques“). Die einzige erwachsene Person, die bei der mindestens 45-minütigen Fahrt dabei ist, ist der Busfahrer – und der muss bekanntlich auf die Straße achten. Außerdem fällt es nicht in den Kompetenzbereich von Busfahrern, sich um Menschen mit körperlicher oder geistiger Behinderung zu kümmern. Eine Ausbildung hierfür bekommen sie nicht wirklich. Der kleine Tristan besucht das CDM seit Februar dieses Jahres und hat bereits vor den Sommerferien mehrmals epileptische Anfälle im Bus erlitten. Viermal musste sein Vater ihn bewusstlos aus dem Sitz holen. Einmal war sein Zustand derart kritisch, dass der Junge ins Krankenhaus eingeliefert und intensiv behandelt werden musste. Am 17. September war es dann so schlimm, dass der Hubschrauber kommen musste.

Ugekatzt
4. Oktober 2020 - 18.15

An deenen mat Dys gett progressiv awer sécher de Wee vun enger Ausbildung an der Belge via straichen vum Schoultransport gespart ouni dass e Wuert driwwer veeluere gett.