Eisskulptur-UnfallVier Jahre nach Tod eines Zweijährigen: Staatsanwaltschaft will zehn Verfahren wegen fahrlässiger Tötung erreichen

Eisskulptur-Unfall / Vier Jahre nach Tod eines Zweijährigen: Staatsanwaltschaft will zehn Verfahren wegen fahrlässiger Tötung erreichen
Mit niedergelegten Blumen, Kerzen und Kuscheltieren gedachten in den Tagen nach dem Unglück zahlreiche Menschen des verstorbenen Jungen Foto: Editpress-Archiv/Alain Rischard

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Demnächst jährt sich zum vierten Mal ein tragisches Geschehen in Luxemburg, das weit über die Grenzen des Landes Trauer und Entsetzen hervorgerufen hat: Auf dem „Winterlights“-Weihnachtsmarkt in der Hauptstadt war eine Eisskulptur umgefallen und hatte ein zweijähriges Kind erschlagen.

Begriffe und Zuständigkeiten

„Die Ratskammer ,Chambre du conseil‘ ist ein Untersuchungsgericht, das in der Regel in Kollegialbesetzung (d.h. mit drei Richtern) und in nicht öffentlicher Sitzung tagt (d.h. die Sitzung ist nur für Angeklagte/Beschuldigte, Nebenkläger und ihre Anwälte zugänglich).

Die Ratskammer befasst sich mit dem Erledigungsverfahren nach Abschluss der Ermittlungsakte durch den Untersuchungsrichter: In dem Moment, in dem der Untersuchungsrichter seine Ermittlungen für abgeschlossen hält, übergibt er die Akte der Staatsanwaltschaft, die dann entscheiden kann, ob sie die Verfolgung des Angeklagten beantragt oder im Gegenteil die Verfolgung einstellt. Die Ratskammer entscheidet dann, ob der Angeklagte an ein Gericht, d.h. an eine Strafkammer oder das Polizeigericht, verwiesen wird oder nicht.

Wenn die Ratskammer beschließt, den Angeklagten nicht vor Gericht zu stellen, z.B. wenn die Tat weder ein Verbrechen noch ein Vergehen oder eine Übertretung darstellt, oder wenn der Täter unbekannt geblieben ist, oder wenn es keine ausreichenden Anklagen gegen den Angeklagten gibt, oder wenn die Tat verjährt ist, erklärt die Ratskammer per Beschluss, dass die Anklage nicht erhoben wird. Die Untersuchung gilt damit als abgeschlossen und kann nur dann wieder aufgenommen werden, wenn neue Erkenntnisse vorliegen.“

(Quelle: Erklärung der Justizbehörde / automatische Übersetzung aus dem Französischen)

Am Freitag (27.10.) hat die Justizverwaltung erklärt, dass sie die Eröffnung eines Verfahrens wegen fahrlässiger Tötung anstrebt. Neun natürliche Personen und eine juristische sollen angeklagt werden.

„Per Anklageschrift vom 25. Oktober 2023 legte die Staatsanwaltschaft Luxemburg der Ratskammer einen Antrag auf Verweisung von zehn Personen […] vor eine Strafkammer des Bezirksgerichts Luxemburg wegen fahrlässiger Tötung vor“, heißt es in der Mitteilung. Gleichzeitig wurde die Einstellung des Verfahrens gegen eine natürliche Person beantragt.

Um welche Personen es sich handelt, will die Justizbehörde aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes nicht sagen. Ein Sprecher stellt aber klar, dass die Bürgermeisterin der Stadt Luxemburg, Lydie Polfer (DP), nicht dazu zählt.

Diese gibt an, vom Abschluss der Ermittlungen erst aus der Presse erfahren zu haben. Die Bürgermeisterin der Gemeinde, die die „Winterlights“ im Jahr 2019 organisiert hatte, zeigt sich gegenüber dem Tageblatt erleichtert darüber, dass die Ermittlungen nach fast vier Jahren abgeschlossen sind. „Wir warten alle auf die Antworten und sind dabei nun einen Schritt weitergekommen“, sagt Polfer am Freitagnachmittag.

