Samstag1. November 2025

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GothicSex, Tod und Haarspray: Ein Standardwerk über die „schwarze Szene“

Gothic / Sex, Tod und Haarspray: Ein Standardwerk über die „schwarze Szene“
„Seele brennt“ Blixa Bargeld von den Einstürzenden Neubauten, war schon auf dem Wave-Gotik-Treffen (2018) Foto: Mr. Rossi / Wiki Commons

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Sie ist um 1980 herum aus dem Umfeld von Punk, Post-Punk und New Wave entstanden. Die Gothic-Kultur wurde zur eigenen Subkultur, die bis zur Jahrtausendwende besonders verbreitet war, bevor sie zersplitterte, kommerziell ausgeschlachtet wurde und im Mainstream überging. Nach den Worten des britischen Autors, Journalisten und Musikers John Robb erfreut sie sich trotzdem noch einer „guten Konstitution“.

Eine schmale Treppe führt in den Untergrund. Während sich auf der Straße vor dem „Skandal“ ein paar Punks mit einer Gruppe Psychobillys unterhalten und einander zuprosten, gehen zwei Frauen mit hochtoupierten Haaren und weiß geschminkten Gesichtern, in Miniröcken und Netzstrumpfhosen durch die Eingangstür in den Club in der Pforzheimer Innenstadt, der in der Region um Karlsruhe Mitte der 80er Jahre zu den angesagtesten jener Szene gehörte, die sich New-Wave- und später Gothic-Szene nannte.

Ob das „Skandal“ oder die „Katakombe“ im nahen Karlsruhe, das „Ausweg“ in Gießen oder der „Alte Wartesaal“ in Köln, erst recht das „Linientreu“ in Berlin oder das „Batcave“ in London, das von Nick Wade alias Nik Fiend, dem Sänger der Gruppe „Alien Sex Fiend“, mitgestaltet worden war – allesamt waren sie in ihrer jeweiligen Stadt oder Region Treffpunkte der Szene. In Luxemburg war es zuletzt das „Shiny’z“ in Kehlen, das in den Nullerjahren zu „schwarzen Samstagen“ empfing. Von den Clubs und Events der Szene sind wenig übrig geblieben. Ausnahmen sind das Wave-Gotik-Treffen in Leipzig und das M’era Luna Festival in Hildesheim, die beide jährlich Tausende Fans anlocken.

Ikone des Undergrounds: Siouxie Sioux
Ikone des Undergrounds: Siouxie Sioux Foto: Cristobal/Flickr

Ein Blick zurück in die 80er Jahre: Jay betritt das „Skandal“; die mit Kajal, viel Puder und dunkelrotem Lippenstift geschminkte Underground-Lady erinnert an eine Symbiose aus Kleopatra und Gruft-Queen Siouxie Sioux. Auf ihrer Schulter räkelt sich eine schwarze Katze. Majestätisch durchschreitet Jay das Kellergewölbe, vorbei an den vorwiegend dunkel gekleideten Gästen, als wäre es ihr Königreich. Ein junger Mann im langen Mantel und mit spitzen Schuhen, schwarzen, kunstvoll toupierten Haaren und eiskaltem Lächeln küsst sie auf eine Wange, ein anderer mit platinblonden Haaren, die er zum größten Teil unter einer Kappe versteckt trägt, küsst ihr die Hand. Jay geht weiter zum DJ, einem Wuschelkopf mit riesigen Augenbrauen, und flüstert ihm ins Ohr. Die beiden haben die letzte Nacht miteinander verbracht. Sie fühlen sich wie ein Königspaar. Die Schöne und das Biest.

„Release the Bats“: Nick Cave 1982, damals mit The Birthday Party.
„Release the Bats“: Nick Cave 1982, damals mit The Birthday Party.

Derweil tanzen mehr und mehr Gäste – der Club hat sich nach Mitternacht zusehends gefüllt – zu „Love Will Tear Us Apart“ von Joy Division. Es ist einer der Klassiker des New Wave, aus dem zuerst Dark Wave und schließlich Gothic wurde – wie etwa „Bela Lugosi Is Dead“ von Bauhaus, „Ignore the Machine“ von Alien Sex Fiend, „Back to Nature“ von Fad Gadget, „Accidents in Paradise“ von den Informatics sowie „A Forest“ von The Cure oder „Marian“ von The Sisters of Mercy. Zwischendurch toben sich ein paar Besucher, heftig pogend, die Beine hin und her zur Seite und nach vorne schwingend, bei „Der Mussolini“ von DAF aus. Manch einer rutscht auf dem Boden aus und steht wieder auf, als sei nichts gewesen. Wird es wieder ruhiger, entsteht ein Knäuel in Kunstnebel getauchter Gestalten mit bleichen Gesichtern. Sie tragen Lederjacken und -mäntel, Springerstiefel und Stiefeletten, fingerlose Handschuhe oder Samt und Satin, Spitzen- und Rüschenblusen, Leder und Latex. John Robb schreibt von „einer gewissen Gender-Unschärfe“. Der Look sei „von Androgynität geprägt“.

