Es war noch nicht ganz hell, als wir uns an einem frostigen Morgen um acht Uhr im Hof der Domaine L&R Kox versammelten. Cédric hatte die Wetterprognosen der vergangenen Tage genau verfolgt, und auch bei den anderen war leichte Skepsis zu spüren. Tageshöchsttemperaturen um die fünf Grad und angekündigte Niederschläge waren keine idealen Voraussetzungen für unseren ersten Einsatz im Weinberg.
Domaine-Tageblatt-Newsletter
Das Projekt ist ambitioniert und soll Einblicke in die Welt der Winzer verschaffen. Die Tageblatt-Redaktion wird in den kommenden anderthalb Jahren versuchen, ihren eigenen Wein herzustellen, in einer wöchentlichen Serie über Erfolg und Misserfolg berichten und dabei tiefere Einblicke in die Welt des Weinbaus geben.
Bleiben Sie über unsere Erfolge und Misserfolge informiert. Hier geht’s zu unserem Newsletter: Link.
„Ihr müsst ja nicht den ganzen Tag im Weinberg arbeiten, wenn es zu kalt ist oder zu sehr regnet“, beruhigte uns Corinne Kox, die nur zu gut weiß, dass wir unsere normalen Arbeitstage eher im Büro verbringen.

Doch das Wetter schreckte niemanden ab. Wir hatten uns wetterfest gekleidet, und selbst die gelegentlichen Schneeschauer konnten uns nichts anhaben. Nicht jeder aus der Redaktion konnte den ganzen Tag bleiben, doch insgesamt waren wir zu zehnt vom Tageblatt vertreten. Wobei das nicht ganz korrekt ist, denn wir erhielten tatkräftige Unterstützung von außen: Rémy Bintener, ein treuer Tageblatt-Leser mit jahrelanger Erfahrung im Obstbaumschnitt, hatte sich bei uns gemeldet und seine Hilfe angeboten – ein Angebot, das wir dankend annahmen.
Bevor es in unsere Parzelle auf den Remicher Galgenberg ging, gab Corinne uns noch ein paar Anweisungen mit auf den Weg und erläuterte die Grundlagen des sanften Rebschnitts.
Es ist wie bei den Menschen: Je älter, desto eigensinniger

In der Praxis zeigte sich jedoch schnell, dass Theorie und Anwendung zwei verschiedene Welten sind. Laurent, Marc, Théo und Mirek, die erfahrenen Mitarbeiter der Domaine Kox, führten uns in die Feinheiten des sanften Rebschnitts ein. Bei dieser Technik wird darauf geachtet, der Pflanze möglichst wenige Wunden zuzufügen und den Saftfluss nicht zu beeinträchtigen. Der sanfte Rebschnitt schützt die Reben vor Krankheiten und verlängert ihre Lebensdauer. So weit die Theorie.
Unsere Parzelle mit alten Rivaner-Rebstöcken stellte allerdings eine besondere Herausforderung dar: Sie eignete sich nicht ideal, um die Technik zu erlernen. Der Winterschnitt ist eine der wichtigsten Pflegemaßnahmen im Weinbau, da er nicht nur die nächste Ernte, sondern auch die Qualität der Erträge in den Folgejahren beeinflusst. Umso mehr wurde uns klar, warum Corinne uns ihre Mitarbeiter an die Seite gestellt hatte – schließlich soll die Parzelle auch nach Abschluss unseres Projekts noch Ertrag bringen.
Beliebt bei jungen Winzern
Marc und Laurent entschieden, uns den sanften Rebschnitt zunächst in benachbarten Parzellen mit jüngeren Reben zu demonstrieren. Dabei wurde schnell deutlich, dass diese Technik nicht in einem Crashkurs an einem einzigen Tag erlernt werden kann. Besonders die jüngere Winzergeneration hat sich diese Methode zu eigen gemacht, die viel Erfahrung und Fingerspitzengefühl erfordert.
Der Rebschnitt ist ein Handwerk für sich, wie wir feststellen mussten: Auf einer Seite des Rebstocks wird eine längere Fruchtrute und ein kleiner Zapfen zurückgeschnitten, auf der anderen Seite bleibt lediglich ein Zapfen stehen. Dabei wird der Zapfen auf zwei Augen zurückgeschnitten. Das obere Auge zeigt nach oben, damit sich im folgenden Jahr eine neue Fruchtrute entwickeln kann. Beim sanften Rebschnitt wird zudem nur junges, maximal ein- bis zweijähriges Holz zurückgeschnitten.
Der sanfte Rebschnitt
Der sanfte Rebschnitt stellt einen Paradigmenwechsel dar, wie der deutsche Weinbau-Experte Hanns-Christoph Schiefer in einem Artikel im Magazin Weinbau zusammenfasst. Statt die Reben durch großflächige Eingriffe zu stressen, wird ihre natürliche Vitalität gefördert. Dies sorgt nicht nur für bessere Weinerträge, sondern auch für nachhaltigen Weinbau, da die Reben über Jahrzehnte gesund bleiben. Die Methode verlangt allerdings ein hohes Maß an Geschick und Wissen, da jeder Rebstock individuell betrachtet werden muss.
Die Methode wurde in den 1980er-Jahren von den friulanischen Agronomen Marco Simonit und Pierpaolo Sirch entwickelt und trägt ihren Namen. Der sanfte Rebschnitt basiert auf der Beobachtung alter Weinbaupraktiken und wurde mit wissenschaftlichen Erkenntnissen über den Saftfluss und die Wundheilung bei Reben kombiniert.
Die Technik legt besonderen Wert darauf, Verletzungen an den Reben zu minimieren und den Saftfluss aufrechtzuerhalten. Das Ziel ist es, durch möglichst kleine Schnitte nur im jungen Holz die Leitbahnen intakt zu halten. Große Schnittwunden, vor allem im alten Holz, können Pilzkrankheiten wie Esca oder Eutypiose fördern, da diese durch die Wunden eindringen und die Leitbahnen verstopfen. Solche Schäden bleiben oft unbemerkt, können jedoch langfristig die Vitalität der Rebe beeinträchtigen oder gar zu ihrem Absterben führen.
Die Methode setzt auf den Erhalt der natürlichen Wachstumsstruktur der Reben. Dabei wird die Fruchtrute jedes Jahr so angeschnitten, dass sie auf bestehende Leitbahnen aufbaut. Dies gewährleistet eine ungestörte Versorgung der Pflanze.
Nach etwa 50 Rebstöcken suchte ich weiterhin vor jedem Schnitt Rücksprache mit Marc – und lag dennoch oft daneben. Der Wechsel in unsere Parzelle mit den alten Rivaner-Rebstöcken brachte mich schließlich völlig aus dem Konzept. „Es ist wie bei den Menschen: Je älter, desto eigensinniger“, kommentierte Laurent trocken. Jeder Rebstock sah anders aus, was es für mich unmöglich machte, die richtigen Schnitte zu erkennen.
Wo bleibt die KI?

