Dienstag28. Oktober 2025

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BestandsaufnahmeSpendensammlung: Hilfsorganisationen spielen Betrügern in die Karten

Bestandsaufnahme / Spendensammlung: Hilfsorganisationen spielen Betrügern in die Karten
Sind Haus-zu-Haus-Sammlungen noch zeitgemäß? Viele Betroffene fühlen sich nicht nur bedroht, sondern auch in ihrer Privatsphäre verletzt. Foto: Animaflora PicsStock

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Mehrere Hilfsorganisationen haben in den letzten Monaten in Luxemburg verstärkt um Spenden geworben. Die meisten setzen dabei auf Haus-zu-Haus-Sammlungen, womit sie auch Betrügern in die Karten spielen. Sind solche Aktionen überhaupt noch zeitgemäß? Eine Bestandsaufnahme.

„Was mir sofort komisch vorgekommen ist: Beim Bellen des Hundes hat der junge Mann sofort kehrtgemacht. Er hat uns nicht mal erklärt, was er eigentlich wollte. Das hat mich etwas stutzig gemacht“, erinnert sich eine Einwohnerin aus Ernzen an den Besuch zweier junger Männer, die vor kurzem das ganze Dorf in Aufruhr versetzten.

Tage zuvor hatten Unbekannte im Nachbarort Fels versucht, sich auf Kosten gutgläubiger Menschen zu bereichern. Am helllichten Tag hatten sie sich als Mitarbeiter des Gesundheitsamtes ausgegeben, um sich Zugang zu Wohnungen zu verschaffen. Das Gesundheitsministerium sah sich prompt dazu gezwungen, die Einwohner vor den Betrügern zu warnen.

In einer ländlichen Gemeinde machen solche Meldungen natürlich schnell die Runde. Als nur wenige Tage später fremde junge Männer im zwei Kilometer entfernten Ernzen von Tür zu Tür ziehen, ist das Misstrauen groß. „Sie hatten zwar einen Ausweis von Handicap International dabei und Jacken mit Logo, doch der Umstand, dass sie beim Bellen des Hundes sofort wieder von Dannen gezogen sind, ließ bei mir die Alarmglocken schrillen“, erklärt die Betroffene. „Die sind doch sicher unterwegs, um Häuser auszukundschaften“, so ihr erster Gedanke.

Dass sie mit ihrer Skepsis nicht alleine dasteht, zeigt ein Blick in den Nachbarschafts-Chat: „Bei uns haben gerade zwei Fremde geklingelt, um Unterschriften und Geld zu sammeln. Wir haben die Polizei gerufen. Sie sind jetzt unterwegs in Richtung Ernzerberg“, schreibt eine Nachbarin in den sozialen Netzwerken. „Danke“, entgegnet eine Einwohnerin vom besagten Ernzerberg. „Sie sind schon bei uns passiert. N. hat auch die Polizei verständigt.“

Mehrere Minuten lang gehen die Meldungen hin und her, mehr als ein halbes Dutzend Einwohner melden sich bei der Polizei. Die jungen Männer aus Belgien können sich zwar ausweisen, dennoch bleiben die meisten Einwohner skeptisch. Vor allem der Umstand, dass im Zentrum des Landes französischsprachige Mitarbeiter einer Hilfsorganisation mit einem in Belgien gemeldeten Wagen unterwegs sein sollen, lässt viele Nachbarn aufhorchen. Eine Recherche im Internet ergibt rasch, dass neben dem Roten Kreuz auch Unicef mit Freiwilligen unterwegs sei. Von Handicap International aber ist am Freitagabend nichts dergleichen in Erfahrung zu bringen.

„Ob es nun wirklich Mitarbeiter der Hilfsorganisation waren oder nicht: Solche Aktionen sind einfach nicht mehr zeitgemäß“, meint die Einwohnerin mit Hund. Zu oft höre man in den Medien von Betrügern, die sich auf diese Art Zugang zu Häusern verschaffen oder Einbrüche vorbereiten. Auch sehe sie sich in ihrer Privatsphäre verletzt, wenn am späten Abend noch Unbekannte an der Haustür klingeln. „Unverständlich, dass eine namhafte Hilfsorganisation so fahrlässig ist. Heute gibt es andere Methoden, um Spenden zu sammeln. Etwa über Kampagnen in den Medien, im Internet oder per Post“, so die Betroffene.

