Der am Vortag vom Sejm mit einer großen Mehrheit mit der Regierungsbildung beauftragte neue Premierminister legte in einer gut zweistündigen Rede dar, wie der seit 2015 von den Rechtspopulisten unter Jaroslaw Kaczynski völlig seiner Partei PiS unterworfene Staat wieder freiheitlich und pluralistisch werden soll. Tusk versprach den Polen eine Abrechnung mit dem System PiS sowie strafrechtliche Konsequenzen für fehlbare Minister und Staatsbeamte, die die Verfassung oder andere Gesetze gebrochen hätten.
Insgesamt aber schlug der erfahrene liberale Innen- und EU-Politiker dennoch versöhnliche Töne an. So versprach er den Polen, die von PiS eingeführten Sozialleistungen wie das beliebte Kindergeld und die Zusatzrenten nicht zu streichen. Den in Polen seit Jahrzehnten unterbezahlten Lehrern garantierte er massive Lohnerhöhungen von 30 Prozent. Gleichzeitig machte Tusk klar, dass er mit seinem Kabinett alles daransetzen werde, den Rechtsstaat wiederherzustellen. „Aus Brüssel bringe ich bald Milliarden zurück“, versprach Tusk in Anspielung auf die wegen des Rechtsstaatsstreits eingefrorenen rund 75 Milliarden Euro aus dem Corona-Wiederaufbauplan.
Vor allem in der EU- und Außenpolitik kündigte Tusk eine 180-Grad-Wende an. Polen werde sich in der EU wieder solidarisch zeigen und wolle dort künftig eine Leader-Position einnehmen, sagte Tusk, der auch klar machte, dass er selbst als ehemaliger EU-Ratspräsident das Verhältnis mit Brüssel wieder entkrampfen will. Seinem Europaminister Adam Szlapka (KO) soll dabei offenbar eher eine Helferrolle zukommen. Und Radoslaw Sikorski (KO), den Tusk erneut als Außenminister in sein Kabinett berufen hat, soll sich eher um das transatlantische Verhältnis kümmern. Tusk ließ auch durchblicken, dass Polen zwar dezidiert pro-amerikanisch bleibt, aber sich im Gegensatz zu PiS nicht Donald Trump anzudienen gedenkt, sollte dieser im Herbst 2024 Joe Biden besiegen. Dabei betonte der neue polnische Regierungschef, der bereits 2007-14 Polens Premier war, dass Warschau mit den USA vor allem im Rahmen der NATO zusammenarbeiten wolle. Auffällig war dabei das Bekenntnis zu den von PiS nach dem russischen Angriff auf die Ukraine massiv erhöhten polnischen Verteidigungsausgaben.
Kooperation statt Blockadehaltung
In der polnischen Ukraine-Politik versprach Tusk eine Entspannung. PiS hatte sich zuletzt vor allem aus wahltaktischen Gründen einen gefährlichen Getreidestreit mit Kiew geliefert und ukrainische Agrarexporte durch und nach Polen blockiert. Tusk forderte eine „vollständige Mobilisierung der freien Welt und des Westens“ für neue Waffenlieferungen an die Ukraine. Bei der vor allem von der rechtsradikalen „Konföderation“ unterstützten Blockade der meisten Grenzübergänge in die Ukraine durch polnische Lkw-Fahrer versprach Tusk eine „rasche Lösung“. Beobachter sehen in der seit kurzem auch von ungarischen und slowakischen Lkw-Fahrern in ihren Ländern unterstützten Blockade einen Versuch pro-russischer Kräfte, die Waffenlieferungen an die Ukraine zu erschweren.
Donald Tusk erwähnte in dem langen außenpolitischen Teil seiner Regierungserklärung weder die von Kaczynski gehätschelte „Visegrad-Gruppe“ noch die „Drei-Meeres-Initiative“, eine Art Gegen-EU. Gleichzeitig pochte der baldige Premier indes auf Warschaus Interessen. „Wir stimmen keinen EU-Vertragsänderungen zu, die Polens Interessen zuwiderlaufen“, warnte er. Bei der EU-Migrationspolitik kündigte Tusk allerdings Kooperation statt der bisherigen Blockadehaltung Warschaus und Budapests an. Dennoch erwarten manche Beobachter einen harten Verhandlungspartner in Brüssel, der im Unterschied zur PiS nicht einfach ausgelacht und marginalisiert werden kann.
„Es handelt sich um eine Politik der Rache und des subtilen Betrugs der Gesellschaft“, kommentierte PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski, der neue Oppositionsführer im Sejm, der über fast 200 stramm hinter ihm stehende Abgeordnete verfügt. Am Montag hatte er Tusk offen als „deutschen Agenten“ bezeichnet. Tusk indes hat angekündigt, seine erste Auslandsreise ins Baltikum zu machen.
De Maart
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