Ein Samstagabend im Januar am Rande der Hauptstadt: Ein Mann steigt an der Haltestelle in der Nähe des Bonneweger Lyzeums aus der Trambahn. Es ist kaum neun Uhr, da stürzen sich mehrere Personen auf ihn und schlagen auf ihn ein. Die Schläge treffen ihn am ganzen Körper. Paulo verliert das Bewusstsein. Als er in der Klinik aufwacht, erfährt er, welche Verletzungen er davongetragen hat, unter anderem einen Jochbeinbruch und eine schwerere Beinverletzung. An die Täter kann er sich nicht mehr erinnern. Die Polizei findet sein Portemonnaie in einer Mülltonne.
Ein anderer Fall, geschehen vor vier Jahren im selben Stadtviertel, endete tödlich: Ein 18-Jähriger wurde erstochen, die beiden mutmaßlichen Täter waren damals 15 und 17 Jahre alt. Sie waren zuvor nicht als gewalttätig aufgefallen. Die beiden Fälle sind nur zwei einer Reihe von Gewalttaten, deren Anzahl sich in den vergangenen Jahren gehäuft hat. Von einem allgemeinen Trend der zunehmenden Gewaltbereitschaft in der Gesellschaft sprach der Generaldirektor der Polizei, Pascal Peters, im vergangenen Jahr bei der Vorstellung der Kriminalstatistik 2023. So wurde etwa eine Zunahme der Zahl der Körperverletzungen im Vergleich zum Vorjahr festgestellt und die der Straftaten allgemein. Doch was steckt dahinter?

Dass die Hemmschwelle bei Aggressionen vor allem von Jugendlichen gesunken sei, geht seit Jahren aus Gesprächen mit Polizeibeamten, Sozialarbeitern und Psychologen sowie aus Medienberichten hervor. Blättere ich in alten Artikeln und Recherchenotizen, entdecke ich, dass schon vor 20 Jahren eine gestiegene Gewaltbereitschaft unter Jugendlichen festgestellt wurde, auch eine zunehmende Gewalt an Schulen. In den Nachbarländern war es kaum anders. Fachleute suchten nach Erklärungen. Der Soziologe Wilhelm Heitmeyer verwies auf die fehlende Anerkennung als eine Ursache: „Gewaltbereite Jugendliche bekommen häufig auf drei grundlegende Fragen keine befriedigende Antwort: Wer braucht mich? Wer hört mir zu? Zu wem gehöre ich? Wer sich anerkannt fühlt, der respektiert auch Regeln, die andere vor Gewalt schützen.“ Doch die Frage nach dem entscheidenden Faktor für eine blutige Tat sei von der Wissenschaft bisher nicht beantwortet worden. Zwar gebe es kein Gewalt-Gen, aber Früherkennungsmerkmale. Mit zunehmendem Alter verlagere sich die Gewaltanwendung ins private Umfeld – und wird zur häuslichen Gewalt, deren Opfer am häufigsten Frauen sind.
Gewaltfaktor Ungleichheit
Selbst wurde ich noch nie Opfer von physischer Gewalt in Form eines Verbrechens. Auch hatte ich bisher das Glück, keinen Krieg erleben zu müssen. Relativ wenige Generationen sind davon verschont geblieben. Zeuge von Gewalt wurde ich höchstens im Schulhof bei den in den 70er Jahren alltäglichen Raufereien im Pausenhof der Grundschule. Auch kommen mir noch die Prügeleien von Punks und Skinheads bei Konzerten in den 80er Jahren in den Sinn. Zum ersten Mal an den Ort eines Gewaltverbrechens kam ich im Alter von 32 Jahren: In einem badischen Dorf hatte ein Mann zuerst seine Freundin und dann sich selbst erschossen. Als Lokalreporter eilte ich mit einem Fotografen zur „crime scene“.
Wir wissen schon lange, dass eine schlechte Einkommensverteilung ein günstiges Umfeld für die Gewalt in Städten schafft. Tatsächlich scheint Ungleichheit ein Nährboden für die Ausbreitung von aggressivem Verhalten zu sein.

