Die Schule reproduziert die sozialen Ungleichheiten und Ungerechtigkeiten. Sie wiederholt die strukturellen Fehler in der Gesellschaft. Das war die Grundaussage von Myriam Cecchetti („déi Lénk“). Das dürfe jedoch nicht der Bildungsauftrag der öffentlichen Schule sein, so die Abgeordnete. Sie hatte die gestrige Interpellation zum Thema initiiert. Der demokratische Bildungsauftrag müsse sich insbesondere an Schüler und Schülerinnen aus sozial schwachen Milieus richten, denen der Erfolg nicht gleich in die Wiege gelegt wurde.
Die Bildungschancen müssten gerecht verteilt werden. Jeder sollte die Möglichkeit bekommen, sich seinen Präferenzen nach zu orientieren. 96 Prozent der Schulabbrecher verließen die Schule, weil ihnen der Studiengang nicht gefiel, zitierte Cecchetti aus einer Erhebung. Jährlich würden 500 bis 600 Schüler und Schülerinnen die Schulausbildung abbrechen, insbesondere in den Berufsausbildungsklassen.
Ziel der Politik müsse es sein, die gesellschaftlichen Ungleichheiten über die Schule zu beseitigen. Der Bildungsgrad und der Kontostand der Eltern bleiben jedoch nach wie vor wichtige Kriterien für schulischen Erfolg. Sie spielten etwa bei der Orientierung der Schüler eine Rolle. So würden die Leistungen von Kindern aus guten Häusern überschätzt, bei den anderen unterschätzt.
Linke will Gesamtschule
Cecchetti plädierte für die Einführung der Gesamtschule. Diese erlaubt ein längeres gemeinsames Lernen der Schüler und Schülerinnen und verlagert eine Entscheidung über den weiteren Bildungsweg um einige wenige Jahre nach hinten. Erfahrungen im Ausland zeigten, dass sich das längere Zusammensein der Schüler positiv auf ihre weitere schulische Entwicklung auswirke. Dieser sogenannte „Tronc commun“ war bereits 1979 von der damaligen LSAP-DP-Regierung beschlossen worden. Das Gesetz verschwand jedoch nach dem Regierungswechsel 1984 und dem Machtantritt der CSV in die Schublade. Laut Cecchetti sei die Schule in den 1970er Jahren stehengeblieben. Die Abgeordnete forderte das Ende der „Hierarchisierung“ der Schulen, wonach das klassische Lyzeum der Königsweg zu einer Hochschulbildung und gutbezahlten Jobs sei.
Auch die CSV-Abgeordente Martine Hansen (CSV) betonte die mangelnde Chancengleichheit in der Luxemburger Schule. Laut nationalem Bildungsbericht würde sich der sozioökonomische Hintergrund auf den schulischen Erfolg der Kinder auswirken. Die sich weiter öffnende Bildungsschere habe mit der Sprachensituation zu tun. Der Sprachunterricht müsse reformiert, die Sprachförderung in der Früherziehung verstärkt werden. Voraussetzung dafür sei jedoch, dass alle Kinder von dieser Früherziehung profitieren könnten. Doch dazu würden oftmals Plätze fehlen. Hansen befand, dass die Orientierung der Kinder ausschließlich aufgrund der Noten erfolgen sollte. Würden ausschließlich diese berücksichtigt, würden weniger Kinder aus sozial schwachen Milieus in Vorbereitungsklassen orientiert.
Claude Lamberty (DP) zufolge liege die größte Herausforderung der Schule darin, allen Kindern dieselben Startchancen zu geben. Jeder müsste die Chance haben, seine Talente zu entwickeln. Daher auch die in den letzten Jahren betriebene Politik unterschiedlicher Schulen für unterschiedliche Schüler. Jedes Kind sollte die Schule finden, die zu ihm passt. Die Bildungslandschaft sei farbiger geworden. Das Bildungsangebot müsse ständig an die Bedürfnisse angepasst werden. Das Einkommen der Eltern dürfe keine Hürde darstellen. Ein einheitliches Modell reiche heute nicht mehr.
Closener verteidigt Bildungssystem
Unterschiedliche Schule für unterschiedliche Kinder – der eingeschlagene Weg der Regierung sei schon der richtige, meinte Francine Closener (LSAP). Ein weiterer positiver Schritt sei das Pilotprojekt französische Alphabetisierung in vier Grundschulen ab September. Sie verwies auf interessante Projekte im Elsass, wo Schulklassen von zwei Lehrern betreut würden. Der erste unterrichte ausschließlich auf Französisch, der zweite ausschließlich auf Deutsch. Die Kinder seien perfekt zweisprachig.
