StandpunktSanktionen gegen Siedler und die liberale internationale Ordnung

Standpunkt / Sanktionen gegen Siedler und die liberale internationale Ordnung
US-Präsident Joe Biden spricht im Oktober 2023 im Oval Office des Weißen Hauses zum Konflikt zwischen Israel und dem Gazastreifen Foto: AFP/Jonathan Ernst

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Am 1. Februar unterzeichnete US-Präsident Joe Biden eine Durchführungsverordnung zur Verhängung von Sanktionen gegen vier israelische Siedler im Westjordanland, wo die extremistische Gewalt und die Zerstörung von Eigentum zugenommen haben. Dies folgt auf fünf neue Sanktionsrunden gegen die Hamas seit dem 7. Oktober und auf die im Dezember verhängten Sanktionen gegen Finanznetzwerke, die die Huthis finanzieren.

Bidens historische Entscheidung, Sanktionen gegen Einzelpersonen eines engen Verbündeten zu verhängen, spiegelt sowohl den innenpolitischen als auch den internationalen politischen Druck wider. Die Regierung scheint erkannt zu haben, dass die extremistische Gewalt Israels und die Siedlungen selbst eine Bedrohung für die strategischen Interessen der USA und die liberale internationale Ordnung im Allgemeinen darstellen.

Kritiker von Bidens „Democracy Defense Credo“ sehen im Israel-Gaza-Konflikt ein weiteres Beispiel dafür, wie er dem eigentlichen Konfliktthema – territoriale Kontrolle und Souveränität – ausweicht. Es ist wichtig zu betonen, dass die Durchsetzung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit ein integraler Bestandteil der Demokratieförderung sein sollte und dass gemeinsame demokratische Werte die Unterstützung der USA für Israel als wichtigen Verbündeten gegen islamistischen Extremismus und Terrorismus untermauern. Doch angesichts Israels eigener demokratischer Rückschritte und der hohen Zahl ziviler Opfer im Gazastreifen spiegelt Bidens unerschütterliche Unterstützung Israels eine Doppelmoral wider, die Amerikas Glaubwürdigkeit und Ansehen in der Welt untergräbt.

Siedlungsproblematik nicht neu

Natürlich ist die Siedlungsproblematik nicht neu. In den von Israel seit dem Sechstagekrieg von 1967 besetzten Gebieten – insbesondere im Westjordanland, in Ost-Jerusalem und auf den Golanhöhen – gibt es seit langem staatlich geförderte Siedlungen. Diese werden von den meisten Ländern und den Vereinten Nationen als völkerrechtswidrig betrachtet.

Seit 1967 haben Resolutionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen Israel zur Einhaltung humanitärer Grundsätze in den besetzten Gebieten aufgefordert (z.B. 237), extremistische Gewalt von Siedlern verurteilt (271), Gebietserwerbungen in Jerusalem für unzulässig erklärt (252, 267, 298) und die israelischen Siedlungen als völkerrechtswidrig und als Hindernis für den Frieden im Nahen Osten bezeichnet (446, 465, 2334). Darüber hinaus verbietet die Vierte Genfer Konvention einer Besatzungsmacht die Umsiedlung der eigenen Zivilbevölkerung in das von ihr besetzte Gebiet.

Die neue Durchführungsverordnung richtet sich gegen Personen, die Unruhen schüren, Zivilisten und Aktivisten angreifen, Brände legen, Sachschäden verursachen und zur Vertreibung oder zum Tod von Palästinensern beitragen. Die Sanktionen ermöglichen das Einfrieren von Vermögenswerten, das Verbot von Geschäften mit Einzelpersonen und Organisationen sowie Einreisebeschränkungen in die USA.