Während meiner Zeit als Journalist in Brasilien fuhr ich mit lokalen Kollegen der Folha de São Paulo zu den Schauplätzen der Auseinandersetzungen bewaffneter Banden. Im April 2001 unterhielt ich mich ausführlich mit dem Arzt und Autor Drauzio Varella von der berüchtigten Casa de Detenção de São Paulo, besser bekannt als Carandiru, dem damals größten Gefängnis Südamerikas. Dort hatte sich im Oktober 1992 ein Massaker abgespielt, als die Militärpolizei 102 Gefangene erschoss und neun weitere Insassen an Stichwunden starben. Varella wies darauf hin, dass städtische Gewalt, schlechte Ernährung, Mangel an qualitativ hochwertigem Wohnraum, Schwierigkeiten bei der medizinischen Versorgung und beim Zugang zu körperlicher Betätigung einige der entscheidenden Faktoren für die unterschiedliche Lebenserwartung in Brasilien seien. „Der Hauptfaktor ist die städtische Gewalt“, erklärte der Arzt. Für diese wiederum gebe es eine Reihe von ökonomischen und sozialen Ursachen. Etwa die wirtschaftliche Ungleichheit. Also ein Teufelskreis.
Die wichtigsten sozialen Ursachen von Gewalt: „Wir wissen schon lange, dass eine schlechte Einkommensverteilung ein günstiges Umfeld für die Gewalt in Städten schafft. Tatsächlich scheint Ungleichheit ein Nährboden für die Ausbreitung von aggressivem Verhalten zu sein. Gesellschaften, die in allgemeiner Armut leben, sind tendenziell weniger gewalttätig als solche, in denen es eine kleine Anzahl reicher Menschen und eine große Masse armer Menschen gibt“, sagte Varella. „Doch der Unterschied in der Kaufkraft ist jedoch nicht die einzige Ursache. Die Gewalt in Städten ist eine multifaktorielle Krankheit. Die sozialen Unterschiede können erklären, warum es in Brasilien mehr Verbrechen gibt als beispielsweise in Schweden. Sie erklären jedoch nicht, warum die schwedische Kriminalitätsrate zur gleichen Zeit zu steigen begann wie in brasilianischen oder amerikanischen Städten. Sie erklärt auch nicht, warum die Kriminalität in den großen amerikanischen Zentren seit 1992 kontinuierlich zurückgegangen ist, einem Zeitraum, in dem sich die Einkommenskonzentration in diesem Land verschärft hat. Außerdem erklärt die Ungleichheit nicht, warum in einem armen Viertel oder sogar in ein und derselben Familie nur einige wenige kriminell werden, während der Rest die Regeln des sozialen Zusammenlebens respektiert.“
„Ökologie der Gefahr“
Varella zitiert Jeffrey Fagan von der New Yorker Columbia University. Nach dessen Ansicht schafft die hohe Waffenkonzentration in bestimmten Stadtvierteln eine „Ökologie der Gefahr“. Nach einer Befragung von 400 Jugendlichen in den gefährlichsten Vierteln New Yorks stellte der Forscher fest, dass Gewalt tatsächlich ansteckend ist. Zwischen 1985 und 1995 verbreitete sich der Gebrauch von Schusswaffen in diesen Vierteln wie eine ansteckende Krankheit. Unbewaffnete junge Menschen fühlten sich unsicher und glaubten, dass sie sich mit einer Waffe mehr Respekt bei ihren Gegnern verschaffen würden. In der Welt der Kriminalität bedeuten Waffen Macht.

Da diejenigen, die von der Kriminalität leben, über Waffen verfügen müssen, die mit denen der Polizei und der rivalisierenden Banden konkurrieren können, findet in den Städten ein nicht enden wollendes Wettrüsten statt. Das sei schließlich „für die meisten tödlichen Verletzungen verantwortlich, mit denen die Bereitschaftsärzte in den Krankenhäusern von São Paulo, Washington oder New York heute konfrontiert werden“. Als eine weitere Ursache nennt Varella Crack – die Droge, die sich in den 80er Jahren in den US-Städten und in den 90ern sowie Anfang des 21. Jahrhunderts unter dem Namen Paco in Südamerika verbreitete und viel weniger kostete. Mittlerweile hat es auch die europäischen Städte erobert.

Spätestens seit meinen Erlebnissen beschäftigt mich das Thema der Gewalt, ihr plötzliches, unmittelbares Auftreten und ihre Verbreitung. Nach Studien werden jüngere Menschen und Personen mit geringerem Einkommen deutlich häufiger Opfer von Gewaltverbrechen als ältere Menschen beziehungsweise Personen mit höherem Einkommen. Zugleich gehören jüngere Männer auch häufig zu den Tätern. In meiner Anfangszeit in Luxemburg wurde eine Studie zum „Wohlbefinden der Jugendlichen“ veröffentlicht. Etwa jeder zehnte Schüler gab an, schon einmal Opfer von Gewalt in der Schule gewesenen zu sein – und 15 Prozent sagten, innerhalb eines Jahres schon einmal zugeschlagen zu haben. Rund zehn Prozent gingen mit einem Messer bewaffnet in die Schule.