Ganz bald wird künstliche Intelligenz Abhilfe schaffen: Eine App, die den Rebstock scannt und anzeigt, wo Fruchtrute und Zapfen geschnitten werden müssen, befindet sich bereits in der Testphase. Doch wenn ich sehe, wie routiniert Laurent, Marc und Théo die Rebstöcke in Sekundenschnelle bearbeiten, fällt es mir schwer, mir vorzustellen, dass sie jemals auf diese App angewiesen sein könnten – höchstens bei besonders „eigenwilligen“ Rebstöcken.
Meinen Kolleginnen und Kollegen erging es ähnlich wie mir. Daher beschränkten wir uns später darauf, das geschnittene Holz aus den Drähten zu ziehen und die Fruchtruten sauber zu schneiden. Dabei lernten wir auch, was es heißt, in einem steilen Weinberg zu arbeiten: Zwar blieb der große Sturz aus, doch der rutschige, matschige Boden forderte unseren Gleichgewichtssinn heraus. Auf jeden Fall wissen wir nun, was Guy Krier, Präsident der Privatwinzer, bei seiner Neujahrsansprache damit meinte: „D’Qualitéit wiisst am Wéngert.“ Und um diese Qualität zu gewährleisten, ist auch im Winter jede Menge Arbeit notwendig.
Tipps und Feedback
Wollen Sie uns bei unserem Projekt unterstützen, uns Tipps und Feedback geben, dann kontaktieren Sie uns über unsere Facebook-Seite oder per E-Mail an [email protected].
Nach etwa sieben Stunden hatten wir einen Großteil unserer Parzelle bearbeitet. Der Rest wird im Laufe dieser Woche erledigt – voraussichtlich mit prominenter Unterstützung. „Vergesst nicht, euch etwas Warmes zu trinken mitzunehmen. Nächste Woche wird es kalt“, gab Laurent uns noch mit auf den Weg.

Wou d’Rief laanscht d’Musel dofteg bléit …
… bis wir diesen Duft wahrnehmen können, ist es noch ein paar Monate hin. Zuvor hält uns die vinophile Götterwelt aber noch ein paar Hürden parat. Für den 7. Januar hatte uns unsere Mentorin Corinne Kox für 8.00 Uhr zum Rebschnitt einbestellt – also mitten in der Nacht. Um diese Zeit pflege ich gemeinhin erst aus den warmen Federn zu steigen.
Die Wetterfrösche hatten Kapriolen angesagt, also habe ich mir am Abend zuvor zu Hause wie beim Militärdienst einen Alarmstuhl gebaut: dicke Socken, festes Schuhwerk, Schal, Mütze, Handschuhe und lange Unterhose. Da die mir Angetraute von unserem Projekt wusste, fand ich zudem in meinem Adventskalender auch noch Sohlenwärmer (50°).
War aber auch alles vonnöten, denn uns erwartete das volle Programm: Kälte, Nieselregen, Regenschauer, Sturmböen, Schnee und gegen Mittag zeigte sich sogar die Sonne. Irgendwann konnte ich die Rebschere nicht mehr drücken, so kalt waren meine Finger. Das Team der Domaine Kox hat uns professionell angeleitet und ich glaube, sagen zu können: Wir haben einen tollen Job gemacht und das Respektlevel vor des Winzers Mühen ist noch einmal gestiegen.
Das Profil meiner Schuhe habe ich mit einer Flaschenbürste gereinigt.
By the way: Komm mir da draußen bloß niemand mehr, der sich echauffiert, wenn ein Glas Wein 3 oder 4 Euro kostet. Zum Wohl auf die Mosel! (Herbert Becker)
Lesen Sie auch:
Sie wollen mehr über die Domaine Tageblatt wissen? Hier gibt es alle Artikel zu diesem Projekt
De Maart















Sie müssen angemeldet sein um kommentieren zu können