Donnerstag27. November 2025

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Analyse von außenVon Freundschaft zur Gegnerschaft – eine transatlantische Geschichte 

Analyse von außen / Von Freundschaft zur Gegnerschaft – eine transatlantische Geschichte 
Im Gegensatz zu Chefideologe Steve Bannon (l.) vertritt US-Präsident Trump (r.) nur eine Ideologie: sich selbst Archivfoto: Nicholas Kamm/AFP

Europa verdankt Amerika viel, sehr viel sogar. An erster Stelle die Jahrzehnte währende Verteidigung der Freiheit Westeuropas und Westberlins, seinen erfolgreichen Wiederaufbau nach den Zerstörungen des Weltkriegs und schließlich durch seinen Sieg im Kalten Krieg auch die Vereinigung Europas unter dem Dach von NATO und EU. All dies sei niemals vergessen.

Für Europa war dies eine erfolgreiche, glückliche, ja, auch bequeme Zeit, nur dass die Europäer dabei übersahen, dass die Sicht aus der Mitte des amerikanischen Imperiums heraus eine völlig andere war, zunehmend mit imperialer Überdehnung und wachsender ungleicher Lastenverteilung zwischen dem Imperium und seiner europäischen Peripherie belastet. Die Amerikaner führten im Gesamtinteresse des Imperiums verlustreiche und teure Kriege, die Europäer perfektionierten ihre Sozialstaaten.

Irak und Deindustrialisierung und die Arroganz der herrschenden Eliten in den USA gegenüber den Unterschichten und dem ländlichen Amerika führten zu dem überraschenden Wahlsieg von Donald Trump und machten diesen im Januar 2017 zum 45. Präsidenten der USA. Der Kandidat wusste damals selbst nicht, wie ihm geschah. Donald Trump wurde später dann erneut zum 47. Präsidenten der USA gewählt und am 20. Januar erneut in das Amt des Präsidenten der USA eingeführt. Seitdem ist die transatlantische Welt eine andere geworden, grundsätzlich anders.

Nun lässt sich von Donald Trump vieles sagen, nur nicht, dass er ein Ideologe wäre und einer Ideologie folgen würde. Trumps Ideologie heißt Trump, und nur Trump allein. Dasselbe lässt sich aber nicht von seinem Vizepräsidenten J.D. Vance und seinem engeren Umfeld im Weißen Haus behaupten und schon gar nicht von der ihn tragenden Bewegung namens MAGA.

Kulturkampf

Deren Chefideologe Steve Bannon sieht die Welt in einem Kulturkampf zwischen einem westlichen Liberalismus, der die traditionellen Werte der christlich-jüdischen Tradition angreift und zersetzt, und der Erneuerung eben dieser Werte. Dazu braucht es Bündnispartner, die er in den rechtspopulistischen Parteien in Europa zu finden meint, und deren Spielräume und Machtchancen, die die in den USA an der Macht befindlichen Rechtspopulisten durch Druck auf die dekadenten Europäer erweitern wollen.

So auch der Tenor der Rede von J.D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar dieses Jahres, in der er z.B. die AfD zum Opfer der angeblichen Einschränkungen der Meinungsfreiheit in Deutschland und Europa machte.

Bannon und die Seinen lehnen die EU ab, die auf liberalen Werten und der Überwindung des Nationalismus beruht, und setzen voll auf die Renationalisierung Europas. Hier wird nun der Transatlantismus unter Trump von den Füßen auf den Kopf gestellt, ein Transatlantismus unter der Fahne des Nationalismus.

Dialektik der Unvernunft

Denn man vergesse nicht, dass der Transatlantismus im Kampf gegen den extremen deutschen Nationalismus der Nazis und deren völkermörderischen Antisemitismus im Zweiten Weltkrieg entstanden war, dann durch den Sieg Amerikas im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion seine Fortführung fand und keineswegs in eine halluzinierte Freundschaft mit Putin führte.

Sicher, Europa lebte über mehrere Jahrzehnte hinweg in aller Gemütlichkeit unter dem Schutz eines amerikanischen Protektorats. Aber dies kann ja nicht heißen, dass Europa mit der erneuten Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten unter dem Druck der jetzigen US-Regierung dessen nationalpopulistische Wende nachvollzieht und seine liberalen Grundwerte wider alle Vernunft aufgibt. Für Europa und vor allem für Deutschland wäre dies eine Katastrophe und zudem nicht ungefährlich, denn „der Nationalismus, das ist der Krieg“, wie der damals schon todkranke ehemalige französische Staatspräsident François Mitterrand in seiner letzten Rede vor dem Europaparlament warnte. Es war dies die Summe der Erfahrung Europas mit dem Nationalismus. Europa redet hier keineswegs über Ideologie, sondern über geschichtsgesättigte Erfahrungen, schmerzhafte, historisch gemachte Erfahrungen und Einsichten!

Sollte die amerikanische radikale Rechte tatsächlich ernsthaft versuchen, das unter großen Mühen errichtete europäische Gebäude zum Einsturz zu bringen, so würde dies nur einen freuen, und der sitzt in Moskau im Kreml – Wladimir Putin. Und es wäre zugleich das denkbar absurdeste Ergebnis des Transatlantismus, quasi das Ergebnis einer Dialektik der Unvernunft.

Joschka Fischer war von 1998 bis 2005 deutscher Außenminister und Vizekanzler. In den beinahe 20 Jahren seiner Führungstätigkeit bei den Grünen trug er dazu bei, aus der ehemaligen Protestpartei eine Regierungspartei zu machen. Copyright: Project Syndicate, 2025. www.project-syndicate.org.