Warum das so ist, wollte ich herausfinden und fuhr ins ostbelgische Eupen. Am dortigen Institut für Sonderunterricht nahmen auch luxemburgische Jugendliche zwischen 15 und 17 Jahren an einem Anti-Gewalt-Training teil, etwa am „Tunnel“, einer Art Spießrutenlauf, bei der sie bis zur Weißglut provoziert werden. Das Ziel sei es, gelassen zu bleiben und durchzukommen, ohne dass man auf die Beschimpfungen reagierte, erklärten mir eine Erzieherin und eine Psychologin. Beide wussten: „Die Jungen sind extrem leicht zu reizen. Ein bestimmtes Wort genügt und sie werden wütend. Es gibt welche, die werden aggressiv, wenn man sie nur anschaut oder ihnen zu nahe tritt.“ Sie verstünden einfach nicht zu diskutieren, ihre Kommunikation bestand aus Schlägen. Dass sie Empathie mit anderen entwickelten, gehöre zu den wichtigsten Schritten, aber auch, eigene Fehler zuzugeben.
Gewaltopfer aus dem Eis
Doch woher kommt diese Neigung des Menschen zur Gewalt? Einigen Aufschluss erhoffte ich mir in dem Buch „Gewalt. Eine neue Geschichte der Menschheit“ von Steven Pinker. Der kanadische Evolutionspsychologe hatte sein Opus Magnum 2011 veröffentlicht und damit Aufsehen erregt. Seine These war überraschend und zugleich tröstlich: „Die Gewalt ist über lange Zeiträume immer weiter zurückgegangen“, schreibt Pinker, „und heute dürften wir in der friedlichsten Epoche leben, seit unsere Spezies existiert.“ Der Verzicht auf Gewalt lasse keinen Lebensbereich unberührt, auch wenn es in absoluten Zahlen immer genügend davon geben werde, um die Abendnachrichten zu füllen.
Wenn die Vergangenheit ein fremdes Land ist, dann ist dieses Land erschreckend gewalttätig. Man vergisst nur allzu leicht, wie gefährlich das Leben früher war, wie tief Brutalität sich einst durch das ganze Gewebe des Alltagslebens zog.
„Wenn die Vergangenheit ein fremdes Land ist, dann ist dieses Land erschreckend gewalttätig. Man vergisst nur allzu leicht, wie gefährlich das Leben früher war, wie tief Brutalität sich einst durch das ganze Gewebe des Alltagslebens zog“, schreibt Pinker und erzählt, wie 1991 zwei Wanderer in den Alpen einen besonderen Fund machten: Ötzi, der „Mann aus dem Eis“, wurde zu einer Berühmtheit. Zehn Jahre danach fand eine Gruppe von Radiologen heraus, dass in seiner Schulter eine Pfeilspitze steckte. Anders als die Wissenschaftler ursprünglich angenommen hatten, war er nicht in eine Gletscherspalte gefallen und erfroren, sondern umgebracht worden. Ötzi ist nicht der einzige jahrtausendealte Mensch, der gegen Ende des 20. Jahrhunderts berühmt wurde und als Beweis für die gewalttätige Natur des Menschen herhalten musste: „Im Jahr 1996 war in Kennewick im US-Bundesstaat Washington das Skelett eines Mannes geborgen worden, der vor 9.400 Jahren gelebt hatte.“

Die Geschichte der Menschheit – eine ewige Abfolge von Krieg, Genozid, Mord, Folter und Vergewaltigung? Pinker hat die Entwicklung der Gewalt von der Urzeit bis heute und in allen ihren individuellen und kollektiven Formen, vom Verprügeln der Ehefrau bis zum geplanten Völkermord verfolgt. Der Evolutionspsychologe beschreibt unter anderem, wie sich im 19. (Abschaffung der Sklaverei) und vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Menschenrechte etabliert hätten und sich Frauen- und Kinderrechte sowie die Rechte von Homosexuellen durchsetzten. Zudem erklärt er, wie sich den destruktiven Kräften der menschlichen Natur – Raublust, Dominanzstreben, Rache, Sadismus und Ideologie – die „besseren Engel“ gegenüberstellten, die Gewalt einschränken: Empathie, Moral, Vernunft und Selbstbeherrschung.