Sanktionen durch die USA

Die USA haben eine lange Tradition in der Durchsetzung des Völkerrechts, der Sanktionierung des Terrorismus, der Überwachung des Drogenhandels und der Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Frieden zur Unterstützung der liberalen internationalen Ordnung, die sie mit aufgebaut haben. Sanktionen werden häufig sofort gegen US-Gegner wie Kuba, Iran, Nordkorea und Syrien sowie gegen Terrorgruppen wie Al-Kaida und Hamas verhängt. Speziell wegen Menschenrechtsverletzungen wurden Sanktionen gegen Belarus, China, Iran, Kuba, Libyen, Nordkorea, Russland, Südsudan und Syrien verhängt.

In anderen Fällen haben die USA Sanktionen gegen Länder verhängt, mit denen sie zuvor gute Beziehungen unterhielten. In der Regel handelt es sich dabei um nahe gelegene Länder, deren Politik sich direkt auf die USA auswirkt, wie im Fall der Sanktionen gegen kolumbianische, nicaraguanische und venezolanische Beamte im Rahmen des Foreign Narcotics Kingpin Designation Act. In anderen Fällen haben sich die USA von weit entfernten Ländern wie Myanmar und Simbabwe abgewandt, denen es nicht gelungen ist, einen demokratischen Wandel herbeizuführen.

Nur in seltenen Fällen haben die USA Sanktionen gegen Länder verhängt, an denen sie wichtige wirtschaftliche oder strategische Interessen hatten. Im Jahr 1986 verabschiedete der Kongress in einer parteiübergreifenden Abstimmung (gegen das Veto von Präsident Ronald Reagan) den Comprehensive Anti-Apartheid Act, der Sanktionen gegen Südafrika verhängte und die Freilassung von Nelson Mandela sowie das Ende der Minderheitsherrschaft forderte. Im Gegensatz dazu führte die Ermordung des saudischen Journalisten Jamal Khashoggi im Jahr 2018 zu Sanktionen gegen mehrere Personen im Rahmen des Global Magnitsky Act, verschonte jedoch die saudische Führung, obwohl die CIA Beweise für eine direkte Beteiligung des Königreichs vorgelegt hatte.

Aus diplomatischer Sicht mag die Entscheidung, Sanktionen gegen israelische Siedler zu verhängen, für Biden ebenso schwierig gewesen sein wie für Reagan, Sanktionen gegen Südafrika zu verhängen, oder für Donald Trump, Sanktionen gegen die Saudis zu verhängen. Grundsätzlich steht die Sanktionierung israelischer Siedler wegen Menschenrechtsverletzungen in den besetzten Gebieten jedoch voll und ganz im Einklang mit dem Bestreben der USA, eine liberale internationale Ordnung zu fördern. Die Gewalt der Siedler ist nach dem humanitären Völkerrecht, wie es in den Genfer Konventionen und ihren Protokollen definiert ist, illegal. Diese bieten Zivilisten Schutz bei militärischen Angriffen, verbieten wahllose Angriffe und verlangen, dass militärische Operationen im Verhältnis zum erwarteten militärischen Vorteil stehen.

Durch die Verhängung von Sanktionen gegen Einzelpersonen, deren Verhalten nach internationalem Recht als illegal oder einfach als ein Hindernis für den Frieden angesehen wird, bekräftigen die USA ihr Engagement für die Lösung von Konflikten durch die Durchsetzung des Rechts. Die Biden-Administration demonstriert damit die Führungsrolle der USA bei der Förderung des Friedens und der Einhaltung weltweit anerkannter Normen und stärkt letztlich die Allianzen mit Ländern, die ähnliche Werte teilen und ein Interesse an der bestehenden Weltordnung haben.

USA können und sollten mehr tun

Aber die USA können und sollten mehr tun, um den Konflikt zu beenden. Ian Lustick, der Gründer der Association for Israel Studies, stellt fest, dass „Israel noch nie einen Krieg beendet hat, ohne dazu aufgefordert worden zu sein“, was darauf hindeutet, dass Israel die Ausweitung des Krieges als Verhandlungstaktik einsetzt. Israel rechnet fest damit, dass die USA eingreifen werden, ja es braucht sie sogar. Es liegt auf der Hand, dass die Beendigung des Krieges für die US-Politiker oberste Priorität haben sollte.

