Im GesprächSich auf klangliche Vielfalt einlassen: „God is an Astronaut“ bringt zehntes Album raus

Im Gespräch / Sich auf klangliche Vielfalt einlassen: „God is an Astronaut“ bringt zehntes Album raus
Wieder ein Quartett: God is an Astronaut

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Nachdem das irische Quartett auf der Vorgängerplatte „Epitaph“ den Tod des siebenjährigen Cousins der beiden Brüder Torsten und Niels Kinsella musikalisch verarbeitete, klingt die Band auf ihrem zehnten Album dynamischer und wütender denn je. Das Tageblatt hat sich mit Bandgründer und Gitarristen Torsten Kinsella über die Entstehungsgeschichte der Platte, die Rückkehr von Bandmitglied Jamie Dean und das Überleben in der Pandemie unterhalten.

Tageblatt: An diesem Freitag veröffentlichen Sie und Ihre Band Ihre zehnte Platte. War dies eine gute Gelegenheit, auf Ihre Karriere zurückzublicken, oder war es vielmehr die Gelegenheit für einen Blick nach vorne? Wie bewerten Sie die Entwicklung des Post-Rock-Genres seit Ihrem Debüt?

Torsten Kinsella: „Ghost Tapes #10“ ist stilistisch schneller, intensiver und progressiver als all unsere vorhergehenden Platten. Wir hatten endlich die Gelegenheit, mit Pedalen und Verstärkern herumzuexperimentieren und unseren Klang neu zu definieren. Durch herausfordernde Taktangaben sowie anspruchsvolle Arrangements mit Drehungen und Wendungen soll der Zuhörer bei der Stange bleiben. Die Platte ist so dynamisch wie nur möglich, weil auch im Mix sehr wenig komprimiert wurde.

Wie bei jedem Genre gibt es Höhe- und Tiefpunkte. Seit nunmehr 20 Jahren höre ich von Musikkritikern, dass Post-Rock ein kurzlebiges Genre ist. Im Allgemeinen finde ich nicht, dass ein Genre bestimmen sollte, welche Musik eine Band macht. Dies passiert zurzeit leider ein wenig in den Post-Rock-Gefilden – und so was schadet der Vitalität eines Genres.

„Ghost Tapes #10“ ist euer härtestes Album bis dato, wohingegen die Vorgängerplatte „Epitaph“ aus sehr persönlichen Gründen elegischer war. Auf einem Track wie „Burial“ findet man hingegen deutliche Einflüsse des Vorgängers – allein der Name verweist auf die tragische Gegebenheit, die auf „Epitaph“ verarbeitet wurde. Stellt diese Platte eine andere Art dar, den Schmerz zu verarbeiten?

„Ghost Tapes #10“ verhandelt kein spezifisches Ereignis, es spiegelt vielmehr wider, was in den letzten beiden Jahren stattgefunden hat. Unser letztes Konzert fand in Boston vor etwa 16 Monaten statt. Unsere Tournee zum 15-jährigen Geburtstag von „All is Violent“ fiel wegen der Pandemie ins Wasser, was umso frustrierender war, da wir im Jahr 2019 relativ wenig getourt hatten.

Die skandinavische Tournee wurde abgesagt, die Herbst-Tour in den States hat uns viel Zeit und Geld gekostet – nicht nur mussten wir uns durch eine absurde Anzahl an Papierkram arbeiten, sondern zudem eine skandalös hohe Summe für das Visum bezahlen –, sodass wir keine Lust haben, so was noch mal bewältigen zu müssen. Dann erreichte uns auch noch die Hiobsbotschaft, dass Niels’ Schwiegermutter ihren langen Kampf gegen den Krebs verloren hat und wir mussten die ersten paar Shows ohne Bassspieler auskommen, was eine richtige Herausforderung war – und auch, wenn schlussendlich alles geklappt hat, fühlte es sich für mich nicht ganz richtig an.

