Donnerstag30. Oktober 2025

Demaart De Maart

SerbienVermutlich inszenierte Krawalle überschatten Großdemonstration gegen die Regierung

Serbien / Vermutlich inszenierte Krawalle überschatten Großdemonstration gegen die Regierung
In Serbien haben am Samstag erneut zehntausende Menschen gegen die Regierung und für Neuwahlen demonstriert  Foto: AFP/Djordje Kostic

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Nach der von vermutlich inszenierten Krawallen überschatteten Großdemonstration gegen die Korruption feiert Serbiens Präsident Aleksandar Vucic überschwänglich seinen „Sieg“. Doch ob mit Propaganda oder Polizeiknüppel: Sein Land scheint er nicht mehr befrieden zu können.

Erst weit nach Mitternacht kühlte sich der erhitzte Asphalt in Serbiens Hauptstadt nach zwei Stunden blutiger Krawalle endlich ab. „Sie verprügeln die Studenten und schützen die Mafia“, klagte ein junger Mann am Belgrader König-Aleksandar-Boulevard, während sich die Polizeikräfte in Kampfmontur in einer langen Kolonne aus dem Zentrum zurückzogen. „Verhaftet Vucic, verhaftet Vucic!“, skandierten die wenigen verbliebenen Demonstranten den Namen des verhassten Landesvaters, während sie höhnisch den abziehenden Gesetzeshütern applaudierten.

38 verhaftete Demonstranten und 48 verwundete Polizisten vermeldete am Morgen nach der von Ausschreitungen überschatteten Demonstration das Innenministerium. „Serbien hat gesiegt“, zog derweil am Sonntag der allgewaltige Präsident Aleksandar Vucic zufrieden Bilanz der Krawallnacht – und kündigte weitere Verhaftungen von „Terroristen“ an. Er werde „keinerlei Begnadigungen unterzeichnen“: „Ich weiß nicht, was diese Leute gedacht oder was sie an ihren Fakultäten gelernt haben: Haben sie wirklich geglaubt, dass sie stärker als der Staat sind?“

Am „Veithstag“, dem serbischen Schicksalstag, hatten die seit Monaten gegen Korruption und Machtwillkür protestierenden Studenten am Samstag ihre Landsleute zur Großdemonstration nach Belgrad gerufen, um ihrer Forderung nach Neuwahlen Nachdruck zu verleihen. Laut unabhängigen Schätzungen gedachten 140.000 Menschen auf dem Slavija-Platz mit 16-minütigem Schweigen der 16 Todesopfer, die im November beim Einsturz des Vordachs im neu renovierten Hauptbahnhof von Novi Sad ihr Leben verloren hatten – dem Auslöser der monatelangen Protestwelle.

Ich weiß nicht, was diese Leute gedacht oder was sie an ihren Fakultäten gelernt haben: Haben sie wirklich geglaubt, dass sie stärker als der Staat sind?

Aleksandar Vucic, Präsident von Serbien

Bis zu ihrem offiziellen Ende gegen 21.00 Uhr ging die – nach den Protesten vom 15. März – zweitgrößte Demonstration der serbischen Geschichte ohne jegliche Zwischenfälle über die Bühne. Doch schon vorab hatte Staatschef Vucic am Samstagnachmittag wissen lassen, dass zwischen 20.45 und 21.45 Uhr mit Gewaltausbrüchen zu rechnen sei: „Wir sind dafür bereit.“ Ebenso merkwürdig wie seine genaue Zeitangabe wirkte auch seine Begründung: Es sei „unmöglich“, dass „jemand“ so viel Geld gegen ein Land investieren würde, „und dass sie dann nicht wenigstens etwas versuchen“.

Wie vom Präsidenten prognostiziert prasselten zwei Minuten vor Ablauf der von ihm genannten Frist die ersten Steine auf Polizeischilder und Helme. Die Werfer, mit Masken vermummte Jugendliche, wirkten allerdings eher wie Fußballhooligans als Studenten – und auch ihre Knüppel und Stäbe waren auf der Demonstration zuvor nicht gesichtet worden.

Der Verdacht, dass eingeschleuste Auftragsschläger die Ausschreitungen provoziert haben könnten, hegt nicht nur die Opposition. „Wenn Vucic wusste, was geschehen wird, warum haben die Geheimdienste die Krawalle dann nicht verhindert?“, fragte sich am Sonntag das Webportal „nova.rs“: „Und falls diese nicht geplant waren, warum wusste dann Vucic davon? Oder hat er etwa – was viele glauben – selbst dabei die Regie geführt?“

Beweise für den Verdacht gesteuerter Ausschreitungen gibt es bisher nicht. Aber es wäre in Serbien nicht das erste Mal, dass von der Regierung in Marsch gesetzte Hooligans Krawalle zur Diskreditierung von deren Gegner anzetteln.

Vucic scheint jedoch sein Land nicht mehr befrieden zu können: Einerseits verbauen ihm seine gefallenen Popularitätswerte den gewohnten Fluchtweg in vorgezogene Neuwahlen. Anderseits lassen auch vermehrte Repressionen, Propaganda und Knüppeleinsätze die Kritik an Willkürherrschaft, florierender Korruption und fehlenden rechtsstaatlichen Verhältnissen und die Forderungen nach Neuwahlen nicht verstummen.