Kopf des Tages„Viel mehr erlebt als ich schreiben kann“ – Wolf Biermann wird 85

Kopf des Tages / „Viel mehr erlebt als ich schreiben kann“ – Wolf Biermann wird 85
Wolf Biermann singt und spricht beim Festakt zur Übergabe des Archivs des Liedermachers und Dichters Wolf Biermann an die Staatsbibliothek zu Berlin  Foto: dpa/Bernd von Jutrczenka

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Wolf Biermann wird 85

Er ist ein deutsch-deutscher Dichter. Der Liedermacher Wolf Biermann kennt sich in den Welten Ost und West aus, mit und ohne Mauer. Nun wird er 85 – und kaum leiser.

Es gibt einige Menschen, die haben das unterschiedliche Leben in Ost und West kennengelernt. Aber kaum jemand hat über Anspruch und Realitäten, Widersprüche und Widerstände in den beiden deutschen Staaten DDR und BRD so viel geschrieben und gesungen wie Wolf Biermann. Songs wie „Ermutigung“ mit dem kämpferischen Einstieg „Du, lass dich nicht verhärten / In dieser harten Zeit“ oder „Warte nicht auf bessre Zeiten“ sind Klassiker des Aufbegehrens gegen Obrigkeiten. Am Montag (15. November) wird der deutsch-deutsche Liedermacher 85 Jahre alt.

Er lebt in Hamburg, feiert in Berlin. „Das Thema ist unlösbar. Der Wolf ist ein Hamburger und Biermann ist ein Berliner“, sagt der Lyriker im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Das Schöne ist, dass die Frage Hamburg oder Berlin inzwischen keine Religionsfrage mehr ist auf Leben und Tod, sondern so schön privat geworden ist seit der Wiedervereinigung. Wer ein Langweiler ist, ist überall ein Langweiler. Und wer lebendig leben kann, kann es sowohl in Berlin als auch in Hamburg.“

Apropos Religion. Biermanns jüngstes Buch „Mensch Gott!“ befasst sich in alten und neuen Texten ausgiebig mit dem Thema. Eine Altersfrage für den Atheisten? „Mit meinem Alter hat das überhaupt nichts zu tun“, widerspricht Biermann. „Seitdem ich Gedichte und Lieder schreibe, befinde ich mich in einem Disput mit Gott, an den ich allerdings nicht glaube.“ Er schreibe in der deutschen Sprache, die nur verstehen könne, wer Martin Luthers Werk sehr gut kenne. Als Luther die Bibel übersetzt habe, existierten noch viele deutsche Sprachen. „Er ist der Schöpfer unserer deutschen Sprache. Und egal ob jemand an Pflaumenmus oder an die Liebe glaubt, er muss Luther lesen und gerät so automatisch in diesen Disput.“

Alter ist auch ein Hinweis auf Endlichkeit. „Da ich lebendig lebe, muss ich nicht dauernd an den Tod denken. Es hat sich auch zu mir schon rumgesprochen, dass die Menschen sterblich sind“, sagt Biermann. Er möchte dann einen Platz auf dem Dorotheenstädtischen Friedhof in Berlin. Dort erwarten ihn Bertolt Brecht, Heiner Müller, Anna Seghers, Helene Weigel, Hanns Eisler oder Stephan Hermlin. „Und wenn ich irgendwann mal begraben werden muss, dann möchte ich gerne dort leben, wo ich wirklich viele vertraute Freunde habe und auch treue alte Feinde, mit denen ich mir die Zeit vertreiben kann, wenn ich tot bin.“

Freunde und Feinde sind Teil seines Lebens. Der in Hamburg geborene Biermann zieht 1953 in die noch junge DDR. Der jüdische Vater, überzeugter Kommunist, war zehn Jahre zuvor in Auschwitz ermordet worden. Mutter Emma schickt das Kind aufs DDR-Internat. Der Schritt ist auch als Rache gedacht, indem der Junge im Arbeiter- und Bauernstaat Vaters Wunschtraum vom Sozialismus umsetzten hilft.

