Villa Louvigny: „Die ‚Cathédrale de la radio‘ muss leben“

Villa Louvigny: „Die ‚Cathédrale de la radio‘ muss leben“

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Musiker und andere Kunstschaffende fordern, dass das Auditorium der Villa Louvigny wieder seiner ursprünglichen Nutzung als Probe-, Aufnahme- und Konzertsaal zugeführt wird. Zurzeit dient es dem Gesundheitsministerium als Abstellraum. Laut dem Kulturminister soll die Villa Louvigny künftig unter Denkmalschutz gestellt werden. Was danach damit passiert, liege nicht in seiner alleinigen Zuständigkeit, antwortet Bettel auf eine parlamentarische Frage.

Die Villa Louvigny im Stadtpark der Stadt Luxemburg hat eine lange und bewegte Geschichte. Als Teil der Festung erbaut, wechselte sie nach deren Schleifung mehrmals den Besitzer und diente unterschiedlichen Zwecken. 1869 als Gaststätte mit Tanzsaal eröffnet, spielten Kunst und Musik jedoch seit Beginn der zivilen Nutzung eine wichtige Rolle.

Theatertruppen und Variétékünstler, Chansonniers, Militärkapellen sowie Musik- und Gesangsvereine seien bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs regelmäßig dort aufgetreten, schreibt Guy May in einem 2014 im Magazin Ons Stad veröffentlichten Beitrag. Nach dem Krieg vorübergehend als Haushaltungsschule genutzt, zieht 1932 die „Compagnie luxembourgeoise de radiodiffusion“ in die Villa Louvigny. Im gleichen Jahr wird das RTL-Orchester gegründet, das von Anfang an seinen Sitz in der Villa Louvigny hat. Als Leiter wird der luxemburgische Konzertmeister Henri Pensis engagiert.

1939 wird das RTL-Orchester aufgelöst. Erst nach Ende des Zweiten Weltkrieges wird es von Henri Pensis neu gegründet. 1952 wird dann das neue Teilgebäude der Villa Louvigny mit dem Auditorium eröffnet. In den folgenden drei Jahrzehnten probt und spielt das Orchester unter der Leitung von Pensis und seinem Nachfolger Louis de Froment regelmäßig mit namhaften Solisten in diesem Auditorium. Es entstehen zahlreiche Schallplattenaufnahmen, die im Archiv des „Centre national de l’audiovisuel“ (CNA) aufbewahrt werden.

„Tatsächlich wird in der Villa Louvigny europäische Musik-, Radio- und Schallplattengeschichte geschrieben. Hier spielt das Luxemburger Rundfunkorchester 1982 Olivier Messiaens Turangalîla-Symphonie ein – in Anwesenheit des Komponisten“, schreibt der Musikhistoriker Marc Jeck 2010 in der Festbroschüre zum fünfjährigen Bestehen der Philharmonie. „Akustisch einwandfrei“ sei die „Cathédrale de la radio“, wie der Raum bei seiner Eröffnung bezeichnet wurde, und dazu noch „eines der gültigsten Art-déco-Beispiele in Luxemburg und darüber hinaus“. Einziges Makel: Das Auditorium hat keine eigene Orgel, so dass bestimmte klassische Werke nur mit großem Aufwand eingespielt werden können.

Die Villa Louvigny neu beleben

Seit RTL vor über 20 Jahren seine Räume auf Kirchberg bezogen hat und das mittlerweile in „Orchestre philharmonique du Luxembourg“ umgetaufte RTL-Orchester 2005 in die Philharmonie umgezogen ist, steht das Auditorium der Villa Louvigny leer. Der Rest des Gebäudes wird vom Gesundheitsministerium und der „Direction de la santé“ genutzt. Auf der Bühne des Auditoriums, die mit einem Paravent von den Zuschauerrängen abgetrennt wurde, finden sehr sporadisch noch Versammlungen statt. Und neben den Sitzreihen stellen Mitarbeiter des Ministeriums ihre Fahrräder und Pappkartons ab. Ansonsten bleibt der große Konzertsaal weitgehend ungenutzt.

Dieser Umstand hat vor einigen Wochen die Abgeordnete Sam Tanson („déi gréng“) auf den Plan gerufen. In einer parlamentarischen Anfrage an Kulturminister Xavier Bettel wollte sie wissen, ob es möglich sei, das Auditorium wieder für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen, damit professionelle Musiker dort proben und aufnehmen könnten. Sie habe mit verschiedenen Künstlern geredet und festgestellt, dass es ein reelles Bedürfnis dafür gebe, meinte Tanson auf Nachfrage des Tageblatt. Insbesondere für die Aufnahme von Filmmusik fehle es an geeigneten Studios in Luxemburg und in der Großregion. Dass das Gesundheitsministerium den Rest des Gebäudes nutze, sei kein Hindernis. Auch schlägt Sam Tanson vor, wieder Konzerte im Auditorium zu organisieren und das gesamte Gebäude unter Denkmalschutz zu stellen. Als Vorbild nennt sie die „Maison de la Radio Flagey“ in Brüssel.

