Tageblatt: Herr Godart, der Venuskamm wurde nach mehr als 60 Jahren in Luxemburg wiederentdeckt. Eigentlich galt die Ackerpflanze als ausgestorben. Wie haben Sie diese Nachricht empfangen?
Cédric Godart: Das war eine absolute Sensation, weil niemand mehr damit gerechnet hat, diese Art hier noch zu finden. Durch die moderne Landwirtschaft sind seit Mitte des 20. Jahrhunderts viele Ackerarten ausgestorben. Der Venuskamm kommt auch im Saarland, in Lothringen und in Wallonien so gut wie gar nicht mehr vor. Und umso erfreulicher war es, dass es nicht nur ein einzelnes Exemplar war, sondern eine große Population – über hundert Pflanzen. Das war in diesem Fall völlig unerwartet.
Wie wurde der Venuskamm wiedergefunden?
In Mondorf wurde auf allen Äckern eine Überwachung durchgeführt. Das lief über die Monitoring-Strategie, die über den „Naturpakt“ finanziert wird. Ein externes Monitoring-Büro hat das umgesetzt. Und die haben den Venuskamm jetzt Ende Juni gefunden.
Der Venuskamm
Der Venuskamm, auch Nadelkerbel oder Nadelkörbel genannt, gehört zu den sogenannten Segetalarten: Ackerwildkräuter, die traditionell zwischen Kulturpflanzen wie Weizen, Roggen und Gerste wachsen. Die senkrecht und parallel zueinander stehenden Früchte erinnern an einen Kamm – daher der Name. Die Pflanze hat eine Vorliebe für sommerwarme, trockene Kalkböden. Deswegen war sie in Luxemburg vor allem in der Moselregion verbreitet.
Das heißt, dort gehen regelmäßig Leute über die Felder und bestimmen Pflanzen?
Genau, das sind Botaniker, die das gelernt haben. Die laufen tatsächlich über die Äcker, vor allem am Ackerrand. Dort kommen die meisten Wildpflanzen vor, weil dort der Einsatz von Herbiziden und die Bodenbearbeitung nicht so stark sind wie in der Mitte. Der Venuskamm wurde auch am Ackerrand gefunden, also genau zwischen Feld und Feldweg.
100 Exemplare wurden auf einen Schlag gefunden. Bedeutet das, dass die Population dort weiterhin überleben kann?
Ja, wir gehen davon aus, dass sie dort stabil existieren kann. Wir glauben auch nicht, dass sie sich neu angesiedelt hat, sondern wahrscheinlich schon immer dort war. Nur: Wenn niemand hinschaut, weiß auch niemand, dass die Pflanze dort wächst. Genau deshalb ist das Monitoring wichtig – weil wir auch Äcker anschauen, die lange unbeachtet geblieben sind. Wahrscheinlich gab es die Pflanze schon vor 20, 30 oder 50 Jahren dort in größerer Zahl. Jetzt ist es vielleicht die letzte Population. Wenn der Acker weiter intensiv bewirtschaftet wird, könnten sie aber wieder verschwinden.
Was sollte der Bauer jetzt konkret tun, damit die Population nicht nur stabil bleibt, sondern vielleicht sogar wächst?
Am besten wäre es, auf Herbizide zu verzichten. Aber man kann die Bauern verstehen: Unkrautbekämpfung ist nötig, sonst breiten sich andere, viel stärkere Unkräuter aus, die den Ertrag mindern. Der Venuskamm dagegen ist sehr klein, nur 10-15 Zentimeter hoch, und fällt im Feld gar nicht auf. Er mindert den Ertrag nicht. Aber wenn man ganz auf Spritzen verzichtet, kommen eben auch problematische Arten. Deshalb könnte man auch mechanisch gegen Unkraut vorgehen, mit Hackgeräten. Das ist aber zeitaufwändig. Deshalb gibt es Fördermaßnahmen des Umweltministeriums: Wer auf Pestizide verzichtet, erhält eine Entschädigung. Viele Bauern nutzen das inzwischen. Genau das wollen wir auch hier mit dem Landwirt verhandeln.
Welche ökologische Bedeutung hat der Venuskamm?
Das ist schwer pauschal zu sagen. Aber mit jeder Pflanzenart, die ausstirbt, verschwinden in der Regel zehn Tierarten, die von ihr abhängen – Bestäuber zum Beispiel. Der Venuskamm hat eine spezielle Blüte, die nur bestimmte Bestäuber nutzen können. Stirbt er aus, verlieren diese ihre Nahrungsquelle. So funktioniert das auch im gesamten Ökosystem: Wenn eine Art ausstirbt, zieht das eine ganze Kette von weiteren Arten nach sich, die ebenfalls darunter leiden. Gerade bei den Ackerarten ist das ein großes Problem.
Das SIAS sammelt auch Saatgut des Venuskamms, um die Verbreitung weiter zu fördern. Warum?
Wir sammeln die Samen und bringen sie gezielt auf andere geeignete Flächen aus, wo schon nachhaltig gewirtschaftet wird. So entstehen neue Populationen. Allein würde es die Pflanze sehr schwer haben, sich über größere Distanzen auszubreiten. Wir machen das im gesamten SIAS-Gebiet im Osten Luxemburgs. Dort gibt es die kalkhaltigen Böden, die die Pflanze braucht. In Remich oder Grevenmacher etwa gab es früher Populationen des Venuskamms.
Was wünschen Sie sich von Politik und Gesellschaft für den Schutz solcher Ackerpflanzen?
Die Politik ist auf einem guten Weg. Es gibt inzwischen eine Arbeitsgemeinschaft für Ackerwildpflanzen. Das Umweltministerium ist sich bewusst, dass Handlungsbedarf besteht. Schwieriger ist es bei den Landwirten, weil sie natürlich Ertrag brauchen. Aber es gibt Biobauern, die zeigen, dass es auch ohne Herbizide funktioniert und die trotzdem gute Erträge haben. Da braucht es Aufklärung und Sensibilisierung. Wir arbeiten viel mit den Landwirten zusammen, wir kennen in unserer Region fast jeden. Wir müssen diese Nähe nutzen, um gemeinsam mit den Bauern auf den Weg einer nachhaltigeren Landwirtschaft zu gehen.
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