Samstag25. Oktober 2025

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Prozess um IS-KämpferVon Esch aus in den Dschihad: Die Radikalisierung von Steve Duarte und Co.

Prozess um IS-Kämpfer / Von Esch aus in den Dschihad: Die Radikalisierung von Steve Duarte und Co.
Die Moschee in der Escher Brillstraße spielte eine wichtige Rolle bei der Radikalisierung der IS-Kämpfer aus Luxemburg Fotos: Editpress/RTL-Screenshot

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Von Esch aus in den heiligen Krieg: Am Donnerstag begann der Prozess gegen vier mutmaßliche IS-Kämpfer aus Luxemburg, darunter Steve Duarte, der als einziger noch am Leben sein soll. Radikalisiert wurden die vier Männer unter anderem in der Tewhid-Moschee in der Escher Brillstraße.

Von den vier angeklagten IS-Kämpfern aus Luxemburg soll nur noch Steve Duarte leben. Dessen Fall wurde 2019 durch drei TV-Interviews, u.a. bei RTL, bekannt. Der in Meispelt aufgewachsene portugiesische Staatsbürger soll mit seiner Frau und den beiden Kindern weiter im kurdischen Gefängnis Al-Hasaka in Syrien inhaftiert sein. Er strebt eine Ausreise nach Luxemburg an. So harmlos wie er sich in den Interviews gab, ist Duarte – Kampfname Abu Muhajidir Al Andalousi – allerdings beileibe nicht. Das zumindest war eine Erkenntnis des Prozesses, der am Freitag fortgesetzt wird.

Die anderen drei Angeklagten, die Brüder Denis (Jahrgang 1986) und Anes O. (1990) sowie Benisen R. (1994) sollen im Kampf gefallen sein. Wofür es allerdings keine eindeutigen Beweise gibt, sondern lediglich Indizien. Da IS-Kämpfer aus westlichen Ländern bei einer Rückkehr in ihre Herkunftsländer eine juristische Verfolgung riskieren, sollen viele der radikalisierten Männer und Frauen als syrische Flüchtlinge getarnt zurückgekehrt sein. Rein theoretisch wäre das auch für die IS-Kämpfer aus Luxemburg möglich.

Den vier Männern wird nun in Abwesenheit vor der von Marc Thill präsidierten 12. Kriminalkammer des Bezirksgerichts wegen Terrorismus der Prozess gemacht. Dabei forderte die Staatsanwaltschaft die Mindeststrafe von 15 Jahren Haft für drei der vier Angeklagten. Warum es überhaupt zum Prozess kam, ist nicht ganz klar. Wahrscheinlich geht es vor allem um die Aufarbeitung der Radikalisierung der Jugendlichen im Großherzogtum.

Die Radikalisierung 

Die vier Angeklagten kannten sich jedenfalls gut. Unter anderem waren drei von ihnen bei der viel mediatisierten Koranverteilung in der hauptstädtischen Grand-rue im November 2013 dabei, als der damalige Bürgermeister Xavier Bettel (DP) höchstpersönlich einschritt und die Aktion unterband. Auch in Esch verteilten die jungen Männer am selben Tag den Koran, was laut Staatsanwalt eindeutig zu Missionierungs- und Rekrutierungszwecken von Jugendlichen zum Salafismus geschah. Immer wieder im Mittelpunkt der Ausführungen der Ermittler: Die Tewhid-Moschee in der Escher Brillstraße. Die Moschee zog sich am ersten Prozesstag wie ein roter Faden durch die Geschichte der Radikalisierung der vier Angeklagten.

Zwei Tage sind für den Prozess in der Kriminalkammer angesetzt. Die Fortsetzung folgt am Freitag.
Zwei Tage sind für den Prozess in der Kriminalkammer angesetzt. Die Fortsetzung folgt am Freitag. Foto: Philip Michel

Dass Steve Duarte nicht das Unschuldslamm ist, das er in drei TV-Interviews gegenüber dem portugiesischen, kurdischen und luxemburgischen Fernsehen gab, wurde schnell deutlich. Dabei wurde am Donnerstag vor Gericht lediglich die Zeit vor seiner Abreise in Richtung Syrien unter die Lupe genommen. Duarte hatte vor den Kameras beteuert, dort lediglich „seine Religion lernen zu wollen“ und nicht an irgendwelchen Kämpfen teilgenommen zu haben. Jedenfalls begann seine Radikalisierung Anfang der 2010er Jahre, 2006/07 war er zum Islam konvertiert. Bis zu seiner Abreise in Richtung Syrien im August 2014 wurden seine Seiten und Posts in den sozialen Medien immer schärfer, zum Schluss konnte er kaum mehr verbergen, dass er als Dschihadist den IS unterstützen wolle. Der Islamische Staat hatte 2014 ein Kalifat in großen Teilen des syrisch-irakischen Gebietes ausgerufen, das erst Ende 2017 wieder zu großen Teilen befreit war. 