Die Justizbehörde erklärt den bisherigen Hergang so: „Nach dem Tod eines zweijährigen Kindes am 24. November 2019 am Knuedler hatte die Staatsanwaltschaft Luxemburg die Eröffnung einer Untersuchung wegen fahrlässiger Tötung beantragt. Im Rahmen dieser Untersuchung führte die Kriminalpolizei (‚Service de police judiciaire‘) unter anderem 30 Anhörungen und Vernehmungen durch. Im Januar 2020 wurde ein Sachverständigengutachten erstellt, im Februar 2021 ein Zusatzgutachten und im September 2023 ein Gegengutachten. Der zuständige Untersuchungsrichter erhob elf Anklagen und erließ am 23. Oktober 2023 seine Abschlussverfügung.“

Die Staatsanwaltschaft erinnert ausdrücklich daran, „dass gemäß dem Grundsatz der Unschuldsvermutung jede Person, der eine Straftat vorgeworfen wird, als unschuldig gilt, solange ihre Schuld nicht rechtmäßig nachgewiesen wurde“.

„Partizipative Skulptur“: Das später umgestürzte Kunstwerk (ganz rechts im Bild) ragte hoch auf und stand auf einer relativ kleinen Grundfläche. Dabei war es nicht nur dem milden Wetter ausgesetzt, sondern konnte von jedermann angefasst werden.
„Partizipative Skulptur“: Das später umgestürzte Kunstwerk (ganz rechts im Bild) ragte hoch auf und stand auf einer relativ kleinen Grundfläche. Dabei war es nicht nur dem milden Wetter ausgesetzt, sondern konnte von jedermann angefasst werden. Foto: privat

Hinterbliebene nicht vorab informiert

Die Anwältin der Familie teilt auf Nachfrage des Tageblatt mit, dass sie und die Eltern bisher nicht gesondert über den Abschluss der Ermittlungen informiert wurden – und dass dies eine gängiges Vorgehen sei, da die Eltern vor Gericht ja nicht als Beschuldigte gehört würden, sondern als Zeugen beziehungsweise Geschädigte.

Beim gemeinnützigen Luxembourg City Tourist Officedas seinerzeit den Auftrag zur Anfertigung der Skulpturen an eine Agentur mit Sitz in Frankreich vergab, will man zu den von der Staatsanwaltschaft veröffentlichten Informationen keine Stellung beziehen, sondern verweist auf die Gemeinde Luxemburg. Deren Pressestelle ist am Freitagnachmittag allerdings nicht mehr besetzt.

In Reaktion auf einen Facebook-Post wendet sich zudem die Mutter des gestorbenen Jungen an die Öffentlichkeit und weist darauf hin, dass der Tod ihres Sohnes am 24. November vier Jahre her sein wird. „Es ist traurig, dass der Untersuchungsrichter bis zu diesem Zeitpunkt blockiert war. Als Mutter hoffe ich, endlich Antworten auf Fragen zu erhalten wie ,Warum?‘ und ,Wo sind Fehler passiert?‘. In der Hoffnung, dass diese Fehler nie wieder passieren.“

Was vor vier Jahren geschah

Am Abend des 24. November 2019 ist auf dem Weihnachtsmarkt „Winterlights“ auf dem Knuedler in Luxemburg-Stadt ein zweijähriger Junge ums Leben gekommen. Er wurde von einem Teil einer umstürzenden Eisskulptur getroffen und starb noch vor Ort.

Nach dem Unglück sprach Bürgermeisterin Lydie Polfer von einer „partizipativen Skulptur“, die ausdrücklich als Fotomotiv genutzt werden sollte. Darum habe es auch keinerlei Absperrungen gegeben.

Bei der Skulptur handelte es sich um eine etwa 2,5 Meter hohe Nachbildung einer Holzwand. Auf Fotos von vor dem Unglück ist deutlich zu erkennen, dass die Skulptur etwas höher als breit war – aber wenig Tiefe hatte: Sie verfügte damit nur über eine relativ kleine Grundfläche, der Schwerpunkt lag sehr hoch. Offenbar verfügte das Werk auch nicht über eine stützende Struktur im Inneren.

Die Lufttemperatur lag im eher milden November den ganzen Tag deutlich über dem Gefrierpunkt. Laut der Wetter-Website kachelmanwetter.com wurden abends in der Stadt etwa 7 Grad Celsius gemessen.