Bis dahin sollten sie von den Beteiligten die Einhaltung des Kriegsrechts verlangen. Der erste Schritt wäre, die amerikanische Gesetzgebung entsprechend zu ändern. Ein Gesetzentwurf, der Israel bedingungslose Hilfe anbot, wurde im Repräsentantenhaus nicht angenommen. Wenn ein umfassenderes Sicherheitspaket zur Abstimmung gestellt wird, sollte es nur Hilfe anbieten, die dazu verwendet werden kann, die Hamas aufzuspüren, gefangenzunehmen und zu neutralisieren. Außerdem sollte es humanitäre Hilfe und Wiederaufbauhilfe für die Zivilbevölkerung in Gaza anbieten, die über die vom UN-Hilfswerk für Palästina-Flüchtlinge zurückgehaltene Hilfe hinausgeht.

Da die USA nicht zum letzten Mal vor einem solchen Dilemma stehen werden, lohnt es sich, über ein kontrafaktisches Problem nachzudenken. Hätte Biden darauf verzichtet, die israelische Siedlergewalt zu sanktionieren, hätte er die Legitimität der US-Sanktionsbefugnisse und das internationale System, das durch solche Sanktionen aufrechterhalten werden soll, untergraben.

Risiken für die ganze Welt

Angesichts aller Präzedenzfälle wäre es skandalös, den Siedlerterrorismus nicht zu sanktionieren. Letzten Monat warnte der ehemalige Direktor der Internationalen Atomenergiebehörde, Mohamed el-Baradei, dass das Versäumnis der USA, auf die groben Verletzungen des humanitären Völkerrechts durch Israel in Gaza zu reagieren, ihr selektives Engagement für liberale Normen offenbare und eine direkte Bedrohung für die internationale Ordnung darstellte.

Die Bestrafung von Verstößen gegen ihre erklärten Prinzipien ist von entscheidender Bedeutung, um die Hegemonie der USA in einer liberalen Weltordnung zu festigen. In einer Zeit, in der aufstrebende Mächte diese Hegemonie in Frage stellen, haben die USA ein fundamentales Interesse daran, die Koalition zur Aufrechterhaltung dieser Ordnung zu erweitern. Sie werden diese Unterstützung brauchen, wenn sich der Krieg zwischen Israel und Gaza, der Krieg Russlands gegen die Ukraine und der sich abzeichnende Konflikt mit China zu einem globalen Krieg ausweiten – ein Risiko, das zu groß ist, um ignoriert zu werden.

Die sich entwickelnde Nahostpolitik Bidens ist für die USA von strategischer Bedeutung, da sie sich den Herausforderungen stellen muss, die mit den zunehmenden geopolitischen Turbulenzen einhergehen. Je mehr sich die USA durch ihre Haltung zum Krieg zwischen Israel und Gaza international isolieren (wie die Abstimmungen in der UNO zeigen), desto größer werden die Risiken für uns alle.

* Carla Norrlöf ist Professorin für Politikwissenschaft an der University of Toronto und ein Non-Resident Senior Fellow beim Atlantic Council.

Übersetzung: Andreas Hubig. Copyright: Project Syndicate, 2024. www.project-syndicate.org.

Carla Norrlöf, Professorin für Politikwissenschaft an der University of Toronto, ist ein Non-Resident Senior Fellow beim Atlantic Council
Carla Norrlöf, Professorin für Politikwissenschaft an der University of Toronto, ist ein Non-Resident Senior Fellow beim Atlantic Council
fraulein smilla
10. Februar 2024 - 17.58

Sanktionen gegen vier Siedler in der West Bank . Die muessen es dann aber schon ganz doll getrieben haben .