Montag29. Dezember 2025

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BulgarienSchatten der Ungewissheit über Bulgariens Zeitenwende

Bulgarien / Schatten der Ungewissheit über Bulgariens Zeitenwende
In einem Dorfladen in der Ortschaft Chuprene im Nordwesten Bulgariens wird einstweilen noch mit der Landeswährung Lew bezahlt Foto: AFP

Überschattet von heftigen Politturbulenzen geht Bulgarien in das neue Euro-Zeitalter. Wirtschaftlich hat das EU-Schlusslicht zwar kräftig aufgeholt. Doch es sind die demokratischen Defizite, die vor allem jüngere Bulgaren den Bruch mit der Hinterzimmerpolitik, Vetternwirtschaft und dem Parteienfilz fordern lassen.

Geduldig harren die auf den Stufen der Nationalbank in Sofia aufgereihten Menschen auf Bulgariens Zeitenwende – und das neue Geld. Er wolle sich das Startset mit den neuen Euro-Münzen „zur Erinnerung“ kaufen, sagt ein junger Mann mit Pudelmütze: „Für mich ist die Einführung des Euro positiv.“ Auf den Euro habe er „20 Jahre lang gewartet“, bekennt der weißhaarige Rentner Aleksandar Lasarow. Verständnis für die Ängste der Euro-Skeptiker hat er nicht: „Das ist nur die Folge der Propaganda Moskaus.“

Unwirsch blättert der Parkwächter in der Straße des 6. September durch sein Bündel mit den vertrauten Lewa-Scheinen. Jetzt, wo die „korrupte Regierung endlich gefallen“ sei, werde die Euro-Einführung hoffentlich „um ein Jahr verschoben“, wiederholt er knurrend eine Forderung der prorussischen Nationalisten der oppositionellen „Wiedergeburt“-Partei: „Am besten wäre, man würde ganz auf den Euro verzichten. Unser Lew ist gut genug.“

Keine Wehmut vor dem Abschied vom vertrauten „Löwen“ kommt hingegen im Finanzministerium bei Metodi Metodiew auf. Seit 2018 sei er mit der Euro-Einführung beschäftigt, berichtet der geschäftsführende Staatssekretär mit dem dunklen Dreitagebart. Nach Estland weise Bulgarien in der EU die niedrigste Staatsverschuldung auf. Das Haushaltsdefizit liege seit Jahren fast immer unter der in der Eurozone vorgegebenen Drei-Prozent-Grenze, versichert er.

Der geschäftsführende Staatssekretär im bulgarischen Finanzministerium Metodi Metodiew
Der geschäftsführende Staatssekretär im bulgarischen Finanzministerium Metodi Metodiew Foto: Thomas Roser

„Alle Vorbereitungen laufen nach Plan“, in 25 Städten und über 200 Landgemeinden habe sein Ministerium gemeinsam mit der Nationalbank in den letzten Monaten Informationsveranstaltungen durchgeführt, so Metodiew. Dass sich seine Regierung Mitte Dezember ausgerechnet kurz vor dem Startschuss des Euro-Zeitalters zum Abtritt gezwungen sah und nur noch geschäftsführend im Amt ist, gefährdet ihm zufolge die Währungsumstellung keineswegs: „Es gibt keinen Weg zurück. Wir sind für die Euro-Einführung bereit.“

Ein Riesenrad kreist über den Holzhüttendächern vor dem Kulturpalast. Der Duft von Glühwein und Bratenfett zieht über den Weihnachtsmarkt. Alle Preise sind doppelt ausgezeichnet. 22 Lewa oder 11,15 Euro für einen Burger, 17 Lewa oder 8,60 Euro für eine Wurst, 6 Lewa oder 3,08 Euro für einen kleinen Pappbecher Glühwein. Egal, ob in Euro oder Lew, zumindest preislich scheint die Hauptstadt des ärmsten EU-Staats schon jetzt auf Eurozonen-Niveau.

