Das Zelt an der Mosel ist prall gefüllt, im Inneren dominiert die Farbe Grün. Und während sich erste Besucher auf der gegenüberliegenden Straßenseite Plätze auf den Liegewiesen in der warmen Mai-Sonne sichern, läuft LCGB-Präsident Patrick Dury bei seiner 1.-Mai-Rede auf Hochtouren. Nach einem kurzen Exkurs zur außen- und verteidigungspolitischen Realität in Europa kommt das, was sich jeder Gewerkschafter im Zelt an diesem Tag der Arbeit erwartet hat: schärfste Kritik an der CSV-DP-Regierung, 40 Minuten lang. Nur Jubel, Trillerpfeifen und lautstarker Beifall ermöglichen Dury die eine oder andere Verschnaufpause. „Auf Regierungsseite wurde ein Paradigmenwechsel, das heißt eine grundlegende Änderung der sozialen Werte durchgeführt“, ruft Dury ins prall gefüllte Zelt. „Das wird dann klar, wenn man sieht, wie die Regierung gegen die Sozialpolitik der Gewerkschaften vorgeht.“
Premierminister Luc Frieden, Arbeitsminister Georges Mischo, Gesundheitsministerin Martine Deprez (alle CSV) und Kulturminister Eric Thill (DP) schlägt an diesem Mai der gewerkschaftliche Frust der Gewerkschaftsfront des LCGB und des OGBL entgegen. Ein symbolischer Gruß geht nämlich direkt am Anfang von Durys Rede Richtung Abtei Neumünster, wo sich der OGBL seit mehreren Jahren für sein 1.-Mai-Fest versammelt. Am Zelteingang in Remich hängt ein Banner beider Gewerkschaften, das zur Manifestation am 28. Juni aufruft. „Nächstes Mal machen wir den politischen Teil vielleicht gemeinsam“, meinte Dury noch vor Beginn gegenüber dem Tageblatt. Die Gewerkschaftsfront lässt sich an diesem 1. Mai nicht entzweien. Auch dann nicht, wenn die Regierung in der ersten Reihe sitzt.