Als wir dann nach Hause kamen, war es normal und natürlich, eine Platte zu schreiben, die intensiv und spannungsgeladen ist. „Seance Room“ war der letzte Song, den wir für „Epitaph“ – ein Album, das den Tod unseres siebenjährigen Cousins verhandelt – schrieben, „Burial“ war der erste der neuen Platte und stellt somit den Übergang zwischen den beiden Alben dar.

Die härteren Passagen, die streckenweise an Russian Circles erinnern, klingen, als wären sie für die kommenden Live-Shows maßgeschneidert. Wie heftig waren die Auswirkungen der Pandemie auf die Band? Wie fühlt es sich an, eine Platte zu veröffentlichen, ohne zu wissen, wann man sie live spielen kann?

Ich finde, unsere Herangehensweise ist mehr an Noise, Shoegaze und Punk als an Metal angelehnt. Zwei Songs wurden während der Pandemie geschrieben und zu einem gewissen Grad fühlte es sich an, als würde uns die Decke auf den Kopf fallen, was dazu führte, dass man die Spannung während des Schreibprozesses deutlich spüren konnte. Die neuen Songs klingen live sehr kraftvoll, weswegen ich es kaum erwarten kann, sie auf der Bühne zu spielen. Es ist frustrierend, nicht auftreten zu dürfen, zumal es momentan ja eher so aussieht, als würden wir erst Mitte 2022 wieder Konzerte geben können. Als Vorläufer zu unserem 20. Geburtstag werden wir eine Reihe von Live-Platten mit Videoaufnahmen unserer Shows veröffentlichen.

Woher kommt die Wut, die man auf Tracks wie „Adrift“ oder auch bei den Postcore-Einflüssen von „Spectres“ deutlich heraushört?

„Adrift“ wurde im Februar 2020 geschrieben – es verdeutlicht also vielleicht auf unbewusste Art, dass die Welt in Richtung Abgrund treibt: All unsere Konzerte wurden abgesagt, wir haben keinen Lebensunterhalt mehr, das war und ist alles enorm frustrierend. Es sind unbehagliche Zeiten, es fühlt sich wie eine Episode von „Twilight Zone“ an, und es erschien uns notwendig, auf musikalische Art darauf zu reagieren. Niels hatte eine Reihe von verzerrten, Punk-beeinflussten Basslinien geschrieben und diese wurden zum Startpunkt einiger Songs: „Spectres“ beispielsweise begann mit dieser Basslinie, ich habe dann eine nach Shoegaze klingende Gitarre daraufgelegt, die in ein Riff übergeht. Das geschah alles sehr spontan.

Auf vorigen Alben haben sie als Band oftmals mit Vocals gearbeitet, die dann in den Songs so verarbeitet sind, dass sie eher wie ein eigenes Instrument klingen (ich denke bspw. an „Medea“). Auf dieser Platte gibt es, abgesehen von „Barren Trees“, kaum Vocals. War es eine bewusste Entscheidung, den Schwerpunkt auf die Instrumente zu legen?

„Barren Trees“ ist der einzige Song mit Lyrics, die von der Jahreszeit, in der er geschrieben wurde, und Robert Frosts Gedicht „Stopping by Woods on a Snowy Evening“ inspiriert sind. Die Gesangsstimme wurde in der Tat wie ein Instrument gemixt, sodass sie sich mit den Instrumenten verwebt – die Herausforderung liegt danach darin, das Gleichgewicht im Mix zu finden. Weiterhin gibt es Background-Vocals auf einigen anderen Tracks wie „Adrift“, „Burial“, „In Flux“, „Spectres“ oder „Fade“, die auf der Platte quasi versteckt sind und auf subtile Art zur melodischen Gestaltung beitragen.

Während der Aufnahmen von „Epitaph“ haben Sie als Trio gearbeitet – mit der Unterstützung von Xenon Field, mit denen Sie danach auch auf Tour waren. Wie war es, Jamie Dean (Gitarre und Klavier) wieder an Bord zu haben? Wie hat sich dies auf das Songwriting ausgewirkt?

