Donnerstag6. November 2025

Demaart De Maart

AngelnRuhe am Weiher, Zweifel im Kopf: ein Selbstversuch am Forellenteich in Luxemburg

Angeln / Ruhe am Weiher, Zweifel im Kopf: ein Selbstversuch am Forellenteich in Luxemburg
Ich habe meinen Stiefvater Marco beim Angeln am Weiher begleitet Foto: Jessica Oé

Jetzt weiterlesen!

Für 0,99 € können Sie diesen Artikel erwerben:

Oder schließen Sie ein Abo ab:

ZU DEN ABOS

Sie sind bereits Kunde?

Stundenlang aufs Wasser schauen, plötzlich Adrenalin, wenn ein Fisch anbeißt: Mein erster Tag beim Angeln in Luxemburg zeigt, wie nah Entspannung und Gewissensfragen beieinander liegen.

„Der frühe Vogel fängt den Fisch“, witzelt mein Stiefvater, als wir um sieben Uhr morgens auf den Parkplatz des Campingplatzes Reiler rollen. Marco, seit seiner Jugend leidenschaftlicher Angler, hat mich eingeladen, ihn zum Forellenfischen zu begleiten. Mein Interesse ist nicht zuletzt durch einen Vormittag mit Sportfischer Joé Altmann geweckt worden – und durch die vielen Kommentare auf meinen letzten Artikel. Darin schwang eine Frage mit, die mich seitdem beschäftigt: Ist es ethisch vertretbarer, zu fischen, wenn man den Fang am Ende auch isst, statt ihn nur zum Sport wieder ins Wasser zurückzusetzen? Und noch grundlegender: Könnte ich das überhaupt – einen Fisch nicht nur fangen, sondern auch töten und ausnehmen?

Unsere Ausrüstung ist überschaubar und längst nicht so professionell wie die der routinierten Sportfischer. Ein Freund von Marco hat uns früh am Morgen eine Angelstelle reserviert. Anfüttern ist hier nicht nötig – lediglich eine Bienenlarve muss am Haken befestigt werden. Das allerdings kostet mich mehr Überwindung als erwartet. Die Larven winden sich, und ihren Körper mit dem Haken zu durchbohren, erfordert Fingerspitzengefühl. Fast reflexartig möchte ich mich dafür entschuldigen – bis ich über mich selbst den Kopf schütteln muss.

Ausstieg auf Zeit

Die richtige Wurfbewegung muss geübt sein
Die richtige Wurfbewegung muss geübt sein Foto: Jessica Oé

Wir fischen à l’anglaise, also mit Angelrute und Rolle. Anders als beim Stippfischen, das mir Altmann gezeigt hat und bei dem eine Schwingbewegung genügt, braucht es hier eine präzise Wurfbewegung. „Die Schnur mit dem Finger festhalten, die Sicherung wegklappen, die Angel nach hinten führen und beim Schwung nach vorn den Finger lösen“, erklärt Marco und macht es mir vor. Mein erster Versuch landet im Ufergebüsch, der zweite kaum einen Meter weiter. Marcos Pose schwimmt derweil längst in der Mitte des Weihers. Beim dritten Versuch hilft er mir – und endlich bin ich wirklich beim Fischen. Bis zum Ende des Tages sitzt die Bewegung sicher.

Zwischen den einzelnen Würfen vergeht die Zeit merkwürdig doppeldeutig: Einerseits scheint jede Minute langsam zu fließen, getragen von der Ruhe des Wassers und dem gleichmäßigen Schaukeln der Pose. Andererseits blicke ich irgendwann auf die Uhr und stelle überrascht fest, dass Stunden vergangen sind. Angeln ist nichts für Ungeduldige, die ständig Action brauchen. Doch gerade diese Langsamkeit, die Konzentration auf einen winzigen Punkt auf der Wasseroberfläche, schafft einen Bruch zum hektischen Alltagsleben. Es ist ein Ausstieg auf Zeit.

Der Fischerei-Erlaubnisschein

Die Scheine kosten je nach Gewässer zwischen 15 und 50 Euro pro Jahr. Laut Wasserwirtschaftsamt wurden 2024 rund 9.180 solcher Scheine ausgestellt, 2023 waren es 9.035, 2022 etwa 8.649, 2021 rund 8.250 und im Jahr 2020 sogar 9.707. 

Allerdings ist es schon erstaunlich, wie unkompliziert man hier ans Wasser darf. Am Weiher genügt ein Halb- oder Ganztagesschein, den man direkt an der Rezeption kaufen kann. Die Gebühren tragen dazu bei, dass Weiher gepflegt und der Fischbestand erhalten wird. Viele Teiche sind dadurch Rückzugsorte für Vögel und andere Tiere geworden, die vom Fischbestand leben.