Tansons Ideen werden auch vom luxemburgischen Toningenieur Philippe Kohn geteilt. Kohn ist mit seiner Firma Philophon Studios in der Vertonung von Filmen tätig. „Außer der Philharmonie, dem Konservatorium und dem Kulturzentrum Neischmelz gibt es kaum vergleichbare Säle in Luxemburg“, sagt Kohn. Doch diese seien nur sehr bedingt verfügbar, um Musik- und Tonaufnahmen zu machen. „Durch ihre einzigartige Akustik ist das Auditorium der Villa Louvigny für Orchesteraufnahmen im Bereich der Filmproduktion geradezu prädestiniert“, meint Philippe Kohn. Auch für Konzerte würde sich der Saal wegen seiner 400 Zuschauerplätze hervorragend eignen.

Toningenieur Philippe Kohn

Doch vor allem die hervorragende Raumakustik der Villa Louvigny hat es dem Toningenieur angetan. „Heute wird nicht mehr so gebaut. Die Wände sind aus Holz. Das Holz arbeitet und dadurch wird die Akustik im Laufe der Jahre immer besser. Das ist wie bei einem Instrument“, schwärmt Philippe Kohn. Solche Strukturen heutzutage aufzubauen, wäre alleine aus Kostengründen schon fast nicht mehr möglich. Sogar Musikern aus dem Ausland sei das Auditorium ein Begriff, sagt Kohn.

Zukunft ungewiss

Auch die klassisch ausgebildete Cellistin Judith Lecuit lobt die ausgezeichnete Akustik des Auditoriums. In den meisten neuen Kulturzentren, die in den vergangenen Jahren gebaut wurden, müssten bei klassischen Konzerten Verstärker eingesetzt werden und dann sei das Resultat noch nicht, wie es sein sollte. Während ihrer Zeit beim OPL hat Judith Lecuit noch selbst in der Villa Louvigny geprobt. Heute ist sie Mitglied des „Orchestre de chambre du Luxembourg“ (OCL), das zurzeit auf der Suche nach einem neuen Sitz ist. Bislang war das OCL im Kinneksbond untergebracht. Doch das Kulturzentrum sei ausgelastet und in Mamer finde sich nicht das Zielpublikum für ein solches Orchester, meint Lecuit.

Die Cellistin Judith Lecuit

„Es wäre eine große Chance für uns, in der Villa Louvigny unterzukommen. Das OCL ist kleiner als das OPL, es würde optimal passen“, erklärt die Berufsmusikerin. Der Kammermusiksaal in der Philharmonie sei zwar sehr schön, aber wegen der vielen Auftritte von Orchestern aus dem Ausland ständig ausgebucht. Für die Musiker aus Luxemburg wäre das Auditorium der Villa Louvigny auch ein idealer Ort, um beispielsweise „Concerts du midi“ zu organisieren, sagt Lecuit. Sowohl Kohn als auch Lecuit heben die außergewöhnliche Jugendstil-Architektur und die „wunderschöne“, zentrale Lage des Auditoriums mitten im Stadtpark hervor. „Auf jeden Fall muss der Saal wieder leben“, fordert Judith Lecuit. Es wäre gut, wenn auch das Zentrum der Hauptstadt neben all den Museen wieder über einen würdigen Konzertraum verfügen würde.

Kulturminister Xavier Bettel (DP) sieht sich jedoch nur bedingt in dieser Angelegenheit zuständig, wie er in seiner Antwort auf die parlamentarische Anfrage der Abgeordneten Sam Tanson erklärt. Die Villa Louvigny werde auf Empfehlung des „Service national des sites et monuments“ zwar wohl unter Denkmalschutz gestellt, schreibt Bettel. Man warte nur noch auf das Gutachten des Staatsrats.

Für eine Neunutzung der Villa Louvigny sei aber nicht das Kulturministerium, sondern der gesamte Regierungsrat zuständig, meint der Kulturminister. Und dieser scheint sich noch nicht sonderlich mit der Angelegenheit befasst zu haben, ansonsten wäre Bettels Antwort wohl nicht so knapp ausgefallen.