„Seien wir doch mal ehrlich“, sagt die Familienministerin der russischen Region Baschkortostan, Lenara Iwanowa, „qualitativ hochwertige Kinder gibt es, wenn eine Frau sie mit 20 Jahren zur Welt bringt. Kinder, die später geboren werden, sind Ausschussware.“ Dem Moderator fällt in dem Augenblick nicht etwa das Mikro aus der Hand, er macht einfach beflissen weiter mit seinen Fragen. Iwanowa meldet sich wenige Tage nach ihrem Auftritt in der YouTube-Sendung „Aspekte – Baschkortostan“ wieder zu Wort, klagt über „zu viel erboste Kommentare“ wegen ihrer Aussagen. Sie habe sich doch lediglich „versprochen“, sagt sie. Am Inhalt dieser Aussagen hält sie nach ihrer halbherzigen Entschuldigung jedoch weiterhin fest: Russlands Frauen sollen zu Frühgebärenden werden, der Staat müsse ihnen das mit allerlei Maßnahmen schmackhaft machen. Doch nicht etwa mit sozialer Versorgung, mit Maßnahmen, die eine gesicherte Zukunft garantieren, anstatt Männer zu Kanonenfutter in einem Krieg zu machen, sondern mit etlichen Verboten.
Der russische Gesundheitsminister Michail Muraschko spricht von einer „festsitzenden verwerflichen Praxis“, dass eine Frau erst eine Ausbildung machen und eine finanzielle Basis schaffen wolle, um dann ein Kind zu haben. Nein, sagt er, schon in der Schule müsse den Mädchen erklärt werden, dass sie zunächst gebären sollen und dann an eine Ausbildung denken könnten.
Ihrer „Gebärfunktion“ wieder gewahr werden
Die Debatte um den Zeitpunkt des Kinderkriegens, der Abtreibungsverbote, letztlich um die Rolle der Frau in der Gesellschaft, sie wird derzeit in jeder russischen Talkshow, auf jedem offiziösen Forum, ja auch im Kreml geführt. Es ist ein Thema, das ablenkt von anderen, und eines, zu dem sich jede und jeder zu äußern bereit ist. Russlands Präsident Wladimir Putin beklagt seit jeher die Demografie im Land, um die es in der Tat schlecht steht. Im ersten Halbjahr dieses Jahres sank die Geburtenrate – im Vergleich zum vergangenen Jahr – um 29 Prozent. Russische Frauen bekommen im Durchschnitt 1,6 Kinder, in Luxemburg liegt die Geburtenrate bei 1,3 Kindern pro Frau. Der russische Sozialfonds prognostizierte im Oktober, die Geburtenrate werde in diesem Jahr nochmals um 5,8 Prozent auf knapp eine Million Entbindungen sinken. Damit würde ein Wert wie in den frühen 1990ern erreicht, ein Wert so tief wie nie in den vergangenen Jahren.
Was kann denn das Kind für die Art seiner Zeugung?
Die Konservativen des Landes wie auch Vertreter der Russisch-Orthodoxen Kirche wissen genau, woran das liege, und überbieten sich in ihren Vorschlägen, wie Russland an mehr Nachwuchs komme: indem Abtreibungen verboten würden und junge Frauen sich endlich wieder ihrer „Gebärfunktion“ gewahr würden, wie es die Senatorin der Region Tscheljabinsk, Margarita Pawlowa, ausdrückte. Ausbildung oder Studium seien unwichtig. Selbst nach einer Vergewaltigung, erklärt der Priester Filipp Iljaschenko im russischen Staatsfernsehen, müsse ein Kind zur Welt gebracht werden. „Was kann denn das Kind für die Art seiner Zeugung?“ Ein Duma-Abgeordneter aus dem Fernen Osten schlägt vor, verurteilten Frauen „Empfängnis-Urlaub“ zu gewähren. Sollten sie in dieser Zeit tatsächlich schwanger werden, könne ihnen die Strafe erlassen werden. Der Patriarch Kyrill will die russische Bevölkerung gar „mit einem Zauberstab vermehren“: Bringe man Frauen von einer Abtreibung ab, würde die Bevölkerungsstatistik sofort steigen, behauptet er allen Ernstes. Deshalb müsste ein Abtreibungsverbot her.
Niedrige Abtreibungsrate
In zwei Regionen existiert dieses bereits, in weiteren Regionen verzichten manche privaten Kliniken „freiwillig“ auf derartige Operationen. Ab kommendem Jahr soll zudem der Verkauf von Abtreibungsmedikamenten eingeschränkt werden. Damit würden die Frauen – wie zu Sowjetzeiten – in die Illegalität getrieben. Die Müttersterblichkeit war hoch, als das Sowjetregime nach einer liberalen Phase Abtreibungen von 1936 bis 1955 verbot, Frauen setzten die ungewollten Babys aus, manche töteten ihre Kinder.
„Der Krieg ist der Grund für die sinkende Geburtenrate, wie auch Armut, Alkoholismus, Krankheiten“, sagt Aljona Popowa, die sich für Frauenrechte in Russland einsetzt. „Der Staat setzt auf Populismus, um von wahren Problemen abzulenken, und hat deshalb das Thema Abtreibungen aus der Mottenkiste geholt.“ Bislang gilt in Russland ein Abtreibungsrecht wie in den meisten EU-Staaten: Frauen dürfen, nach einer Beratung, ihr Ungeborenes bis zur 12. Schwangerschaftswoche abtreiben, bei einer medizinischen Indikation ist eine Spätabtreibung erlaubt.
Eine „Epidemie der Abtreibungen“, von der die Konservativen des Landes sprechen, gibt es nicht in Russland. Nach Angaben der staatlichen russischen Statistikbehörde fallen die Zahlen jährlich um 6 Prozent und sind in diesem Jahr so niedrig wie seit 1991 nicht mehr.
De Maart
Kein Krieg und Friede im Lande wären wohl die effizienteste Lösung dieses Problems. Jeden Tag hunderte gefallener Soldaten, Angst, Stress, Unsicherheit, Perspektivlosigkeit, Patriachat und die menschenverachtende Politik eines Putin und Co werden dieses demografische Problem so nicht lösen. Menschen als Kanonenfutter, nein danke!