Dienstag28. Oktober 2025

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WetterphänomenSo viele Tornados wurden in Luxemburg schon verzeichnet – und so gefährlich sind sie

Wetterphänomen / So viele Tornados wurden in Luxemburg schon verzeichnet – und so gefährlich sind sie
Wetterphänomen der gefährlichen Art: In diesem Bild ist ein Tornado zu sehen, der am 25. Juni 2024 in der Nähe der Stadt Cedar Rapids (Iowa) durch die Lande pflügt. Von den Luxemburger Tornados gibt es leider keine guten Fotos.  Foto: Nick Rohlman/The Gazette/AP/dpa

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Kreisch, krach, klirr – und dann kommt eine Kuh geflogen. So spektakulär wie im Film „Twister“ wirbeln Tornados in Europa eher selten. Aber: Es gibt sie auch hier. Allein in Luxemburg traten bereits acht verbriefte Tornados auf. Was hat es mit den Wirbelwinden auf sich?

Tornados haben 2024 nicht nur in Bodennähe für Wirbel gesorgt– sondern auch unter Meteorologen. Das hat im Oktober die Meinungsverschiedenheit zwischen dem staatlichen Wetterdienst Meteolux und dem privaten Wetterservice Météo Boulaide gezeigt. Philippe Ernzer von Météo Boulaide macht auch die Wetterberichte für das Tageblatt. Er hatte am 29. Juni bei Bissen ein verdächtiges Signal auf dem Wetterradar entdeckt. Er sah sich vor Ort um – und entdeckte heftige Schäden, die für ihn auf einen Tornado deuten. Meteolux sah das anders: Kein Tornado in Bissen – obwohl die Meteorologen vom Findel sich den Ort des Geschehens laut Ernzer nicht angeschaut hatten. 

Ob es nun ein Tornado war oder nicht, das hängt auch vom Urteil der Experten der European Severe Weather Database (ESWD) ab. Sie analysieren Luftfotos, Wetterlagen, Radarbilder und anderes eingeschicktes Material und tragen das in ihre Datenbank ein. Aufgrund des Materials und ihrer Erfahrung klassifizieren sie das Ereignis – und auch, ob es ein Tornado oder nicht war.

Beim Bissener Tornado – oder Tornado-Verdacht – war das offenbar nicht so einfach. Es dauerte einige Monate, bis die Mitarbeiter der ESWD nachgereichtes Material von Philippe Ernzer sichten konnten. Am 2. Oktober wurde das Ereignis dann wegen des Materials tatsächlich als Tornado eingestuft. Aber kurz nach der Tageblatt-Berichterstattung darüber wurde es dann zum „starken Wind“ zurückgestuft. Auch aufgrund von neuen Bildern, die Meteolux der ESWD geschickt hatte. „Wir haben weitere Bilder von Meteolux gesichtet, die tendenziell wieder auf keinen klassischen Tornado schließen lassen“, schrieb ein Sprecher der ESWD damals dem Tageblatt. „Laut meinen Kollegen bleibt Bissen jedoch ein ganz knapper Grenzfall und daher wird es in der ESWD derzeit auch als Schwere Windböe mit Tornadoverdacht geführt.“

Es ist also wortwörtlich ein ziemliches Hin und Her mit den Tornados in Luxemburg. Wie gefährlich die Winde sind, weiß man hier spätestens seit dem dramatischen Sturm, der am 9. August 2019 durch die Gemeinden rund um Petingen tobte. Wir haben uns das Phänomen „Tornado“ einmal genauer angeschaut. 


Was ist ein Tornado? 

