Mittels einer wenig aussagekräftigen Pressemitteilung hat die Luxemburger Regierung am Montag angekündigt, dass Außenminister Xavier Bettel, Wirtschaftsminister Lex Delles und Finanzminister Gilles Roth an der Ministerratstagung der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) in Paris teilnehmen werden. „Die Minister werden an verschiedenen Arbeitsgruppen teilnehmen und bei mehreren Sitzungen das Wort ergreifen“, heißt es lediglich. Zudem seien bilaterale Gespräche vorgesehen.
Davon, wie wichtig das am Dienstag und Mittwoch in Paris stattfindende Treffen wirklich sein wird, ist in der Mitteilung nichts zu lesen. Doch hinter den Kulissen wird es um nichts weniger als um die Zukunft, die Existenz und die Daseinsberechtigung der Organisation gehen, also um deutlich mehr als nur um den Austausch von diplomatischen Höflichkeiten.
Hintergrund ist, wie heutzutage so oft, die neue Politik der Trump-Regierung. Diese sieht die internationale Organisation nämlich im Gegensatz zu vielen Kritikern des Kapitalismus nicht als Mittel, um eine „neoliberale“ Wirtschaftspolitik durchzusetzen, sondern im Gegenteil als Instrument Europas, um der Weltwirtschaft störende Regeln aufzuzwingen.
Marshallplan zum Wiederaufbau Europas
Die 1961 gegründete OECD ist eine der Organisationen, die zum Fundament der von den USA dominierten Nachweltkriegsordnung gezählt werden kann. Mit dem Marshallplan zum Wiederaufbau Europas entstanden, ist ihre Rolle im Laufe der Jahre jedoch stetig gewachsen. Heute versteht sie sich als Forum, als Konferenz, in dessen Rahmen sich die Regierungen der Mitgliedstaaten untereinander – und mit anderen – austauschen und Lösungen für gemeinsame Probleme finden können.
Unser Kernziel (…) ist es, die individuelle Freiheit zu wahren und das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen unserer Bürger zu verbessern
„Die OECD ist eine Kraft für das Gute in der Welt“, so Generalsekretär Mathias Cormann. „Unser Kernziel (…) ist es, die individuelle Freiheit zu wahren und das wirtschaftliche und soziale Wohlergehen unserer Bürger zu verbessern.“ Zu ihren Mitgliedern zählen 38 Länder, darunter neben vielen europäischen Staaten unter anderem auch Kanada, Australien, Chile, die USA, Japan und die Türkei.
Um ihr Hauptziel, die Erhöhung des Lebensstandards der Menschen, zu erreichen, sammelt die Organisation Daten, erstellt Statistiken und analysiert die Ergebnisse unterschiedlicher politischer Maßnahmen. Mit rund 2.500 Beschäftigten und einem Hauptsitz in Paris hat die OECD ihr ursprüngliches Mandat längst auf Umweltschutz, Bildung, Gesundheit und soziale Gerechtigkeit ausgeweitet. Dabei arbeitet sie, laut eigen Aussagen, weltweit mit mehr als 100 Ländern zusammen.
Mehr als nur Statistiken und Berichte
Die OECD wagt sich dabei auch an ungeliebte Themen wie die Besteuerung von Reichtum oder Erbschaften heran. Von ihr wissen wir beispielsweise, mit Fakten belegt, wie sich Steuerquoten entwickeln und wie gut unterschiedliche Bildungswesen in puncto Naturwissenschaften sind. Nicht aus jedem Bericht lassen sich die Punkte so einfach herauspicken, wie etwa die Luxemburger Regierung dies zuletzt bei den Ratschlägen der Organisation zur Luxemburger Rentenreform getan hat.