Wir sollten unsere nationalen Symbole bewahren. Schaut doch, was in Frankreich oder Deutschland los ist. Überall ist Chaos. Und was haben wir da als ärmstes EU-Land in der Eurozone zu suchen?

Betreiberin einer Gemüseladens

BIP des Landes hat sich EU-Mittel angenähert

Von Hand hat die Betreiberin des „Gemüse und Früchte“-Laden bei der Metro-Station die doppelten Preise auf die Schilder ihrer Apfel- und Gurkenkisten gezeichnet. Sie sei „nicht gegen die EU“, versichert sie. Doch der von ihr abgelehnte Währungswechsel sei für sie auch eine „Frage der nationalen Identität“: „Wir sollten unsere nationalen Symbole bewahren. Schaut doch, was in Frankreich oder Deutschland los ist. Überall ist Chaos. Und was haben wir da als ärmstes EU-Land in der Eurozone zu suchen?“

Das vertraute Mantra vom ärmsten Staat der EU wollten viele seiner Landsleute nicht mehr missen, spöttelt im Büro des „Zentrums für liberale Strategien“ (CLS) deren Programmdirektor Georgi Ganew. Tatsächlich habe sich das bulgarische Bruttoinlandsprodukt von 28 Prozent des EU-Mittels vor dem Beitritt 2007 inzwischen auf 66 Prozent vergrößert und nähere sich dem von Griechenland an. Der verbesserte Lebensstandard schlage sich auch auf die Migrationsstatistiken nieder: „Mittlerweile kehren jährlich 80.000 mehr Leute aus dem Ausland nach Bulgarien zurück als abwandern.“

Die Zustimmung zur Euro-Einführung sei in den Städten größer als in der Provinz und bei Älteren niedriger als bei Jüngeren, so der Ökonom. Das größte Problem von Bulgariens Wirtschaft sei der Arbeitskräftemangel. Dieser habe nicht nur die Löhne und die Preise kräftig steigen lassen, sondern auch den Beschäftigungsgrad erheblich erhöht. Noch stärker als die Inflation seien indes die lange sehr niedrigen Renten gestiegen: „Dennoch machen sich die Alten vor der Euro-Einführung am meisten Sorgen.“

Sie sei gegen die Euro-Einführung, denn die Preise seien schon „jetzt sehr hoch“, klagt vor dem Gemüseladen die Rentnerin, die sich als Frau Josipowa vorstellt. Sie wisse, dass einige Euro-Staaten „sehr hohe Schulden haben“: „Werden die Zinsen nun auch bei uns steigen und die Kredite teurer werden? Oder wird uns dasselbe Schicksal drohen wie den Griechen? Ich fürchte, dass es Bulgarien mit dem Euro nicht gut ergehen wird.“

„Proteste haben mit Euro nichts zu tun“

Entspannte Jazzweisen perlen aus den Lautsprechern im „Kanaal“, einer hippen Bierkneipe unweit des Zaimow-Parks. Der Lew-Kurs sei schon seit 1997 erst an den DM- und dann an den Euro-Kurs gekoppelt, sagt de,r IT-Manager Plamen. Wirtschaftlich werde die Euro-Einführung daher „keine größeren Folgen haben“, sagt er achselzuckend: „Aber der Euro ist die beste Versicherung, dass Bulgarien nicht wieder in die russische Einflusssphäre gerät.“

Nur ein junger Partei-Assistent hält im leer gefegten Hauptquartier der russophilen „Wiedergeburt“ am Slawejkow-Platz die Stellung. Nein, zur Frage, warum seine Partei gegen den Euro sei, könne er sich nicht äußern, so die Auskunft des verlegenen Mannes: „Da muss ich erst unsere Führung fragen.“

Hektische Geschäftigkeit ist hingegen in den hohen Korridoren des Parlaments angesagt. Die Erwartung von nahenden Neuwahlen elektrisiert die noch amtierenden Volksvertreter: Sollte der Urnengang wie erwartet im März steigen, wäre es die achte Parlamentswahl innerhalb von fünf Jahren.