Nix wie weg hier: Helen Hunt und Bill Paxton fliehen im Action-Kracher „Twister“ 1996 vor einem scheunenfressenden Monstertornado – natürlich in Oklahoma
Nix wie weg hier: Helen Hunt und Bill Paxton fliehen im Action-Kracher „Twister“ 1996 vor einem scheunenfressenden Monstertornado – natürlich in Oklahoma

Falls Sie etwa den (sehenswerten) Action-Knaller „Twister“ (aus dem Jahr 1996) noch nicht gesehen haben – und ebenfalls den (nicht ganz so sehenswerten) Film „Twisters“ (aus dem Jahr 2024): Ein Tornado ist eine wenige Meter bis Hunderte Meter breite „Luftsäule mit Bodenkontakt“, die um eine „mehr oder weniger senkrecht orientierte Achse“ rotiert und sich „unter einer cumuliformen Wolke“ befinde. Das schreibt der Deutsche Wetterdienst. Auf Nicht-meteorologisch: ein sich ziemlich schnell drehender Wirbelwind.

Die ikonische Trichterwolke – Englisch Funnelcloud – selbst muss dabei nicht den Boden berühren. Der Luftwirbel an sich aber schon. Er muss sich durchgehend von Boden bis zur Wolkenuntergrenze erstrecken – ansonsten zählt das Ereignis nicht als Tornado. Das heißt aber auch: Ein Tornado kann teilweise unsichtbar sein, wenn er im unteren Teil gerade keine Partikel wie Sand, Scheunentore oder Kühe (siehe „Twister“) aufsaugt. „Es ist Vorsicht geboten, wenn man eine Funnelcloud beobachtet“, warnt Kachelmannwetter deshalb.

Das Wort Tornado kommt übrigens aus dem Spanischen, „tornar“ heißt „wenden“, „umkehren“ oder „sich drehen“. Die eigentliche deutsche Bezeichnung ist etwas weniger martialisch: „Windhose“. 


Wie entsteht ein Tornado?

Wie genau sich ein Tornado bildet, ist noch immer nicht eindeutig geklärt. Voraussetzungen sind laut dem Deutschen Wetterdienst seltene, rotierende Gewitterwolken, sogenannte Superzellen. Allerdings gibt es noch viele andere Faktoren, zum Beispiel die Wolkenuntergrenze, Windrichtungen und Windgeschwindigkeiten. „Höchstens zehn Prozent aller Superzellen erzeugen Tornados“, schreibt der Deutsche Wetterdienst (DWD). Kleinere Tornados treten auch ohne Superzelle im Gepäck auf, zum Beispiel unter normalen Schauerwolken. 


Wie stark sind Tornados?

Tornados können wesentlich stärker ausfallen als „Gewitterfallböen“, womit ein deutlich größeres Schadenspotenzial einhergeht, schreibt Meteolux. Für das amerikanische „National Severe Storms Laboratory“ (es kommt übrigens auch im sehenswerten Twister-Film vor) gehören Tornados zu den „heftigsten Phänomenen aller atmosphärischen Stürme, die wir verzeichnen“.  

Der „extremste“ jemals verzeichnete Tornado war der sogenannte „Tri-State Tornado“ in den USA. Er hinterließ am 18. März 1925 in den US-Staaten Missouri, Illinois und Indiana eine insgesamt 350 Kilometer lange Schneise und tobte dreieinhalb Stunden lang, laut dem amerikanischen nationalen Wetterdienst NWS mit Windgeschwindigkeiten von bis zu 480 km/h. 

Die meisten Tornado-Opfer gab es bei einem Wirbelsturm am 26. April 1989 in Bangladesch – 1.300 Menschen starben. Dieser Tornado wurde mit der Stärke F3 oder F4 eingestuft. Die Tornados mit den höchsten gemessenen Windgeschwindigkeiten sind aber in den USA aufgetaucht. Am 3. Mai 1999 wirbelte der „Bridge Creek Tornado“ mit der Stärke F5 durch Oklahoma, laut dem amerikanischen Sturm-Labor wurden dabei Windgeschwindigkeiten von bis zu 517 km/h gemessen. 


Wie kann man die Stärke eines Tornado einordnen? 