Ihre Daten sind dabei oft unbequem für nationale Regierungen, und das nicht nur, wenn es ums Bildungswesen geht. So hat auch Luxemburg von der OECD wirklich nicht immer nur Lob erhalten. Im Gegenteil: Mit ihren grauen Listen hat die Organisation vor rund zehn Jahren maßgeblich zur Abschaffung des Bankgeheimnisses beigetragen. Aufeinanderfolgende Skandale bei der Besteuerung von multinationalen Firmen haben dazu geführt, dass sie beauftragt wurde, für mehr Transparenz im Steuerwesen zu sorgen.
Bei ihrem aktuellen Vorzeigeprojekt geht es darum, Steuergerechtigkeit bei international handelnden Konzernen durchzusetzen. Die Einführung einer globalen Mindeststeuerquote ist nach jahrelangen Diskussionen entschieden worden.
Doch genau hier regt sich Widerstand aus den USA: Während die Regelung die Zustimmung der Biden-Regierung hatte, so sieht man das globale Steuerabkommen in der neuen Trump-Regierung als Angriff auf die nationale Souveränität. Man sieht das Abkommen als einen Versuch Europas, die Steuereinnahmen erfolgreicher amerikanischer Unternehmen in die Kassen europäischer Regierungen umzuleiten, die selber unfähig sind, ein attraktives wirtschaftliches Umfeld zu schaffen. Die USA haben bereits entschieden, das Abkommen abzulehnen.
Hinzu kommt, dass die USA die Mitgliedschaft in allen internationalen Institutionen auf den Prüfstand gestellt haben. Man hat vergessen, dass die Organisation so aufgebaut wurde, wie man es sich selbst gewünscht hatte. Die USA sehen sich als großer Beitragszahler von den anderen Staaten ausgenutzt. Vor allem ein Dorn im Auge sind der US-Regierung dabei Ausgaben in gesellschaftlichen Bereichen, die etwa mit „Diversity, Equity and Inclusion“ zu tun haben.
Luxemburg klar für Multilateralismus
Die OECD steht damit aktuell vor ihrer größten Bewährungsprobe seit dem Ende des Kalten Krieges: Ohne die größte Volkswirtschaft der Welt würden der Organisation nicht nur die größte Volkswirtschaft der Welt, Budget und politische Macht fehlen, sondern auch die Legitimität ihrer Entscheidungen. Internationale Regelungen dürften sich nur noch schwierig durchsetzen lassen. Länder wie China oder Indien werden kaum Vorschriften akzeptieren, die primär europäische Interessen widerspiegeln.
Würden die USA jedoch entscheiden, Mitglied zu bleiben, dürfte die Lage nicht viel einfacherer werden: Mit Sicherheit würden sie Beitragskürzungen und regulatorische Ausnahmen für das eigene Land fordern. Die Organisation würde von innen heraus untergraben. Internationale Steuergerechtigkeit würde sich so ebenfalls nur noch schwierig erreichen lassen.
Die Ironie der aktuellen Situation liegt darin, dass die Trump-Regierung eine Institution untergraben könnte, die maßgeblich zur amerikanischen Machtstellung in der Welt beigetragen hat und die mitgeholfen hat, Hunderten von Millionen Menschen weltweit Wohlstand und Freiheit zu bringen. Die nächsten Monate werden zeigen, ob die Organisation auch weiterhin relevant für eine regulierte Weltwirtschaft bleiben kann oder ob sie zu einem weiteren Beispiel für den Niedergang multilateraler Institutionen wird.
Sicher ist, dass die Weltwirtschaft ohne OECD mehr Ungerechtigkeit, Intransparenz und Hinterzimmerdeals erleben würde. Die Organisation steht trotz aller Kritik für eine regelbasierte Wirtschaft und nicht bloß für das Recht des Stärkeren.
Die Position Luxemburgs ist klar: Das Großherzogtum hat in der Vergangenheit vom internationalen Handel und der internationalen Zusammenarbeit profitiert, so Gilles Roth am Dienstag in den sozialen Netzwerken. „Wir unterstützen weiterhin den Multilateralismus als einen wichtigen Ansatz zur Bewältigung globaler Herausforderungen.“


De Maart

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