Während Josée Lorsché („déi gréng“) eine Förderung der Kinder noch vor dem dritten Jahr anmahnte, äußerte sich Fred Keup (ADR) als Verteidiger des aktuellen Schulsystems. Die Schule sei keinesfalls in den 1970er Jahren stehengeblieben, sondern habe sich in den 1980er und 1990er Jahren verändert, weil sich Gesellschaft, Lehrer und Schüler verändert hätten. Die Mehrsprachigkeit des Landes sei keinesfalls eine Benachteiligung. Natürlich sei es einfacher, nur eine Sprache zu erlernen. In der Vergangenheit hätten sich ausländische Experten stets belobigend über Luxemburgs Mehrsprachigkeit geäußert. Ihr sei der Erfolg des Landes zu verdanken. Zwar sollen die Kleinkinder in den Kindertagesstätten ans Luxemburgische herangeführt werden, doch in den wenigsten Kitas würde Luxemburgisch gesprochen, bemängelte er.
Sven Clement (Piratenpartei) verorterte Ungleichheiten in der Schule nicht nur zwischen sozioökonomischen Gruppen, sondern auch zwischen den Geschlechtern und unter Menschen mit Behinderung oder nicht. Er hoffe auf eine Anpassung der Schulbücher, um Stereotypen zu beseitigen.
Meisch weist Vorwürfe zurück
Unterrichtsminister Claude Meisch (DP) zufolge funktioniere die Schule für viele Schüler recht gut. Sie würden die Schule mit einem Abschlusszeugnis verlassen, das ihnen eine Chance auf eine weiterführende Bildung gebe. Er erinnerte an bisher durchgeführte Reformen zur Verbesserung der Chancengleichheit. Unter anderem würden die kommunikativen Kompetenzen bereits in der Kita gefördert. Die Vorwürfe unzureichender Zuwendung an Kinder mit Sonderbedürfnissen wies Meisch zurück. 0,8 Prozent der Schüler würden derzeit in Kompetenzzentren geschult, die anderen besuchten die Regelschule. In keinem anderen Land sei der Anteil so niedrig. Dennoch müsse auch weiterhin über Inklusion geredet werden. Die Früherkennung von Sonderbedürfnissen soll weiter verstärkt werden.
Meisch betonte, dass die Kompetenzen der Kinder auch im Rahmen der nonformalen Bildung gefördert würden, so in den SEA („Services d’éducation et accueil“/„Maisons relais“). Auch das trage zur Chancengerechtigkeit bei.
Angesichts der großen staatlichen finanziellen Unterstützung für Früherziehung und SEA liege die Verantwortung für den Ausbau des Angebots nicht beim Staat, sondern bei den Gemeinden, wies Meisch Kritik u.a. der CSV zurück. Und an die Interpellantin Cecchetti gerichtet meinte er, man brauche keine Revolution im Bildungswesen, sondern eine permanente Evolution und Anpassung.
De Maart

Lieber Herr Meisch, wenn Schüler das Pensum vom Jahrgang nicht beherrschen, so müssen diese Schüler das Jahr wiederholen und nicht mit mangelnden Kenntnisse auf ein neues Schuljahr zu steuern
Herr Meisch ist das Ende für das luxemburgische Schulsystem. Nach 8 Jahren hat der Herr es fertiggebracht, dass das Niveau an unseren Grund- und Hochschulen sich « en chute libre » befindet. Es ist katastrophal. Schüler und Lehrer sind entmutigt. Sollte dieser Herr noch länger Minister bleiben, wars das den wohl mit dem einst so erfolgreichen luxemburgischen Bildungswesen!
Minister Meisch und andere Politiker messen die "Güte" einer Schule an der Anzahl von Abschlusszeugnissen. Wichtig: die Schule muss an möglichst vielen Tagen die Schüler beherbergen, und am Ende ein Abschlusszeugnis aushändigen. Intelligenz, handwerkliches Können, Ausbildung, oder gar einfach nur Bildung der Schüler ist unwichtig. Das was zählt, das ist das Abschlusszeugnis. Ohne Abschlusszeugnis gibt es leider keine weiterführende Bildung! Mit Zeugnis aber schon. Unsere Genies im Ministerium haben nun das Ei des Kolumbus entdeckt: Jeder Schüler bekommt seine eigene Schule und also sein eigenes Abschlusszeugnis. Damit ist das Schulproblem endgültig gelöst: jeder Sprössling der Gambia-Oligarchen bekommt eine rosige Zukunft, ohne Stress und Arbeit, so wie es sich auch gehört.