Immer mehr EU-Staaten in Mittel- und Südosteuropa fordern Ausnahmeregelungen oder längere Lauffristen für das von der EU-Kommission vorgeschlagene Öl-Embargo. Am kompromisslosesten widersetzt sich ausgerechnet ein Staat, dessen Regierung besonders enge Bande zu Moskau pflegt: Mit Verweis auf seine starke Abhängigkeit von russischen Energielieferungen will Ungarn das Embargo notfalls per Veto verhindern.
Der Sanktionsvorschlag sei „inakzeptabel“, bekräftigte am Donnerstag der für internationale Beziehungen zuständige Staatssekretär Zoltan Kovacs gegenüber der BBC Ungarns Veto-Absicht: Dieser richte sich „gegen Ungarns Interessen“. Ein Ölembargo würde das Fundament von Ungarns Energieversorgung „komplett zerstören“, sagt Außenminister Peter Szijjarto. Deren Ablehnung sei „keine Frage des mangelnden politischen Willens“: Für Ungarns Wirtschaft sei es einfach „physisch unmöglich“, ohne russisches Erdöl auszukommen.
Als Putin-Freund hat sich Ungarns Premier Viktor Orban im Ukraine-Krieg einen eher zweifelhaften Namen gemacht. Trotzdem hat er bisher alle EU-Sanktionen gegen Russland mitgetragen. Bereits Anfang März hatte der Chef der rechtspopulistischen Fidesz-Partei allerdings aus seiner Ablehnung der Ausweitung der Sanktionen auf den Energiesektor keinen Hehl gemacht: „Wir verurteilen den Angriff Russlands. Aber wir werden nicht zulassen, dass ungarische Familien den Preis für den Krieg zu bezahlen haben.“
Wir verurteilen den Angriff Russlands. Aber wir werden nicht zulassen, dass ungarische Familien den Preis für den Krieg zu bezahlen haben.
Aber sind es tatsächlich nur wirtschaftliche Gründe oder auch die Rücksicht auf Moskau, die Budapest gegen ein Öl-Embargo Sturm laufen lassen? Der Slowakei, die auch auf eine Ausnahmegenehmigung drängt, schlägt wegen ihrer vorbehaltlosen Unterstützung der Ukraine weniger Misstrauen entgegen. Die gespannten Beziehungen zwischen der Ukraine und Ungarn haben sich seit Kriegsausbruch hingegen weiter verschlechtert. Kiew wirft Ungarn gar vor, im Krieg auf die „Rückgewinnung“ früherer Gebiete in der Westukraine zu spekulieren – ein Vorwurf, den Budapest empört zurückweist.
Tatsächlich sind es weniger politische Gründe als die starke Abhängigkeit von russischen Energieimporten, die Budapest gegen das Öl-Embargo auf die Barrikaden gehen lässt. Laut Angaben der Internationalen Energie-Agentur (IEA) deckt Ungarn 58 Prozent seines Erdölbedarfs mit russischen Importen ab. Budapest spricht gar von 65 Prozent.
Auch bei den Gasimporten (85 Prozent) hängt der Binnenstaat ohne Meereszugang am russischen Tropf – und den Pipelines aus dem Osten. Selbst beim Ausbau der Atomenergie, die bisher 16 Prozent des ungarischen Energiebedarfs deckt, setzt Ungarn auf den Moskauer Staatskonzern Rosatom und russische Kredite. Während beispielsweise Polen seine Energieversorgung seit 2015 bewusst diversifizierte, hat Ungarn seine Energieabhängigkeit von Russland gezielt vergrößert. Erst im letzten Jahr unterzeichnete Orban ein neues Gaslieferabkommen mit der Gazprom.
Den Sachzwang der Energieabhängigkeit von Russland hat sich Ungarn – ähnlich wie andere EU-Staaten – selbst geschaffen. Anders als beispielsweise Deutschland, das den Anteil russischer Erdölimporte in wenigen Wochen von 35 auf zwölf Prozent reduzieren konnte, hat Budapest seit Kriegsausbruch aber keinerlei Anstalten gemacht, diesen zu verringern.
„Barocke Übertreibungen“
Ungarn werde „in den nächsten drei bis fünf Jahren“ nicht in der Lage sein, sich Alternativen zu den russischen Energieimporten zu sichern, versichert Staatssekretär Kovacs. Allein die Umstellung in den auf die Verarbeitung von russischem Öl ausgerichteten Raffinerien würde 2-4 Jahre und erhebliche Mittel erfordern, klagt Zsolt Hernadi, der Vorstandschef des Mineralölkonzerns MOL.
Unabhängige Medien in Ungarn stimmen dem Klagegesang der Regierung und des MOL-Konzerns nur bedingt zu. Ein Ölembargo dürfte zwar vor allem auf dem Dieselmarkt „Chaos“ auslösen und könnte eine „echte Herausforderung sein“, schreibt das Webportal des Wochenmagazins HVG: „Allerdings nicht in dem Maße, wie das die Regierung und die MOL kommunizieren.“
HVG zitiert einen anonymen Fachmann der Branche, der von „barocken Übertreibungen“ der Umstellungsprobleme in den Raffinerien spricht. Es gebe auf den Weltmärkten eine Reihe von Ölsorten, deren Zusammensetzung dem des russischen Öls „sehr nahe“ komme. Zumindest bei der Anlieferung des Erdöls verfügt Ungarn über Alternativen. 2021 wurden 1,8 Millionen Tonnen Erdöl aus Kroatien durch eine Abzweigung der Adria-Pipeline angeliefert – 36 Prozent von Ungarns Erdölimporten. Eine Erhöhung der Kapazitäten könnte „mit einigen Investitionen arrangiert“ werden, ist HVG überzeugt: Dies würde ausreichen, um Ungarns Jahresbedarf an Erdöl zu decken.
De Maart
Orban wurde wiedergewählt. Das Volk hat entschieden.Gegen die EU und für den Kriegstreiber. " Siegen oder untergehn." Man sollte sich über den Verbleib Ungarns in der EU noch einmal Gedanken machen.