Vor knapp fünf Jahren blickte ganz Europa gebannt auf die Krise in Katalonien. Aber seither war es in Katalonien ruhig um das Thema Separatismus geworden. Ende 2019 sorgten zwar die Urteilssprüche von bis zu 13 Jahren Gefängnis im Prozess gegen einige Regionalpolitiker und Aktivistenführer für eine letzte Großdemonstration von einer halben Million Menschen und erstmals kam es auch zu Ausschreitungen. Doch die versprochene Unabhängigkeit Kataloniens war in weite Ferne gerückt und spätestens mit der Pandemie ein knappes halbes Jahr später hatten die Menschen ganz andere Sorgen.
Urplötzlich ist das Thema aber wieder zurück in den Medien und an den Stammtischen. Denn „Catalan Gate“ passt einfach zu gut in die Erzählung der Separatisten vom übergriffigen spanischen Zentralstaat. Im Wochenmagazin The New Yorker schreckte am Ostermontag Ronan Farrow mit „How democracies spy on their citizens“ die katalanische Gesellschaft auf. Das angesehene Citizen Lab der Universität von Toronto, das bereits mehrere Fälle von Verstößen gegen das Menschenrecht mittels Hightech aufgedeckt hat, entdeckte letzten Monat die umstrittene „Pegasus“-Spyware zuerst auf dem Handy des spanischen EU-Parlamentariers Jordi Solé. Und wurde auch auf weiteren Smartphones fündig: „In Katalonien wurden über 60 Telefone – von katalanischen Politikern, Anwälten und Aktivisten in Spanien und Europa – mit Pegasus visiert. Das ist das größte forensisch dokumentierte Cluster von solchen Attacken und Infektionen, von dem man weiß“, resümiert The New Yorker.
Da Pegasus mit seinen weitgehenden Überwachungsmöglichkeiten von der israelischen NSO Group ausschließlich an staatliche Stellen für die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität verkauft wird und zudem Spanien einer von mindestens 45 bekannten Kunden ist, suggeriert das Citizen Lab die spanische Regierung als Urheber dieser Attacken zwischen 2015 und 2020. Das Innenministerium dementierte zwar umgehend und vehement, doch so recht glauben will dem kaum wer.
Sanchez könnte profitieren
Der Katalane Solé, dessen Telefon im Juni 2020 nur Wochen vor seinem Einzug ins EU-Parlament infiziert wurde, empört sich: „Eine solche Überwachung in demokratischen Staaten finde ich unglaublich.“ Der katalanische Ex-Präsident Artur Mas, dessen Telefon ebenso wie das seines Nachfolgers Quim Torra oder des aktuell amtierenden Pere Aragonès infiziert wurde, zeigt sich wenig überrascht: „Seit Jahren vermutete ich, dass man mein Telefon überwacht.“ Und er fordert: „In einem Rechtsstaat wäre es normal, dass die Justiz das untersuchen würde. Aber ich vermute, dass der Staat den Kopf einziehen wird. So wie er es auch schon bei der ‚patriotischen Polizei’ tut.“
Spanische Medien deckten im Juni 2016 auf, dass unter der konservativen Regierung Mariano Rajoys das Innenministerium von Jorge Fernández Díaz mit zweckentfremdeten Geldern eine informelle Polizeieinheit unterhielt, die mit Spionage und gefälschten Dokumenten die politische Opposition inklusive der katalanischen Unabhängigkeitsparteien zu diskreditieren versuchte. Auch, um von den Korruptionsskandalen der eigenen Partido Popular abzulenken. Jene Korruptionsskandale sind ebenso wie der Fall Fernández Díaz noch größtenteils in der spanischen Justiz anhängig.
Die Separatisten versuchen das Momentum in jener Woche zu nutzen, in der fast alle Restriktionen der Pandemie fallen. Doch obwohl der Skandal zum Teil in seine Regierungszeit fällt, könnte der aktuelle spanische Präsident Pedro Sanchez am Ende davon profitieren. Seine Sozialdemokraten versuchen sich in Katalonien seit Jahren an einem heftig kritisierten, gemäßigteren Kurs. Aktuell nimmt Sanchez wieder Gespräche mit der Regionalregierung auf und will so den Unabhängigkeitsstreitern den unverhofften Wind aus den Segeln nehmen. Und die politische Opposition von rechts ist gelähmt, da bei Pegasus alle Finger auf sie und den ihr nahestehenden Geheimdienst CNI zeigen.
 
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