Spät im Jahr 2019 hat sich Jamie bei uns gemeldet, und da wir mit dem Touren fertig waren, hatten wir Zeit und Gelegenheit, uns einfach mal wieder zu treffen und zusammen zu jammen. Es fühlte sich sofort richtig an, weil es einfach diese Chemie zwischen uns vieren gibt, die für das Bandgefüge zentral ist. Wie zuvor hat Jamie viel Begeisterung und Energie in die Band gebracht. Auf dieser Platte hat jedes Bandmitglied seine respektiven Parts eingespielt, da wo ich zuvor vielleicht auch die zweite Gitarre oder das Klavier übernahm. Jamie hat seine Parts gespielt und wird dies auch live tun, weswegen das Album definitiv eine Bandperformance einfängt.

Es gibt Gastbeiträge von Jo Quail, die ja auch schon mit einer Post-Rock-Band wie Caspian zusammengearbeitet hat, und Jimmy Scanlan. Wie kamen diese Kooperationen zustande?

Wir trafen Jo, als sie in London für uns als Support Act fungierte, und waren mehr als begeistert. Ich schickte ihr „Luminous Waves“ und sie fügte dem Song ein schönes, inspirierendes Cello hinzu. Jimmy ist ein guter Freund von uns und besitzt einen Musikladen in Dublin. Er hat eine wahre Schatztruhe an seltenem Vintage-Equipment, hat seinen 1963 Vox Ac30 Verstärker mitgebracht und Gitarre auf „Barren Trees“ gespielt. Im Endeffekt haben wir diesen Verstärker auf allen Songs benutzt und den Klang mit dem eines Orange AD30 vermischt.

Die Platte ist intensiv, aber mit 37 Minuten Laufzeit und nur sieben Songs ist es das kürzeste Album von God is an Astronaut. Wieso diese Kürze in einem Genre, in dem der Aufbau von Atmosphäre das A und O ist?

Ehrlich gesagt: Würden wir nicht an Vinyl-Platten denken, würden wir überhaupt keine Platten mehr veröffentlichen, sondern die Songs einfach Monat für Monat rausbringen. Um die besten klanglichen Resultate auf Vinyl zu bekommen, wird einem geraten, sein Album unter 40 Minuten Laufzeit zu halten. Streaming ist heute die Hauptplattform fürs Musikhören. Zuhörer sind oft nur noch an einem bestimmten Stil, der ihre Stimmung begleitet, interessiert und wollen nicht mehr einer klanglichen Vielfalt ausgesetzt sein. Das tötet eigentlich die Idee eines Albums, das den Zuhörer ja mit auf eine Reise mitnimmt – und diese Entwicklung hat uns als Band nicht geholfen, ganz im Gegenteil.

God is an Astronaut hat auf allen wichtigen Post-Rock-Festivals wie auf dem ArcTanGent oder dem Dunk! gespielt. Dies sind kleine Festivals mit einer stark ausgeprägten Fan-Community – aber es sind auch Festivals, die ein zweites Jahr an Covid-bedingten Absagen wahrscheinlich nicht überleben werden. Wie sehen Sie die Zukunft der kleinen Festivals? Wie wichtig sind diese für Ihre Band? Wie viel Hoffnung bleibt?

Ich hoffe, diese Festivals werden überleben, sie sind wesentlich für Underground-Musik. Das ArcTanGent steht jetzt vor einem doppelten Dilemma: Wegen des Brexit werden alle europäischen Musiker ein Arbeitsvisum und eine spezielle Bescheinigung brauchen, um überhaupt in die UK zu kommen, was für viele Bands eine zusätzliche Belastung sein wird – und besonders bei solchen kleinen Festivals riskiert man, dass das Performance-Honorar die zusätzlichen Spesen nicht decken wird.

Eine ausführliche Besprechung sowie eine Übersicht der Diskografie erscheint morgen in unseren Klangwelten (in der Magazin-Beilage).