„Die Evolution der Gewalt“
Besitz anzuhäufen und sich darum zu streiten – damit haben Kriege begonnen. Zu diesem Schluss kam eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern vor gut zwei Jahren und veröffentlichte ihre Ergebnisse in der Fachzeitschrift PNAS der US-amerikanischen National Academy of Sciences. Die Forscher hatten sich mit dem Thema von den Anfängen der Gewaltanwendung bis hin zu Kriegen beschäftigt. Gewalt wurde „eine alternative Erfolgsstrategie“, werden die Wissenschaftler in der deutschsprachigen Ausgabe des National Geographic zitiert.
Die Gewalt gründet in der Geschichte seines Landes, schrieb der US-Schriftsteller Paul Auster in einem seiner letzten Bücher, dem politischen Essay „Bloodbath Nation“ über das irrationale Verhältnis der Amerikaner zu Schusswaffen. Unterdessen waren 2023 unter den zehn Städten mit den höchsten Mordraten übrigens sieben mexikanische. Lateinamerikanische Staaten sind in den zweifelhaften Rankings mit den gefährlichsten Ländern führend, unter anderem neben Südafrika und solchen Ländern, die sich in einem Krieg befinden.
Gut ein halbes Jahrhundert vorher war Europa der Schauplatz eines riesigen Verbrechens. Insgesamt wurden weltweit schätzungsweise mehr als 60 Millionen Menschen getötet, andere Schätzungen gehen von deutlich mehr aus. Die meisten Todesopfer gab es in der Sowjetunion mit 24 Millionen getöteten Zivilisten und Soldaten. Nazi-Deutschland beging mit dem Holocaust einen der größten Völkermorde der Weltgeschichte. Insgesamt wurden mehr als sechs Millionen jüdische Menschen ermordet. Auch Sinti und Roma und andere Angehörige von Minderheiten wurden verfolgt und getötet.
Das eigentliche Verbrechen begann mit dem ersten Zaun. (…) Es entstand eine komplett andere soziale Logik. Vorher galt: Teilen macht reich. Jetzt gilt: Anhäufen macht reich.
Liegt Gewalttätigkeit in der Natur des Menschen? Keineswegs, behaupten der Archäologe Harald Meller, der Journalist Kai Michel und der Biologe, Primaten- und Verhaltensforscher Carel van Schalk in ihrem Buch „Die Evolution der Gewalt“. Die Frühmenschen seien nicht gewalttätig gewesen, fanden die Wissenschaftler bei ihren Recherchen heraus. Die Autoren gingen für ihre Nachforschungen weit in die Geschichte der Menschheit zurück und versuchten ihre Thesen anhand von Knochenresten, Gräbern, Werkzeugen, Waffen und Verteidigungsanlagen zu belegen. Bevor sie sesshaft wurden, zogen die Menschen als Nomaden umher und waren noch friedlich. Sich gegenseitig anzugreifen, sei ihnen nicht in den Sinn gekommen und hätte sie nur unnötig in Gefahr gebracht. Gewaltfaktor Nummer eins und auch Ursache von Kriegen, also von organisierter Gewalt, sei die ungleiche Verteilung materieller Ressourcen. Die These, Krieg habe es schon immer gegeben und gehöre zur Natur des Menschen, ist demnach nicht haltbar. Wir Menschen sind nicht von Natur aus aggressiv. Zwar gibt es Aggressionen schon lange, aber deshalb gab es noch lange keinen Krieg.
Doppelcharakter und moderne Obsession
Auf die ganze Menschheitsgeschichte von 2,5 Millionen Jahren bezogen, nimmt die Zeit der Kriege nur etwa ein Prozent ein. Kriege wurden erst mit der Sesshaftigkeit des Menschen Bestandteil dessen Lebens. Als Nomaden waren die Menschen friedlich, waren als kleine Gruppen unterwegs, um zu jagen und zu sammeln. Sie sind „eine ganz junge Erfindung“. Erst der Kampf um Land und die Verteidigung der eigenen Scholle führten zum Krieg. „Das eigentliche Verbrechen begann mit dem ersten Zaun“, so die Autoren. Als sich unsere Vorfahren vor 14.000 Jahren niederließen und Vorräte sammelten. „Es entstand eine komplett andere soziale Logik. Vorher galt: Teilen macht reich. Jetzt gilt: Anhäufen macht reich.“ Krieg basiert auf Ungerechtigkeit und Ungleichheit. Er wird von den Reichen geführt, um ihre Privilegien zu sichern.