Katastrophenfilm-Fans wissen natürlich: Die Stärke eines Tornados wird in den F-Stufen der Fujita-Skala angegeben. Die reicht vom lauen Lüftchen der Variante „F0“ bis zur apokalyptischen „F12“, bei der die Winde theoretisch schneller als der Schall sind. Auf dem Erdenball wurden bis jetzt aber höchstens Stürme der Klasse F5 verzeichnet. Um noch einmal auf den unvermeidlichen Streifen „Twister“ zurückzukommen: Sturmforscherin Jo Harding ist traumatisiert, weil sie zusehen musste, wie ihr Vater von einem „F5“ weggerüsselt wurde. „Nur eine von uns hat einen F5 gesehen“, sagen die Hollywood-Tornado-Jäger in „Twister“ am Küchentisch. Und ein eisiger Schauer fegt durch die gute Stube. 

Allerdings gilt die Fujita-Skala heute als veraltet. Tornados werden eigentlich nicht nur nach der Windgeschwindigkeit, sondern auch nach den Schäden klassifiziert, die sie anrichten. Die Amerikaner haben 2007 eine „erweiterte Fujita-Skala“ (EF) eingeführt, schreibt die ESWD. Die Schadensindikatoren dort basieren allerdings auf der „typisch nordamerikanischen Leichtbauweise“ und sind nicht so einfach auf andere Orte der Welt übertragbar. Klar – Häuser, die aus Holzrahmen bestehen, werden leichter weggeweht als welche mit Backsteinmauern.

Die europäischen Sturmforscher benutzten seit 2014 die „internationale Fujita-Skala“ (IF). Sie basiert auf den ersten fünf Stufen der ursprünglichen Einteilung, führt aber auch Halbstufen ein und benennt die Schäden anders. Um das Tornado-Durcheinander komplett zu machen, haben Kanada und Japan jeweils auch noch Skalen – und eine „Torro“-Skala gibt es auch noch. Immerhin sind die Skalen teilweise untereinander kompatibel. Jo Hardings Kindheitstrauma wäre wohl auch in Europa eine „5“.

Die ESWD stuft den Petinger Tornado von 2019 als „F2“ ein. Ob das der stärkste Tornado war, der in den vergangenen 100 Jahren in Luxemburg aufgetreten ist, ist aber nicht klar. Bei einigen Luxemburger Tornados in der Datenbank wird die „F-Klasse“ nicht angegeben, auch weil die meisten über unbesiedeltem Gebiet wirbelten. Im August 1980 war auch ein anderer „F2“ in Luxemburg verzeichnet worden: Damals zog ein Tornado von Echternach über die Sauer nach Deutschland, bis ins 17 Kilometer entfernte Kordel. 

Skalensalat: Sechs Einteilungen für die Stärke von Tornados im Vergleich
Skalensalat: Sechs Einteilungen für die Stärke von Tornados im Vergleich Quelle: ESWD

Wie viele Tornados gab es in Europa – und Luxemburg? 

Laut der ESWD werden in Europa jährlich etwa 300 Tornados gesichtet, wobei die Zahl über Jahre konstant bleibt. Diese Zahl beinhaltet nur die Tornados über Land. Sogenannte Wasserhosen, also Tornados über dem Meer, kommen viel öfter vor. In diesem Jahr wurden in die ESWD 352 Tornados eingetragen, 236 davon in EU-Ländern. Zum Vergleich: In den USA sind es laut der Wetterbehörde NOAA bis jetzt 1.762. In den Vereinigten Staaten kommen weltweit die meisten Tornados vor, dort liegt auch die berüchtigte Tornado-Alley, wo laut NOAA ein Viertel der amerikanischen Tornados toben.

In Luxemburg selbst wurden in den letzten 100 Jahren acht (oder eben neun) Tornados beobachtet. Als Luxemburger „Tornado-Alley“ kann man dabei das Alzette-Tal zwischen Mersch und Bissen bezeichnen (siehe Karte). Dort wurden bereits drei Wirbelstürme verbrieft beobachtet. Der Tornado vom 29. Juni wäre der vierte. 

Die weit größten Schäden verursachte der F2-Tornado vom 9. August 2019. Er zog an diesem Tag zwischen 17.35 und 17.50 Uhr über Petingen, Bascharage, Lamadelaine und Rodange. In der kurzen Zeit deckte er Dächer ab, knickte Strommasten um und beschädigte viele Autos. 300 Häuser wurden beschädigt, manche von ihnen waren auch Jahre danach noch nicht bewohnbar.  