„Uns bleibt nicht viel anderes übrig“

So einfach sei es nun auch wieder nicht, beteuert eine Mitarbeiterin von Handicap International. Vor allem das neue Datenschutzgesetz mache den Hilfsorganisationen zu schaffen. Früher konnten die Vereinigungen gezielt Adressen anschreiben. Aus Datenschutzgründen sei dies heute nicht mehr möglich. Sie verstehe zwar, dass Haus-zu-Haus-Sammlungen auch Betrügern in die Karten spielen. „Doch bleibt uns nicht viel anderes übrig“, so die Mitarbeiterin, die eingestand, dass in Ernzen tatsächlich Freiwillige der Organisation unterwegs waren. Vor allem Corona habe den Hilfsorganisationen schwer zugesetzt. „Wir sind auf Spendensammlungen angewiesen, heute mehr denn je.“

Es sei nun mal so, dass auch viele Betrüger Sammlungen vortäuschen, um gutgläubige Menschen zu berauben. „Allerdings versuchen wir, das Risiko auf ein Minimum zu reduzieren“, so die Sprecherin. Im Netz finden Betroffene etwa Beschreibungen, wie man Mitarbeiter von Handicap International erkennt. Alle tragen sie einen Ausweis sowie blaue Kleidung mit dem Logo der Organisation.

Außerdem versuche die Hilfsorganisation, die Gemeinden im Voraus zu informieren. „Soweit ich weiß, war das auch in Ernzen der Fall“, mutmaßt die Mitarbeiterin. Ein Anruf bei der zuständigen Gemeindeverwaltung in Fels aber zeigt das Gegenteil: Handicap International habe keine Kontaktdaten für die Gemeinde gefunden. Deshalb konnte die Aktion auch nicht angekündigt werden. Das habe man auf Nachfrage bei der Hilfsorganisation erfahren, so ein Mitarbeiter der Gemeindeverwaltung gegenüber dem Tageblatt.

Handicap International, Unicef und Rotes Kreuz

Dass solche Aktionen auch anderswo infrage gestellt werden, zeigt ein Beispiel aus der Gemeinde Helperknapp. Informationen dieser Zeitung zufolge soll es dort Überlegungen geben, Haus-zu-Haus-Sammlungen gezielter zu umrahmen. Angeregt wurde ein Ausweis der Gemeinde mit einem fälschungssicheren Stempel. Im Gegenzug müssen sich die Organisationen verpflichten, gewisse Sicherheitsmaßnahmen einzuhalten. So waren die Mitarbeiter von Handicap International zuletzt auch in der Gemeinde Helperknapp unterwegs. Wie in Fels aber hatte es die Hilfsorganisation auch dort versäumt, den Besuch anzukündigen, wie ein Mitglied des Schöffen- und Gemeinderates bestätigt. 

Als Gemeindeverwaltung wolle man alles daransetzen, die gemeinnützigen Ziele der Organisationen zu unterstützen. Gleichzeitig aber müsse man die eigenen Bürger vor Betrügern schützen. Deshalb plädiere man für eine geregelte Herangehensweise bei Spendensammlungen. Auf diese Art wolle man nicht nur die eigenen Bürger im Voraus informieren, sondern auch verhindern, dass mehrere Hilfsorganisationen gleichzeitig von Tür zu Tür ziehen.

So waren in den letzten Wochen nicht nur Mitarbeiter von Handicap International unterwegs: Auch Unicef führt aktuell Haus-zu-Haus-Sammlungen durch – mit dem Unterschied, dass das UN-Hilfswerk diese Aktion nicht nur den Gemeinden per E-Mail ankündigt, sondern auch im Netz bis ins kleinste Detail beschreibt. Indessen informieren sowohl Unicef als auch Handicap International auf ihrer Homepage, dass sie kein Bargeld mehr entgegennehmen. Vielmehr sollen die potenziellen Spender zu Überweisungen angeregt werden, die in mehrfacher Hinsicht gesichert seien.

Das Rote Kreuz verzichtet für seinen „Mois du don 2021“ derweil ganz auf einen direkten Kontakt an der Haustür. Freiwillige hinterlassen einen personalisierten Spendenaufruf im Briefkasten. Grund für diese Vorgehensweise ist eigentlich die Pandemie: Das Rote Kreuz will so den direkten Kontakt zwischen Menschen auf ein Minimum reduzieren. Als positiver Nebeneffekt spielt die Hilfsorganisation somit den Betrügern nicht in die Karten. Potenzielle Spender werden nicht an der Haustür überrumpelt und haben ausreichend Zeit, die Informationen zu überprüfen.

Auch heute werde das Faltblatt immer noch von Freiwilligen aus der Nachbarschaft unterschrieben, so Sprecher Vincent Ruck. Er sei sich bewusst, dass sich die Zeiten geändert haben. Dennoch wolle die Organisation den persönlichen Kontakt zu den Spendern nicht ganz verlieren: „Auch wenn die Instrumente im Netz gut funktionieren – den menschlichen Kontakt können digitale Dienste nicht ersetzen“, so Ruck.

