17. November 2025 - 7.12 Uhr
Akt.: 17. November 2025 - 7.13 Uhr
Kehlen„The Score“: Ein Restaurant, das Arbeit schafft – und Barrieren abbaut
Kehlen, 14. November 2025. Mit der offiziellen Eröffnung der Brasserie „The Score“ am Stade Albert Berchem hat die Gemeinde Kehlen gemeinsam mit der „Mathëllef asbl“ ein starkes Zeichen gesetzt: für Inklusion, für gesellschaftliche Teilhabe und für eine moderne Form der psychiatrischen Gemeinschaftsarbeit.
„Hier erhalten Menschen, die mit psychischen Belastungen oder Erkrankungen leben, die Möglichkeit, jeden Tag eine aktive und bedeutungsvolle Rolle einzunehmen“, sagt der Präsident von Mathëllef in seiner Ansprache. „Hier geht es nicht nur um Therapie im herkömmlichen Sinn, sondern um Leben, Selbstvertrauen und Würde.“
Die Idee für „The Score“ entstand aus den Erfahrungen am „Mutferter Haff“, wo Mathëllef seit Jahren Menschen mit psychischen Erkrankungen begleitet – ein therapeutischer Arbeitsplatz mit Restaurant, Pferdestall und Empfang. Thierry Ries, Psychologe und Direktor der Struktur, weiß: „Wir haben ständig lange Wartelisten von Menschen, die in Ateliers aufgenommen werden möchten. Das Schwierige ist die lückenlose Weiterführung der Betreuung. Wenn Menschen die Psychiatrie verlassen, brauchen sie sofort eine Form der Rehabilitation. Bleibt sie aus, riskieren sie wieder abzustürzen.“
Die unerwartete Chance
Der Kehlener Gemeinderat hatte das neue Gebäude am Fußballstadion errichtet, ohne zu ahnen, welches Potenzial in der professionellen Küche schlummerte. Bürgermeister Félix Eischen erinnert sich: „Wir waren uns schnell einig, dass hier mehr entstehen muss.“ Ein klassischer Restaurantbetrieb erschien möglich – aber nicht sinnvoll genug. Dann kam der Vorschlag, mit einem sozialen Träger zusammenzuarbeiten. „Diese Idee hat alles in Bewegung gesetzt.“
Als Mathëllef das Gebäude zum ersten Mal besichtigte, war Ries verblüfft. „Diese Küche ist der absolute Wahnsinn.“ Aus der spontanen Begeisterung wurde ein konkreter Plan. Das Gesundheitsministerium gab grünes Licht, die Finanzierung für Betreuungspersonal wurde bewilligt, und „The Score“ wurde Realität – ein Atelier für bis zu 25 Menschen mit psychischen Erkrankungen.
Niedrigschwellige Integration

Bei „The Score“ arbeitet niemand „nur zur Beschäftigung“. Es wird gekocht, serviert, kassiert, organisiert. Jeder nach seinen Fähigkeiten, jeder in seinem Tempo. „Wir holen jeden Menschen dort ab, wo er gerade steht“, erklärt der Atelierverantwortliche Christophe Visscher. „Zwei Stunden pro Woche oder 40 – alles ist möglich.“ Die Aufnahme erfolgt über Sozialdienste, psychiatrische Kontakte oder privat. Das einzige Kriterium: eine psychiatrische Diagnose. Manche bleiben nur kurz, andere über zehn Jahre. Ziel ist immer die Neuorientierung in den ersten Arbeitsmarkt.
Das Team spricht offen über Diagnosen: Schizophrenie, Psychosen, chronische Depressionen, Angststörungen, Persönlichkeitsstörungen, Suchterkrankungen. Entscheidend sei, dass die Betroffenen einen Ort finden, an dem sie gefordert, aber nicht überfordert werden. Psychologin Lee Biver ergänzt: „Ich bin Psychologin, aber nicht ihre persönliche Therapeutin. Ich bin da, wenn es notwendig ist.“ Sie beobachtet, unterstützt, vermittelt. Ihr Ziel: Stabilität, nicht Abhängigkeit.
Zum Alltag gehören auch Missverständnisse dazu. Eine Anekdote sorgt bis heute für Schmunzeln: „Einmal hat jemand einen großen Topf Mayonnaise ins Gefrierfach gestellt – daraus wurde Mayonnaise-Eis“, erzählt Biver. Ein Missverständnis, das statt Ärger Gelassenheit ausgelöst hat. „Wir nehmen die Dinge mit Humor“, sagt Biver. „Auch das gehört zur Therapie.“
Genau diese Normalität ist es, die Direktor Thierry Ries hervorhebt: „Wenn die Leute bei uns essen, fragen sie oft: Wo sind denn die psychisch kranken Menschen? Dann sage ich gerne provokativ: ,Die sperren wir im Keller ein!‘“ Er lacht, bevor er ernst wird. „Wir sind ein ganz normales Restaurant. Man erkennt nicht, wer wer ist. Und das ist gewollt.“

Besonders eindrücklich ist die Geschichte von Marc Goedert, 43, gelernter Koch mit gesundheitlichen Einschränkungen. Er erzählt seine Lebensgeschichte ohne Beschönigung: Epilepsie, psychische Belastungen, Scheidung. „Ich war Sous-Chef“, sagt er. „Aber ich hatte Rückschläge. Hier kann ich arbeiten, ohne jedes Mal erklären zu müssen, warum es heute mal nicht so gut klappt.“
Er bringt Ideen in die Karte ein, entwickelt Rezepte gemeinsam mit dem Küchenchef. Die Karte, sagt er, wechselt alle paar Wochen und es gibt keine 100 Gerichte zur Auswahl. Nur so kann man garantieren, dass das angebotene Essen frisch und so lokal wie möglich ist.
Praktische Infos
Adresse: Stade Albert Berchem, L-8283 Kehlen
Öffnungszeiten: Montag bis Freitag von 9.00 bis 16.00 Uhr

Kulinarische Premiere
Dass „The Score“ nicht nur gesellschaftlich, sondern auch kulinarisch überzeugt, zeigte sich bereits am Eröffnungsabend. Die Gäste konnten eine breite Auswahl genießen – von einer cremigen Kürbissuppe über Scampi-Spieße und Wraps mit Lachs oder Poulet Teriyaki bis hin zu kleinen Klassikern wie Mini-Burgern oder Gemüse-Quiche.
Für den feinen Gaumen gab es zudem Canapés mit Rohschinken aus der Region, während internationale Akzente mit Thunfisch-Tataki gesetzt wurden. Den Abschluss bildeten Desserts wie Pannacotta oder „Moelleux au chocolat“, die für ehrliche Begeisterung sorgten und deutlich machten: „The Score“ steht auch kulinarisch auf Augenhöhe mit etablierten Brasserien.
Auch die Besucher sind begeistert. Die Kehlenerinnen Monique Peters und Anita Christoph waren unter den ersten Gästen. „Kehlen bekommt neues Leben“, sagt Peters. „Hier kommt man auf einen Kaffee vorbei und man trifft immer Menschen.“ Christoph nickt: „Wir sind sehr offen für solche sozialen Projekte. Wir werden bestimmt öfter hierher essen kommen.“
De Maart


















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