Patronatskumpanen Frieden, Mischo und Deprez
„Von Verhandlungen mit Gewerkschaften ist keine Rede mehr“, sagt Dury. Von Verbesserungen im Kollektivvertragsgesetz, der Stärkung der national repräsentativen Gewerkschaften und mehr Argumenten, um Kollektivverträge auszuhandeln, wolle niemand mehr etwas wissen. Im Klartext bedeute dies, dass das Patronat im eigenen Betrieb schalten und walten könne, wie es wolle. „Und unsere Kumpanen aus der Regierung machen das auf Kosten unserer Steuerzahler mit.“
Luc Frieden und Georges Mischo ertragen die Kritik mit starrer Miene, nur ab und an wandert der Blick durchs Zelt. Aufmunternde Blicke werde ihnen keine zuteil, auch nicht von Friedens Sitznachbarn Jean Spautz oder seinem Gegenüber Marc Spautz. Nur der Griff zum Wasserglas scheint für Frieden und Co. für Erfrischung in der äußerst hitzigen Atmosphäre zu sorgen. So wie die Regierung mit dem Privatsektor umspringe, das würde sie sich niemals mit dem öffentlichen Dienst erlauben – Luc Frieden trinkt einen Schluck Wasser. „Es geht darum, im Privatsektor die Gewerkschaften auszuhebeln, auszugrenzen, auszumanövrieren, um in einer zweiten Phase dann Arbeitszeiten zu flexibilisieren, Löhne in Frage zu stellen und Renten zu kürzen“, ruft Dury. Georges Mischo greift zum vermeintlich rettenden Wasserglas, rundherum werden die Aussagen von Dury beklatscht. Vereinzelt sind auch immer wieder Buhrufe Richtung Regierung zu vernehmen.
Doch nicht nur Frieden und Mischo müssen beim LCGB Kritik einstecken. Auch die Miene von Ministerin Martine Deprez – vor Beginn noch gut gelaunt vor dem Zelt – wird sich mit fortwährender Dauer versteinern. „Die Renten substanziell zu kürzen, wie das Patronat das fordert, ist keine akzeptable Herangehensweise“, ruft Dury. Deprez nickt anfangs noch zustimmend. Die neoliberalen Forderungen vonseiten des Patronats seien für die beiden Gewerkschaften inakzeptabel. Und die Reaktion der Regierung? „Auf Vorschlag der Gewerkschaften hin, unser Rentensystem durch neue Einnahmen zu stärken, bekommen wir nur die Antwort, dass es nichts kosten darf“, ruft Dury. „Anstelle von Verhandlungen im Tripartite-Format zieht die Ministerin eine Show ab.“ Das zustimmende Nicken weicht auch bei Deprez dem Griff zum Wasserglas. Kulturminister Eric Thill nickt der Regierungskollegin aufmunternd zu und entlockt Deprez ein kurzes Lächeln. Dury fährt auf der Bühne unterdessen mit seiner Kritik an der Rentendebatte fort. „Ein Volkstheater, eine Fassade à la Potemkin mit viel Nebel – der Showmaster von ‚Dalli Dalli’ kann hier nur vor Neid platzen.“ Der LCGB könne zusammen mit dem OGBL eine solche Herangehensweise nur zurückweisen. Ministerin Deprez ist mittlerweile erstarrt und lässt sich auch dann keine Reaktion entlocken, als Dury darauf verweist, dass bei der 78-Wochen-Regel für Langzeiterkrankte noch nichts passiert sei. „Die Ministerin hat uns ihr Wort gegeben“, ruft Dury. „Nach einem Jahr ist immer noch nichts passiert! Nada!“
Keine demokratische Legitimierung
Premierminister Luc Frieden stellte in den vergangenen Monaten immer wieder die demokratische Legitimation der beiden Regierungsparteien in den Vordergrund, die mit den im Koalitionsvertrag geschlossenen Vereinbarungen gewählt worden ist. Patrick Dury übt am Donnerstagmorgen auch an dieser Erzählung Kritik. „Die ‚Chambre des salariés’ ist heute die einzige Vertretung, die alle Arbeitnehmer und Rentner aus dem Privatsektor vertreten kann“, ruft Dury. Um eine Politik zu vermeiden, die einzig und allein zum Zweck habe, sich mit der „Fonction publique“ zu einigen, forderte Dury deswegen das Wahlrecht für alle Einwohner Luxemburgs. „Damit stärken wir den Privatsektor auch auf politischer Ebene.“
Die Regierungsvertreter, das wird an diesem 1. Mai ganz deutlich, sind im Zelt des LCGB zwar willkommen – ein Fest ist es jedoch allen voran für die Gewerkschafter. „Totengräber des Sozialmodells“ sei die Regierung, wenn sie den Forderungen des Patronats in einem solchen Ausmaß nachgebe, so Dury. Klare und deutliche Worte, die, wenn sie bei den Regierungsvertretern nicht angekommen sind, in den kommenden Tagen nachhallen werden. Über 1.000 an Premierminister Luc Frieden adressierte Postkarten werden in den kommenden Tagen an alle Gewerkschafter verteilt, auf denen diese ihrem Unmut noch einmal Luft machen und klare Forderungen an die Regierung Frieden stellen können. „Vive den 1. Mee! Vive eise Front syndical OGBL/LCGB! Vive den LCGB!“, schließt Dury seine Ausführungen. Und wenn selbst das nicht bei den Regierungsvertretern angekommen ist, verspricht Dury: „Dann bleibt es nicht bei Postkarten-Aktionen.“ Spätestens auf der Manifestation der Gewerkschaftsfront am 28. Juni, wenn über 10.000 Teilnehmer erwartet werden.

De Maart

Vive den 1. Mee! Vive eise Front syndical OGBL/LCGB! niedder mam Mischo, nieder mat der Regierung}