Ist es möglich, einen Tornado vorherzusagen? 

Einen Tornado deterministisch vorherzusagen, ist nicht möglich, erklärt Meteolux. Man könne das großräumige Risiko für die Entstehung allerdings im Vorfeld abschätzen – anhand verschiedener Parameter bei der kurzfristigen Gewittervorhersage. Dafür nutzt Meteolux seit April 2021 eine eigens intern entwickelte, „zutatenbasierte Methodologie“. Die kommt beim sogenannten „Nowcasting“ zum Zuge – also dann, wenn ein Gewitter bereits tobt und auf dem Niederschlagsradar verfolgt werden kann. Dann können dort Rotationssignaturen in den vom Radar gemessenen Winden gemessen werden und das Tornadorisiko analysiert werden. Mithilfe des neuen LU-Alert-Systems gäbe es zudem die Möglichkeit, Menschen im Falle eines erhöhten Tornadorisikos gezielter zu warnen, sagt Meteolux. 


Was tue ich, wenn ich einen Tornado vor mir habe?

Anders als bei einem Gewitter sollte man nicht gerade im Auto Schutz suchen, wenn ein Tornado im Anmarsch ist. Denn – das schreibt der DWD, aber „Twister“-Fans wissen es ohnehin: Ein Tornado kann ein Auto locker Dutzende Meter in die Höhe heben. Um nicht von herumwirbelnden Trümmern getroffen zu werden, sollte man in massive Steinhäuser oder in den Keller laufen und sich vor allem von Fenstern und Türen fernhalten, denn sie bieten keinen Schutz vor umherfliegenden Gegenständen (oder Kühen). Im Freien sollte man laut DWD versuchen, dem Tornado auszuweichen, denn meistens seien sie nicht breiter als 100 Meter. Ein Abstand von einem Kilometer reiche aus. Im absoluten Notfall gilt: flach auf den Boden legen. Und hoffen, dass keine Kuh auf einem landet.

Sie möchten unbedingt einen Tornado sehen? Kein Problem!

Besonders groß ist die Chance, auf einen Tornado zu stoßen, natürlich in der „Tornado Alley“ in den USA. Wagemutige Wetterfans können dort auch bei einer geführten „Tornado Chase“ mitmachen. Beim Veranstalter „Extreme Tornado Tours“  kann man sich beispielsweise einen Platz bei der „Traditional Intensity Expedition Tour“ sichern. Für 3.650 Dollar bekommt man acht „Jagd-Tage/-Nächte“ mit erfahrenen Führern, einem Fensterplatz im Tourbus und Tipps und Tricks in Sachen Extremwetter sowie fürs perfekte Unwetter-Foto. Für das Jahr 2025 ist die Tour aber leider schon ausgebucht. 


Warum ist es meteorologisch relevant, ob ein Tornado aufgetreten ist oder nicht?

Laut Meteolux ist das vor allem für die nachträgliche Analyse wichtig: Haben die Vorhersagen vorab auf ein Tornadorisiko hingewiesen oder nicht? Andererseits sei es relevant für die Klimatologie von Tornados in Europa. Es sei jedoch nicht immer einfach, das Schadensbild eindeutig einem Tornado zuzuordnen. „Insbesondere dann, wenn die Schäden am unteren Ende der Intensitätsskala liegen, wie beispielsweise in Bissen“, schreibt Meteolux. 


Verursacht der Klimawandel immer mehr Tornados? 

„Es gibt europaweit keine Statistik, die belegt, dass die Zahl der Tornados zugenommen hat“, sagt Philippe Ernzer. Vielmehr sei der digitale Fortschritt „schuld“ daran, dass es immer mehr Tornado-Beobachtungen gibt. „Jeder hat heute ein Handy in der Tasche“, sagt Ernzer. Früher sei das nicht so gewesen. „Man hatte keine Chance, das zu fotografieren.“