Betrüger lassen sich die unterschiedlichsten Maschen einfallen, um gutgläubige Menschen um ihr Geld zu bringen
Betrüger lassen sich die unterschiedlichsten Maschen einfallen, um gutgläubige Menschen um ihr Geld zu bringen Foto: artfocus

„Ein gutes Beispiel“

Die Luxemburger Verbraucherschutzzentrale ULC spricht sich indessen für einen geregelten Übergang zu digitalen Lösungen aus. Das Rote Kreuz sei ein gutes Beispiel, sagt ULC-Präsident Nico Hoffmann. „Solche Aktionen, die lange im Voraus angekündigt werden und bei der Bekannte aus der Gemeinde einen Spendenaufruf im Briefkasten hinterlassen, können wir zu hundert Prozent unterstützen.“

Natürlich wolle auch der Verbraucherschutz die Hilfsorganisationen unterstützen. „Allerdings sehen wir auch das Risiko“, so Hoffmann. Auf lange Frist komme man wohl kaum an einer Änderung des Gesetzes vorbei. Wegen des hohen Risikos dürften Haus-zu-Haus-Sammlungen früher oder später wohl ganz verboten werden. Vor diesem Hintergrund sollte man zunehmend auf Spendenaufrufe in den Medien und digitale Lösungen umsteigen.

„Das Beispiel aus Ernzen zeigt, dass die Leute reagieren. Und dass sich die Hilfsorganisationen Gedanken machen müssen, wie sie in Zukunft vorgehen“, meint  Chefkommissar Marc Ragnacci. Seit 2014 seien Transaktionen an der Haustür wieder erlaubt. „Das macht uns das Leben nicht unbedingt einfacher“, so der Leiter des Präventionsdienstes der Polizei. Ob falsche Polizisten, betrügerische Dienstleister oder junge Frauen, die ältere Menschen einfach nur um ein Glas Wasser bitten: Der Leiter des Präventionsdienstes weiß natürlich um die zahlreichen Maschen der Betrüger.

Vor allem ältere Menschen sollten Fremden deshalb nie die Tür öffnen. „Besser ist es, aus einem Fenster im ersten Stock mit der Person vor der Haustür zu sprechen. Damit im Ernstfall diese nicht den Fuß zwischen Tür und Rahmen stellen kann“, rät Ragnacci. An Hilfsorganisationen ergeht indessen der Aufruf, die Aktionen in den Medien anzukündigen, die Gemeinden zu verständigen und, wenn möglich, keine Spenden mehr an der Haustür einzusammeln.

Sarg Gast
28. April 2021 - 21.36

@frolick Bislang hatte noch niemand von denen eine „aussergewöhnliche“ Nummer. Also, aus meiner Sicht, kein Grund zur Beunruhigung.

frolick
28. April 2021 - 13.25

@Sarg Gast

"@ J.C. Genau das. Ich denke mal, es müssten mehr Menschen anrufen, und von ihren Problemen erzählen. Ich sage dann immer: „Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht“. „Schlechte Verbindung“. „Wie bitte?“ Und, stottern hilft auch…"

Wenn er eine Nummer besitzt, die 5€ die Minute kostet, dann ist das aber ein teurer Spass.

Sarg Gast
28. April 2021 - 12.46

@ J.C. Genau das. Ich denke mal, es müssten mehr Menschen anrufen, und von ihren Problemen erzählen. Ich sage dann immer: "Tut mir leid, ich verstehe Sie nicht". "Schlechte Verbindung". "Wie bitte?" Und, stottern hilft auch... sich total blöd stellen, dann riecht der "Wahrsager" un Opfer. Die Zeit des "Wahrsagers" ist weg, der ist arg genervt. Auf diese Weise könnte das Geschäftsmodell schnell zusammenbrechen, wenn nur genug Menschen sich ein paar Minuten nehmen würden, um diesen "Wahrsager" allerhand dummes Zeug zu erzählen :-)

J.C. Kemp, grand marabou
28. April 2021 - 12.13

@Sarg Gast : Lustig dann auch wenn der 'grand voyant' am Telefon fragt, wer denn am Apparat ist. Damit ist er schon entlarvt! :-D

Erdinger
28. April 2021 - 11.59

Jeder kann sich heute mit einem billigen Drucker alle Ausweise selber drucken, Hausieren ist überlebt.
Ich öffne grundsätzlich keine Tür für Leute die ich nicht kenne wenn sie nicht telefonisch angemeldet wurden, wie Handwerker usw.

Sarg Gast
28. April 2021 - 11.03

Die kleinen Zettel, die uns regelmässig seitens der "Grand Voyants" in die Briefkästen geworfen werden, sollten auch einmal Grund zu Nachforschungen sein. Ich habe mir mal den Spaass gemacht, diese Sache etwas zu analysieren und viele dieser Wahrsager angerufen. Und in den meisten Fällen haben diese Menschen einen Sitz in Rodange in der Nähe beim Bahnhof, aber auch gleichzeitig im benachbarten Longwy. Zumindest betrifft das die Karten, die im Süden des Landes verteilt werden. Dass es sich hierbei offensichtlich um "Betrugsversuche" handelt, ist meine Meinung. Von Seiten der Politik geschieht jedoch nichts, um solche Machenschaften zu unterbinden. Und seitens der Ordnungshüter geschieht auch nichts, diese könne anscheinend nichts machen, bis etwas geschehen ist...