Seit dem russischen Überfall auf die Ukraine ist das Thema Krieg so präsent wir schon lange nicht mehr. Auch durch den Krieg im Nahen Osten. Die Zahl der Kriege, Bürgerkriege und zwischenstaatlichen Kriege ist im Laufe der Jahre nach einem zwischenzeitlichen Rückgang wieder angestiegen. Auch das Thema Gewalt ist allgegenwärtig, selbst wenn die Menschen in den westlichen Ländern vergleichsweise friedlich leben. Unterdessen sei die Sensibilität gegenüber Gewalt seit dem Zweiten Weltkrieg erheblich gestiegen, stellt der Historiker Richard Bessel in „Violence. A Modern Obsession“ (2016) fest. Das Thema werde umso stärker thematisiert, je geringer die Erfahrung realer Gewalt ist, spitzt der Soziologe Wolfgang Knöbl, Autor beziehungsweise Mitherausgeber von „Gewalt erklären!“ (2019) und „Die Gegenwart der Gewalt“ (2022) diese These zu. Er spricht von einem „Doppelcharakter“: „Einerseits sind Gewalt oder zumindest bestimmte Formen von Gewalt der Regel stark normiert, eingehegt oder gar verboten, andererseits eine stets gegebene Handlungsmöglichkeit des Menschen und daher immer zumindest als Drohung präsent.“
Die Gewalt bleibe eine Art „Blackbox“, schreibt der deutsche Soziologe Peter Imbusch in dem von Wilhelm Heitmeyer und Hans-Georg Soeffner herausgegebenen Band „Gewalt“ (2004). Die kollektive militärisch oder anders organisierte Gewalt wurde nicht ausgespart. Die Gewaltforschung und -theorie umfasst zahlreiche Bereiche: Zu ihr gehören Begriffe wie etwa jener von dem norwegischen Friedens- und Konfliktforscher Johan Galtung der „strukturellen Gewalt“. Hinzu kommen die Unterscheidung physischer und psychischer Gewalt sowie eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen der Gewalt wie Selbstverletzung, sexuelle Übergriffe gegen Frauen, aber auch häusliche Gewalt und Gewalt gegen Kinder. Nicht zu vergessen sind Folter sowie Fehden von verfeindeten Familien, Mafia-Clans und subkulturellen Organisationen wie den Hells Angels bis hin zu Amokläufen. Diese Woche etwa wurden bei dem schlimmsten Schusswaffenattentat in der Geschichte Schwedens zehn Menschen getötet. Am Anschluss an den Amoklauf soll sich der Täter das Leben genommen haben.
Die Soziologin Michaela Christ schreibt, dass in den Gewalttheorien das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft ausgelotet werde. Sie wirft Fragen auf wie: Welche neurobiologischen Prozesse lassen sich im Gehirn gewaltausübender Menschen nachweisen und welche hormonellen Veränderungen im Körper? Welche Rolle spielt die Darstellung realer oder fiktiver Rolle in den Medien? Ist Gewalt gar eine Form sozialen Handelns?
Die Geschichte der Moderne ist in ihrer Essenz eine Gewaltgeschichte
„Wenn es darum geht, die moderne Gesellschaft gegenüber anderen abzugrenzen, ist die Frage des Umgangs mit Gewalt von zentraler Bedeutung“, schreibt Teresa Koloma Beck. „Denn der Moderne wird gemeinhin zugeschrieben, die Gewalt in den Griff bekommen zu haben.“ Dies sei ein Mythos, so die deutsche Soziologin. Gewalt verschwinde nicht. Im Gegenteil, meint die österreichische Kulturwissenschaftlerin Judith Kohlenberger, Gewalterfahrungen seien ein wesentlicher Bestandteil moderner Gesellschaften. „Die Geschichte der Moderne ist in ihrer Essenz eine Gewaltgeschichte. Sie ist sowohl durch kollektive als auch individuelle Gewaltpraktiken gekennzeichnet, die sich in prägenden, traumatisierenden Verlusterfahrungen über Generationen hinweg manifestieren.“ Mit der Rückkehr des Krieges nach Europa, so Kohlenberger, und seinen auch für Außenstehende spürbaren Folgen.

De Maart

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