Die Radikalisierung der jungen Leute aus Luxemburg lief vor allem über das Internet, wie die Ermittler vor Gericht berichteten. Aber auch die radikal-islamistische Szene in Deutschland spielte offensichtlich eine wichtige Rolle. Gleich mehrmals waren Duarte und die Mitangeklagten in Deutschland bei Kundgebungen anwesend. Kontakt hatten sie dabei mit bekannten Namen aus der Salafistenszene wie den islamistischen Prediger Pierre Vogel. Duarte war zudem aktives Mitglied der Webseite Ansar-Ghuraba, die von Experten als eine der wichtigsten Rekrutierungsplattformen des Islamischen Staat bezeichnet wurde und Ende 2014 von den Schweizer Behörden geschlossen wurde. Für die Ermittler besteht demnach kein Zweifel, dass der 1987 geborene Portugiese aus Meispelt ein Mitglied der Terrorgruppe IS war.

… acte de recrutement au terrorisme, participation active à un groupe terroriste, meurtre, assassinat …

Das und viele weitere Vergehen werden dem Angeklagten Steve Duarte vorgeworfen

15 Jahre Haft gefordert

Während Duarte vom Gericht für eine Vielzahl von Verbrechen angeklagt ist („Terrorisme, acte de provocation au terrorisme, acte de recrutement au terrorisme, commission d’un acte terroriste, groupe terroriste, participation active à un groupe terroriste, participation à l’activité licite d’un groupe terroriste, meurtre, assassinat, incitation à la haine ou à la violence, diverses suspicions d’être membre d’un parti radical islamiste“), wird Benisen R. sowie Denis und Anes O. Terrorismus vorgeworfen. Der Staatsanwalt forderte demnach für sie drei 15 Jahre Haft, wobei das Urteil am 10. Juli gesprochen wird.

Auf die in Bosnien geborenen Denis und Anes O. wurden die Behörden in Luxemburg durch den deutschen und ungarischen Geheimdienst aufmerksam gemacht. Die Brüder sollen im Juni 2015 dem IS beigetreten sein und in Syrien gekämpft haben. Ihre Eltern hatten 2012 die zunehmende Radikalisierung bei ihren Söhnen festgestellt und das auf die Tewhid-Moschee in der Escher Brillstraße zurückgeführt. Anes O. war zusammen mit Duarte und Benisen R. bei den Koranverteilungen in Luxemburg-Stadt und in Esch 2013 dabei. Er soll im Januar 2016 in der Nähe der irakischen Stadt Ramadi gefallen sein, während sein Bruder Denis laut ausländischen Zeitungsberichten 2017 starb. 

„Dein Mann ist tot“

Detaillierter wurde vor Gericht der Weg des Kosovaren Benisen R. beleuchtet. Das, weil die Behörden sich in seinem Fall auf die Aussagen seiner Frau Joana stützen konnten. Sie hatte ihren Mann auf dem Weg in den Dschihad begleitet. Nach dessen Tod hatte sie es im dritten Versuch geschafft, die syrisch-türkische Grenze zu passieren, von wo aus sie nach Luxemburg zurückkehrte. Mit Duarte verbrachte Benisen R. viel Zeit in der Tewhid-Moschee, wo er Sekretär war. Sie schliefen mitunter sogar dort. Auch Benisen R. war den Behörden seit der Koranverteilung bekannt. Geheiratet hatte er Joana, die er im Gymnasium kennengelernt hatte, 2012, als beide noch minderjährig waren.

Ende Dezember 2013 machten sie sich mit dem gemeinsamen Kind auf den Weg nach Syrien. Genau wie die anderen Angeklagten reisten sie mit dem Flugzeug nach Istanbul, von wo es mit dem Bus in die türkische Grenzstadt Gaziantep ging. Die Reise wurde cash bezahlt, um keine Spuren zu hinterlassen. Den Eltern hatten sie gesagt, dass sie nach Ägypten fahren. Ein Schlepper brachte sie über die Grenze von der Türkei nach Syrien in ein IS-Camp. In den Wochen vor der Abreise ließ sich Benisen nicht mehr in der Moschee in Esch blicken, trat als Sekretär zurück. Denn alles, was er jetzt tue, habe nichts mit der Moschee zu tun, schilderten die Ermittler die Beweggründe. In Syrien ließ Benisen R. seine Frau zwei Wochen lang allein, um voraussichtlich in einem anderen Camp für den Kampf an der Waffe ausgebildet zu werden. Jedenfalls kehrte er mit einer Kalaschnikow unter dem Arm zurück. Ende Januar 2014 kamen zwei bosnische IS-Kämpfer mit schlechten Nachrichten zu Joana: „Dein Mann ist tot“, sagten sie kurz und knapp. 

Steve Duarte 2019 im Interview mit RTL
Steve Duarte 2019 im Interview mit RTL Screenshot RTL