In Ost-Berlin kann Biermann am Theater seines großen Vorbilds Bertolt Brecht arbeiten, wird von Hanns Eisler gefördert. Biermann bot aber mit seinen ebenso poetischen wie subversiven Liedern den Machthabern mutig und anhaltend die Stirn. Die SED-Oberen ziehen die Grenzen enger, 1965 kommt das Berufsverbot. Die Auseinandersetzungen mit Staat und Partei gipfeln 1976 in seiner Ausbürgerung, die in Ost und West einen Sturm der Entrüstung auslöst.

Eine Protestresolution gegen die Ausbürgerung liest sich wie eine Top Ten der DDR-Literatur: Stephan Hermlin, Erich Arendt, Jurek Becker, Volker Braun, Franz Fühmann, Sarah Kirsch, Günter Kunert, Heiner Müller, Rolf Schneider, Christa und Gerhard Wolf. Bis heute wird der Rauswurf des Sängers – dem noch viele beim Gang in den Westen folgen sollten – häufig als Anfang vom Ende der SED-Diktatur interpretiert, auch wenn es bis zum Fall der Mauer noch 13 Jahre dauerte.

Den Systemwechsel von DDR zu BRD muss er verdauen. „Als ich in den Westen geschmissen wurde, 1976 ausgebürgert wurde, ging es mir geradezu komisch schlecht. Ich jammerte rum“, sagt der Liedermacher. „Ich brauchte viele Jahre, um die Demokratie unserer Gesellschaft zu lernen.“ So hat er heute viel Verständnis für die unterschiedlichen Entwicklungen im geeinten Deutschland. „Die Ostdeutschen haben eben das Pech, dass sie nicht eine Diktatur hinter sich haben, sondern zwei Diktaturen.“ Das brauche Zeit. „Die Verwüstungen in den Menschen sind komplizierter, komplexer und langwieriger.“

Über die Jahrzehnte hat Biermann ein enormes Werk geschaffen: 24 Alben, mehr als 40 Publikationen von Gedichten, Übersetzungen, Nachdichtungen, Essays, Noten, Hörbüchern. In mehr als 100 großen Kisten voller Tagebücher, Manuskripte, Briefe, Fotos, Zeitdokumente hat Biermann sein privates Archiv bereits der Staatsbibliothek Berlin vermacht.

„Ich habe viel mehr erlebt als ich schreiben kann. Ich habe auch viel mehr erlebt als ich begreifen konnte“. Da gehe es ihm wie den meisten Menschen, findet Biermann. „Ich gehöre zu den Dichtern, die sich nichts ausdenken.“

Kritiker werfen Biermann häufig Arroganz, Überheblichkeit, Großmäuligkeit vor. „Ich habe mich niemals aus Gründen der Eitelkeit hinreißen lassen, irgendetwas Dummes zu tun“, sagt der Liedermacher. „Ich habe etwas Dummes getan, aber nicht aus Eitelkeit, sondern aus echter, ehrlicher Dummheit.“ Nach Fehlern „im Privaten mit der Liebe oder im Politischen“ habe er immer den Mut gehabt, sich deutlich und öffentlich zu korrigieren. „Und wenn ich es schaffte, habe ich daraus ein schönes Lied gemacht.“ (dpa)

Arm
17. November 2021 - 11.40

Wer hat NICHT vielmehr erlebt als er schreiben könnte?

Klod
16. November 2021 - 12.52

Biermann ist eines dieser irrlichter der den weg vom kommunisten zum rechten hetzer im us auftrag gefunden hat. Man erinnerre an seine bedingungslose unterstuetzung fuer den us einmarsch in den irak oder seine glorifizierung jedweder vom westen gesteuerten destabilisation .