Sex und Tod als Fixpunkte

So extrem wie der Style, dessen Ästhetik „die Sinnlichkeit des Dancefloors mit der Faszination für Sex und Tod verband – den beiden Fixpunkten der Goth-Welt“, ist auch die Musik. Der synthetische bis minimalistische Sound, einfache Gitarrenakkorde und groovende wie dröhnende Bässe. Weitere maßgebliche Bands waren unter anderem Killing Joke, The Cramps und New Model Army, Einstürzende Neubauten, Laibach und Fields of The Nephilim sowie Nick Cave and The Bad Seeds, deren Vorgänger The Birthday Party mit „Release the Bats“ und „seiner blumigen Poesie und seinem kinetischen Gitarren-Krach so perfekt für diese schöne neue Welt klang“. Nicht zuletzt Punk-Pioniere wie The Damned und natürlich die Stilikonen von Siouxie & The Banshees kommen in dieser Nacht zum Einsatz. Irgendwann hat der Wuschelkopf am DJ-Pult zur Weiterreise durch die Underground-Vergangenheit geladen, spielt Velvet Undergrounds „I’m Waiting for the Man“, „Break On Through“ von The Doors und „I Wanna Be Your Dog“ von The Stooges. Ein Highlight wird „Sympathy For The Devil“ von den Stones, bis der unumstrittene Meister der Nacht ein paar funkige Einlagen auf dem Plattenteller platziert.

Autor John Robb
Autor John Robb Foto: John Middleham

Die „Grufti(e)s“, wie die Waver oft bezeichnet wurden, waren seit jeher Gespött und Vorurteilen ausgesetzt. „Trage ein umgedrehtes Kreuz und dir sind die schockierten Blicke deiner Mitbürger sicher“, sagte mir mal ein Luxemburger „Goth“. Sie würden mit Satanisten gleichgesetzt und manche von ihnen sogar als politisch rechts bezeichnet. Dabei ist die Szene eher unpolitisch bis progressiv einzuschätzen. Was eher zutrifft, ist die Zweckentfremdung durch die Musikindustrie, indem Goth mit Metal und Mittelalterrock in einen Topf geworfen wurden. Kaum einer hat bisher die Subkultur des Undergrounds, dessen Geschichte und lange Vorgeschichte sowie die zahlreichen Einflüsse der verschiedenen Genres besser beschrieben als John Robb in seinem unglaublich starken 624-Seiten-Wälzer, der einfach „Goth“ heißt und von der „dunklen Seite des Punk“ handelt. Es ist ein ultimatives Werk, in seiner wuchtigen Form auch als Waffe zu benutzen, das zudem sprachlich glänzend von Joachim Hiller, dem Herausgeber von „Ox-Fanzine“, auf Deutsch übersetzt wurde. Robb schreibt zu Beginn: „The Art of Darkness begleitet uns seit Jahrhunderten, denn jede Generation muss sich mit ihrem Blues auseinandersetzen. Was einst in der Kunst, der Architektur, der romantischen Literatur und der Malerei zum Ausdruck kam, war in den Post-Punk-Wars eine alternative Kultur, die ihre eigene dunkle Geschichte erzählte, während sie sich vom Punk-Urknall emanzipierte. Es war eine aufregende Zeit, in der die Musik den Stil prägte und eine selbstbestimmte Kultur in Schwarz entstand.“

Der britische Autor, Jahrgang 1961, schildert in dem Standardwerk die sozialen, politischen und popkulturellen Umstände, aus denen sich in Großbritannien ab den späten 1970er Jahren parallel zu Punk und Post-Punk die Jugendkultur entwickelt. Robb war ein Wegbegleiter dieses Undergrounds. Er weiß, wovon er schreibt, wenn er die Eigenheiten und kulturellen Ursprünge beim Glam, Psychedelic und Rock’n’Roll untersucht – oder weiter zurückliegend: bis zum Untergang Roms und zu den Goten bis über Lord Byron, Charles Baudelaire und den romantischen Dichtern ausholt, nicht zu vergessen die europäischen Volksmärchen und die Vampirgeschichten. Es ist eine lange Geschichte des Okkulten, eine eigene Welt, die ihre Faszination ausbreitete wie eine menschliche Fledermaus ihr flügelartiges Gewand. Goth wurde ein weltweites Phänomen, weil es die Sehnsucht danach überall gibt.