Nein, die von ihm jahrelang vorbereitete Einführung des Euro sei durch den Regierungsabtritt keineswegs gefährdet, versichert der pro-europäische Oppositionschef und frühere Finanzminister Assen Wassilew (PP-DB). Auch den Zeitpunkt der von ihm unterstützten Proteste gegen die Korruption hält der eloquente Harvard-Absolvent trotz der Währungsumstellung keineswegs für problematisch: „Die Proteste haben mit dem Euro nichts zu tun. Die Leute wollen einfach, dass Bulgarien anders regiert wird.“

Gute Wachstumsraten trotz Regierungskrisen

Aus seinem Missfallen über den Regierungswechsel macht der sehnige Politologe Stojko Stojtschew keinen Hehl. Zu Jahresbeginn seien die Leute der ewigen Neuwahlen noch müde gewesen und hätten eine „stabile Regierung gewünscht, egal welche“, schnaubt der frühere Hobby-Boxer, während er für das Interview in seinem Büro in der Philosophischen Fakultät ein Sakko über seine tätowierten Arme zieht: „Jetzt ist es genau andersherum.“

Eine hohe Zahl von durch Tiktok-Kampagnen mobilisierten Demonstranten bedeute keine höhere Wahlbeteiligung. Ohne klare Mehrheit könnte der Wahl im Frühjahr schon die nächste im Herbst folgen, unkt Stojtschew: „Man kann die Leute nicht dazu zwingen, immer wieder aufs Neue zu wählen. Irgendwann haben sie von der Demokratie genug – und rufen nach dem starken Mann.“

Hell glänzen in der Dämmerung die weihnachtlich geschmückten Schaufenster der internationalen Modehausketten: Zumindest in der Fußgängerzone am Vitoscha-Boulevard unterscheidet sich Sofia kaum von anderen EU-Metropolen.

Trotz der vielen Regierungswechsel weise Bulgarien in den letzten Jahren auffällig gute Wachstumsraten auf, berichtet Ökonom Ganew. „Die korrupten Netzwerke im Dunstkreis der Regierungsparteien, die bei manipulierten Ausschreibungen staatliche Ressourcen abziehen, können sich in Zeiten der verschärften politischen Konkurrenz nicht mehr so leicht bilden“, erklärt er das scheinbare Paradox einer stabilen Wirtschaft trotz endloser Politturbulenzen.

Die Jungen wollen die Lage im Land verändern

Seine Landsleute hätten von „offen korrupten Figuren“ wie DPS-Chef Deljan Peewski „einfach genug“, sagt der grauhaarige Demonstrationsveteran Rumen: „Jeder weiß, dass der Mann sich Stimmen und die Macht kauft und die Justiz kontrolliert. Er macht nicht einmal ein Geheimnis daraus.“

Den starken Zulauf bei der jetzigen Protestwelle erklärt Ökonom Ganew auch mit dem „Wegfall des Ventils der Emigration“: „Früher wanderten die Unzufriedenen irgendwann aus. Die Angehörigen der Generation Z wollen nicht mehr weg. Sie wollen bleiben – und die Lage hier ändern.“

Im „Kanaal“ bestellt sich IT-Manager Plamen ein letztes Bier. Von seiner Firma habe er bereits mehrere Angebote erhalten, ins Ausland zu wechseln, erzählt der Jungfamilienvater: „Aber ich habe alle abgelehnt.“

Klar könnte er in London oder Dubai mehr verdienen und hätte bessere Karrierechancen. Doch in Sofia habe er in seinem Job auch ein „westliches Gehalt“, liege der Einheitssteuersatz bei zehn Prozent und seien die Lebenshaltungskosten geringer: „Hier wohne ich in meiner eigenen Wohnung, wir haben ein Ferienhäuschen in den Bergen und die griechische Küste ist nur wenige Fahrstunden entfernt: Die Lebensqualität ist hier einfach besser.“