Robert Hottua
14. November 2021 - 21.15

"Drum immer weg mit ihnen" (04.02.2016) Luther als Steigbügelhalter der Nazis Zur Eröffnung der Ausstellung über Martin Luthers Haltung zu Juden und Judentum in der Gerolzhöfer "Erlöserkirche" hielt der Theologe Dr. Axel Töllner einen Vortrag über "Die dunkle Seite der Reformation". Er ist der Beauftragte für den christlich-jüdischen Dialog der evangelischen Kirche. Am 31. Oktober 1517 hat Martin Luther in Wittenberg seine berühmten 95 Thesen angeschlagen. Und auch 500 Jahre später ist die Zugkraft des Reformators ungebrochen. Das zeigte der Vortrag von Dr. Axel Töllner zur Eröffnung der Ausstellung "Drum immer weg mit ihnen! – Luthers Sündenfall gegenüber den Juden". So war Pfarrer Reiner Apel als "Hausherr" dann auch angesichts der gut 50 Besucher "überrascht, dass sich so viele auf den Weg gemacht haben". Die Ausstellung beleuchtet indes, wie der Titel schon sagt, Luthers tiefdunkle Schattenseite als höhnischer Judenhasser, Judenfeind und somit als Steigbügelhalter der Nationalsozialisten bei ihrem barbarischen Vernichtungszug gegen die Menschen jüdischen Glaubens. Auch und gerade Hitler und seine Schergen bedienten sich der Zugkraft Luthers. Ob Zufall oder nicht, Tatsache ist, dass 1938 ausgerechnet am Geburtstag des Reformators, dem 10. November, die Synagogen in Deutschland brannten. Ganz so wie es Luther am Ende seines Lebens gefordert hatte, nämlich, dass man alle Synagogen niederreißen oder abbrennen solle, und den Juden verboten werden müsse, den Namen Gottes auszusprechen. Vom Teufel besessen, der Lüge verfallen, geldgierige Wucherer: so sah der Reformator Martin Luther zeit Lebens die Juden und lieferte damit den Nazis eine Steilvorlage. Es ehrt die evangelische Kirche, Luthers abstruse, verunglimpfende und diffamierende Ansichten sowie vor Gehässigkeit und Bösartigkeit sprühenden Äußerungen über die Juden nicht unter den Teppich zu kehren und erst recht nicht auf die sogenannte Luther-Dekade zur Erinnerung an den Thesen-Anschlag von Wittenberg Rücksicht zu nehmen. Pfarrer Reiner Apel stellte dementsprechend eingangs klar, man wolle mit der Ausstellung und ihren "zwölf Ständern, die voller Informationen stecken", deutlich machen, "dass wir eine leidvolle Geschichte haben, die die Propaganda für manche Leute lieferte und Vorurteile bestätigte." Luther und die Juden sei ein Thema, "wo wir uns dem Schatten unserer eigenen Geschichte stellen wollen". Dann hatte Alex Töllner das Wort. Der Theologe arbeitet am "Institut für christlich-jüdische Studien und Beziehungen" an der "Augustana"-Hochschule Neuendettelsau und ist der Beauftragte für den christlich-jüdischen Dialog der evangelisch-lutherischen Landeskirche in Bayern. "Die dunkle Seite der Reformation" überschrieb er seinen Vortrag. Töllner sprach von einer "schwierigen Ausstellung, die wenig Anlass zur Freude gibt." Der Pfarrer unterstrich: "Wir wollen uns aber intensiv damit auseinandersetzen." (...) URL: https://www.mainpost.de/regional/schweinfurt/Ausstellungen-und-Publikumsschauen-Christen-Juden-Kirchliche-Reformatoren-Nationalsozialisten-Pfarrer-und-Pastoren-Religionswissenschaft-Vortraege;art769,9105142 (Norbert Vollmann, mainpost.de, 04.02.2016) MfG Robert Hottua