LockdownShopping in Deutschland, Tattoos in Dänemark: Manchen schwant Böses bei Europas Öffnungen

Lockdown / Shopping in Deutschland, Tattoos in Dänemark: Manchen schwant Böses bei Europas Öffnungen
Mit Nasen-Mund-Schutz unter der Nadel: Während in Spanien Kinder endlich wieder vor die Tür dürfen, surren in Dänemark bereits die Tätowiermaschinen Foto: AFP/Thibault Savary

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Italien fuhr am 9. März alles herunter, eine Woche später war fast ganz Europa nachgezogen. Lockdown, ein neuer Anglizismus, hat sich seitdem im allgemeinen Sprachgebrauch fast aller Nationalsprachen breitgemacht. Seit Mitte April gibt es in einzelnen EU-Staaten wieder erste Öffnungen – die Sorgen aber bleiben.

Europas Staaten öffnen sich wieder. Doch nicht alle gleich schnell und nicht alle auf demselben Wege. Während in Spanien Kinder erstmals wieder auf die Straße dürfen, surren in Dänemark bereits die Tätowiermaschinen. Schweden hatte sich dem Lockdown als einziger Staat Europas ganz verweigert. Weltweit waren weit mehr als 100 Staaten dem chinesischen Beispiel aus der Region Hubei gefolgt und hatten den nationalen Lockdown verordnet. Mehr als ein Fünftel der Weltbevölkerung stand damit unter Hausarrest – und tut es zum größten Teil noch immer. 

Luxemburg hat inzwischen seine Baustellen und auch die Baumärkte wieder geöffnet, auch zum Recycling dürfen die Leute, ebenso zu einigen Fastfood-Läden. Die ersten Staus ließen nicht lange auf sich warten. Bei schönem Frühlingswetter füllen sich in manchen Städten Deutschlands wieder die Fußgängerzonen. In Dänemark haben die Grundschulen bereits vor einer Woche wieder ihren Betrieb aufgenommen. Die Abstandsregeln gelten europaweit weiterhin – doch kommen sich die Menschen jetzt, wenn sie öfter ihr Zuhause verlassen, wieder näher. Und so geht auch die Sorge vor einer neuen Ansteckungswelle um. Die Warnungen kommen von Virologen und der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Aber auch von einigen Politikern.

Warnungen vor der zweiten Welle

Die Weltgesundheitsorganisation warnt angesichts erster Lockerungen der Corona-Auflagen in Europa vor einer zweiten Welle der Pandemie. Es komme darauf an, vorbereitet zu sein, sagte am Donnerstag der WHO-Direktor für Europa, Hans Kluge. „Nachlässigkeit kann unser schlimmster Feind in diesen Tagen sein.“ In Deutschland hat Kanzlerin Angela Merkel die Bundesländer wegen der Lockerung der Corona-Auflagen kritisiert. Sie trage zwar die Beschlüsse von Bund und Ländern von vergangener Woche vorbehaltlos mit, sagte Merkel am Donnerstag im Bundestag. Aber: „Ihre Umsetzung bislang bereitet mir Sorge.“ Das Vorgehen wirke mitunter „sehr forsch, um nicht zu sagen zu forsch“. Beispiele nannte sie nicht.

Nachlässigkeit kann unser schlimmster Feind in diesen Tagen sein

Hans Kluge, WHO-Direktor für Europa

Der deutsche Virologe Christian Drosten sieht die Gefahr, dass bisherige Erfolge bei der Corona-Eindämmung verspielt würden und die Situation entgleiten könne. Er bedauere es, „so sehr zu sehen, dass wir gerade dabei sind, vielleicht diesen Vorsprung hier komplett zu verspielen“, sagte der Leiter der Virologie der Charité am Mittwoch im NDR-Podcast. Drosten kritisierte, dass nun wieder komplette Shoppingmalls voller Menschen seien, weil die einzelnen Geschäfte darin kleiner seien als 800 Quadratmeter. „Man muss sich da schon mal fragen, ob das alles noch wirklich sinnvoll ist.“ Virologen befürchten eine neue Krankheitswelle im Mai oder Juni. Dann, so sagt es auch Drosten, könnte es viel mehr Startpunkte für das Virus als zu Beginn der Epidemie geben.

Erster EU-Fall vor genau drei Monaten

Die Europäische Kommission sieht den Lockerungsversuchen ihrer Mitgliedstaaten ebenfalls mit Sorge entgegen. Brüssel hat drei Bedingungen gestellt: ein Abflachen der Ansteckungen, ein weiterhin belastbares Gesundheitssystem, das auch Nicht-Covid-Fälle versorgen kann, sowie ein möglichst breitflächiges Testen. Doch am Ende entscheiden die EU-Staaten alleine über ihre Öffnungen – wie das auch bei den Lockdown-Maßnahmen inklusive Grenzschließungen bereits der Fall war.

Für die Staaten Europas ist die Pandemie-Bekämpfung ein Balanceakt zwischen gesundheitlichen und wirtschaftlichen Erwägungen. Bereits jetzt ist kaum absehbar, wie das alles bezahlt werden soll. Dass Staaten wieder Geschäfte öffnen und Industriezweige beleben, liegt auch daran, dass sie sich eine weitere Schließung einfach nicht leisten können. Hinzu kommen die psychologischen Belastungen einer zu langen und zu rigorosen Ausgangssperre und die langen Schulschließungen.

Mit mehr als 1,1 Millionen positiv auf Covid-19 getesteten Menschen ist Europa dem Europäischen Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten zufolge nun, gegen Ende April, der Kontinent mit den meisten nachgewiesenen Ansteckungen. Mehr als 110.000 Menschen sind demnach in Europa inzwischen an der neuen Lungenkrankheit verstorben. Der erste Fall in Europa wurde von der WHO in Frankreich bestätigt. Das war am 24. Januar. Vor genau drei Monaten.

Europäische Lockerungen im Überblick
Europäische Lockerungen im Überblick Editpress