Eine Nacht im Underground

Mr. Fiend von Alien Sex Fiend (2012).
Mr. Fiend von Alien Sex Fiend (2012). Foto: Lily_M / Wiki Commons

Bereits 2005 hatte der Musikjournalist Simon Reynolds, ein Landsmann von Robb, mit „Rip It Up And Start Again“ ein umfassendes Werk von rund 600 Seiten über die innovativen Bands von 1978 bis 1984 vorgelegt, die im Zuge oder in der Folge des Punk-Aufbruchs entstanden waren: von Synthpop, Industrial und Gothic bis EBM und Alternative Rock. Als ein wichtiges Vermächtnis von Postpunk nannte Reynolds das Eingeschworensein auf die Veränderung. Reynolds’ Buch dient als Nachschlagewerk. Ähnlich verhält es sich mit dem von Robb, nur liest sich Letzteres noch mehr wie ein Schmöker und Page-Turner. Reynolds’ überragende Stärke ist die Recherche, die aber auch Robb nicht abzusprechen ist. Bei Letzterem dominierte noch mehr die Erzählkunst, der Flow einer Nacht im Underground.

Selbst wenn die Szene teilweise im Mainstream aufging – auch Punk blieb nicht von diesem Schicksal verschont – und selbst wenn sie der Kommerzialisierung ausgesetzt war wie jede andere Subkultur und die Kleidung bald in Gothic-Läden verkauft wurde, nachdem sie am Anfang noch ein Resultat akribischer und hingebungsvoller Do-it-yourself-Arbeit war, hat die Goth-Kultur das 21. Jahrhundert unbeschadet erreicht. Die sozialen Medien nutzen ihre Anhänger als Plattform. In der Zeit der Hashtags und Influencer hat sie sich weiterentwickelt. Heute kombiniert sich der Look auch mit anderen Genres, Übergänge zu anderen Subkulturen wie Steampunk bestehen. Was nie in Stein gemeißelt war, so Robb, erfreut sich einer „robusten Konstitution“. Zur heutigen dystopischen Zeit liefert die „Kunst der Dunkelheit“ den idealen Soundtrack, ohne dabei zum Zeitgeist zu verkommen.

John Robb: „Goth: Die dunkle Seite des Punk“, Ventil Verlag, 624 Seiten, 32 Euro.

Robert Smith, Frontman von The Cure
Robert Smith, Frontman von The Cure Foto: Facundo Gaisler/Flickr
Hottua Robert
3. September 2025 - 8.47

>Es ist eine lange Geschichte des Okkulten, eine eigene Welt, die ihre Faszination ausbreitete wie eine menschliche Fledermaus ihr flügelartiges Gewand. Goth wurde ein weltweites Phänomen, weil es die Sehnsucht danach überall gibt (…) Auch vor hundert Jahren gab es diese Sehnsucht. Die schicksalsgläubige, okkulte Seite des Nationalsozialismus ist eine unergründliche Welt, in der offensichtlich Nazi Astrologen (Eric Jan Hanussen u.a.) und Okkultlogenfanatiker angesiedelt sind. "Die entarteten Seelen von Rassenmischlingen" müssen ja bekämpft und zum Wohle der arisch reinen Rasse vernichtet werden. "Wir begrüßen und bejahen den okkulten Autoritätsgedanken des faschistischen Nationalsozialismus … " Das Herr FRIEDEN, Herr HOLLERICH, Herr DONNERSBACH … , muß aufgeklärt werden! ▪"Wahn und Wahnsinn" Die okkultistische Seite des Dritten Reiches
(welt.de, 01.02.2015) Von Sven KELLERHOFF Die historische Rassenlehre, die HITLER in seinem "Mein Kampf" ausbreitete, war eine Melange aus bizarren Quellen. Gefolgsleute wie HESS oder HIMMLER gingen noch weiter. Darauf muß man erst einmal kommen: "Würde man die Menschheit in drei Arten einteilen, in Kulturbegründer, Kulturträger und Kulturzerstörer, dann käme als Vertreter der ersten wohl nur der Arier in Frage". Das schrieb Adolf HITLER 1924 im Kapitel "Volk und Rasse" seines Bekenntnisbuches "Mein Kampf". (…) MfG, Robert Hottua