RusslandVon der Geheimniskrämerei des Kreml-Chefs bei der Covid-Impfung und anderen Seltsamkeiten

Russland / Von der Geheimniskrämerei des Kreml-Chefs bei der Covid-Impfung und anderen Seltsamkeiten
Russlands Präsident Putin lässt sich mit Verteidigungsminister Schoigu Tee trinkend beim Picknick in einem sibirischen Wald fotografieren – bei der Covid-Impfung aber nicht Foto: dpa/Pool Sputnik Kremlin/AP/Alexei Druzhinin

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Wladimir Putin hat sich impfen lassen. Mehr oder weniger klammheimlich. Es ist nicht die einzige seltsame Episode im russischen Impfgeschehen.

Während andere Staatschefs ihre Corona-Impfung als Medienereignis inszenieren, lässt sich der russische Präsident Wladimir Putin hinter geschlossenen Türen impfen. Nach seiner überraschenden Ankündigung vom Montag, er werde sich am nächsten Tag immunisieren lassen, verlautete der Kreml am Dienstag lediglich ein paar dürre Details. Putin werde am Abend, nach seiner Arbeit, vakziniert. Er werde sich keinen Urlaub nehmen. Welchen der drei in Russland zugelassenen Impfstoffe er bekommt, wird ebenfalls nicht verraten. Nicht einmal ein Foto des Ereignisses soll es geben.

„Ihm gefällt die Idee einer Impfung umgeben von Kameras nicht“, kommentierte dazu am Dienstag Kreml-Sprecher Dmitrij Peskow, der mit Journalistenfragen zum präsidentiellen Impftermin belagert wurde. „Es bleibt nur, ihm aufs Wort zu glauben.“ Diese Ansage stellte nicht einmal die Kreml-treuen Medien zufrieden. Auf die Anmerkung, dass ein Foto des Präsidenten die Impfbereitschaft der Russen heben könnte, entgegnete Peskow, dass Putin „für die Propaganda des Vakzins auch so genug tue“.

Nach der Geheimniskrämerei brodelt die Gerüchteküche

Putins Geheimniskrämerei verwundert – und regte die Gerüchteküche im Internet an. Ob der Präsident etwa eine ausländische Impfung verabreicht bekomme? Ob er vielleicht gar nicht geimpft werde? Die Politik der verschlossenen Türen ist umso verwunderlicher, als sich der Kreml-Chef sonst gern in Szene setzt, etwa am vergangenen Wochenende bei einem Ausflug mit Verteidigungsminister Sergej Schoigu nach Sibirien, wo die beiden Männer Tee trinkend beim Picknick im Wald gezeigt wurden.

Putins Impfung ist ein viel diskutiertes Thema in Russland. Lange schien es, als habe es der Präsident – wie im Übrigen auch seine Landsleute – mit dem Impfen nicht besonders eilig. Zunächst konnte sich der Kreml-Chef darauf berufen, dass für ihn als 68-Jährigen eine Immunisierung nicht erlaubt sei. Der russische Impfstoff Sputnik V war anfänglich nur für Menschen unter 60 Jahren zugelassen. Als die Altersbeschränkung aufgehoben wurde, redete sich Putin heraus: Der „Impfplan“ sei genau zu befolgen und bereits voll.

Die Ankündigung zu Wochenbeginn kam überraschend. Der Kreml-Chef will bis Herbst zu einer normalen Arbeitsroutine zurückkehren. Derzeit absolviert er die meisten Treffen im Online-Format von seiner Residenz am Rande Moskaus aus. Nach anfänglichen Schwierigkeiten scheint er sich gut auf das Distanz-Format eingestellt zu haben. Wer persönlich zu ihm will, muss sich dem Vernehmen nach einer zweiwöchigen Quarantäne unterziehen. Viele Besucher hat Putin nicht – wiederholt traf er nur Rosneft-Boss Igor Setschin.

Das Leben läuft wieder normal

Der Kreml beanstandete zuletzt, dass die russische Impfkampagne nicht schnell genug laufe. Tatsächlich sind seit ihrem Start Anfang Dezember des Vorjahres erst 4,3 Millionen Menschen mit beiden Dosen geimpft worden. Ein mageres Ergebnis – angesichts der Tatsache, dass Russland für sich in Anspruch nimmt, das weltweit erste registrierte Vakzin zu besitzen. Vor allem in den Regionen laufen die Immunisierungen schleppend.

In Russland sind indes kaum mehr Corona-Restriktionen in Kraft, das gesellschaftliche Leben läuft normal weiter. Dass das Land eine der welthöchsten Pro-Kopf-Raten von Übersterblichkeit verzeichnet, ist kein Thema in der Öffentlichkeit. Für viele Menschen ist die Corona-Krise gefühlt vorüber und die wirtschaftliche Krisenlage wiegt für sie schwerer. Zwar prophezeit Vizepremierministerin Tatjana Golikowa einen Anstieg der derzeit offiziell niedrigen Neuinfektionen für April; auch die Auswirkungen der neuen Stämme sind noch nicht absehbar. Gleichzeitig sieht sie Russland auf gutem Weg zur „Herdenimmunität“. Dafür, so erklärte Golikowa, müssten bis August 69 Millionen Menschen geimpft werden. Wie diese Zahl beim jetzigen Tempo erreicht werden soll, ließ sie unbeantwortet.

Hemmungen vor dem eigenen Impfstoff

Die Impfbereitschaft der Russen ist aus mehreren Gründen nicht besonders hoch. Viele Bürger waren bereits an Covid-19 erkrankt und sehen nun in einer Immunisierung keinen Nutzen. Andere halten die gesundheitlichen Warnungen vor Covid-19 überhaupt für übertrieben. Auch der Ruf der russischen Impfstoffe ist wegen der Eile bei ihrer Produktion und der Intransparenz des Entstehungsprozesses angeknackst.

Aufgeklärten russischen Bürgern ist sehr wohl bewusst, dass Sputnik V ein politisches Projekt des Kreml ist – das Vertrauen in seine Wirksamkeit und Sicherheit ist entsprechend gering. Den offiziellen Stellen ist es bisher nicht gelungen, dieses Misstrauen zu entkräften. Anstatt sachliche Aufklärung und Fakten zu liefern, verbreitet man lieber Lobeshymnen über die russische Wunderwaffe gegen die Pandemie, die nun auch international nachgefragt sei. Während in Europa manche Politiker mit EU-kritischem Impetus die Zulassung und Produktion von Sputnik V fordern, hat die Kreml-Propaganda in Russland weitgehend versagt.

Auch wenn der Kreml nun die niedrige Impfbereitschaft der Russen rügt: Indirekt kommt die Impf-Faulheit den russischen Behörden zugute. Würden die Russen massenhaft nach dem Vakzin verlangen, könnten die Impf-Produzenten schnell in die Bredouille kommen. Aufgrund der steigenden Exportnachfrage nach Sputnik V, so schätzen unabhängige Experten, gebe es derzeit gar nicht ausreichend Dosen im Land für eine veritable Durchimpfung der Bevölkerung.

D.W.
24. März 2021 - 7.43

Muss man sich vor laufender Kamera impfen lassen? Kann der Russe sich nicht wie jeder andere Bürger in der EU entscheiden, ob er geimpft werden möchte? Und das Sputnik V seine Wirksamkeit bewiesen hat, auch vor renommierten westl. Instituten, scheint der Redakteurin in diesen haarstäubender Artikel wohl entgangen zu sein, wie so manches!