Auch für die Innen- und Grenzgewässer liegt die Hürde nicht sonderlich hoch: Ein sogenannter „Fischerschein“ reicht, den man über MyGuichet beantragen kann. Mehrere tausend werden pro Jahr in Luxemburg ausgestellt. Die zahlreichen Fischer bilden so eine Art inoffizielles Überwachungssystem entlang der Gewässer. Sie sind oft die Ersten, die bemerken, wenn sich der Zustand eines Gewässers verschlechtert oder Fische krank wirken.

Erfahrung ist entscheidend

Bei kleineren Fischen ist das Hakenlösen leichter
Bei kleineren Fischen ist das Hakenlösen leichter Foto: Jessica Oé

Doch Papier allein macht noch keinen Fischer. Erfahrung ist entscheidend – das wird mir deutlich, als es kräftig an meiner Angel zupft. „Ich hab einen!“, rufe ich, und sofort eilen Marco und sein Freund herbei. „Jetzt ruhig einrollen. Nicht zu stark, sonst reißt er sich los.“ Die zuckende Pose kommt näher, und tatsächlich: Eine Forelle hat angebissen. Mit einem Netz wird sie aus dem Wasser geholt. Marco greift zu einem Geschirrtuch, wirft es über das zappelnde Tier und hebt es hoch. Mit geübten Handgriffen löst er den tief sitzenden Haken mit einem Plastikstab und wirft die Forelle in unser im Wasser liegendes Netz. Es geht so schnell, dass ich kaum begreife, was passiert – geschweige denn die Gelegenheit habe, zu fragen: „Und was mache ich jetzt?“

Das Hakenlösen bleibt mir bis zum Ende des Tages unangenehm. Während die kleinen Beifänge meist nur oberflächlich gehakt sind und sich relativ einfach befreien lassen, sieht es bei größeren Karpfen und Forellen anders aus. Ihre Haken sitzen oft tiefer und jeder ungeschickte Versuch mit dem Plastikentferner fügt dem Tier nur zusätzliche Verletzungen zu. Deswegen bitte ich Marco bei diesen oft um Hilfe.

„Die Haken sind für die Fische nur wie Piercings“, sagt Marco. Ob es für ihn etwas ändern würde, wenn er sicher wüsste, dass Fische Schmerz empfinden, frage ich. „Vielleicht“, lautet seine knappe Antwort. Die Frage beschäftigt mich den ganzen Tag. Meine Recherchen im Vorfeld haben kaum Klarheit gebracht: Die Wissenschaft hat bewiesen, dass Fische Nozizeptoren besitzen, also die anatomischen Voraussetzungen, um schmerzhafte Reize zu empfangen. Doch offenbar fehlt ihnen die Großhirnrinde, die für die bewusste Schmerzwahrnehmung entscheidend ist.

Noch vor Ort werden die Fische gesäubert
Noch vor Ort werden die Fische gesäubert Foto: Jessica Oé

Aber würde das für mich persönlich überhaupt etwas verändern? Ich bin kein Vegetarier oder Veganer, auch wenn ich ihre Argumente verstehe und manches davon teile. Für mich ist Fleischkonsum in vernünftigem Maß vertretbar – vorausgesetzt, die Tiere werden artgerecht gehalten und möglichst schmerzfrei getötet. Beim Angeln jedoch wird diese Frage unmittelbarer und unbequemer: Ich sehe das Tier, das zappelt, das ich verletzt habe.

Am Ende des Tages fällt unsere Ausbeute bescheiden aus: drei Forellen, sechs Karpfen und etwa 30 kleinere Beifänge – Letztere setzen wir sofort wieder aus. Auch die Karpfen entlassen wir zurück in den Teich. Die Forellen jedoch sind fürs Abendessen vorgesehen.  Marco wickelt sie in ein Tuch, presst das Tier oberhalb des Knies gegen seine Hose und tötet es mit einem kräftigen Schlag auf den Nacken. Ich spüre das Bedürfnis zu fragen, ob ich es selbst versuchen soll – gehört das nicht zur Verantwortung dazu? Gleichzeitig fürchte ich, in meiner Unerfahrenheit das Leiden nur zu verlängern.

Gerade diese Momente zeigen mir: Ein Fischerschein sollte mehr voraussetzen als nur eine administrative Anfrage und eine geringe Gebühr. Wer angeln will, sollte zumindest wissen, wie man einen Haken sauber entfernt und ein Tier möglichst schmerzlos tötet. Und auch für den sicheren Verzehr braucht es Kenntnisse darüber, wie ein Fisch fachgerecht zu säubern ist. 

Als wir am Abend die Forellen braten, liegt ein eigenartiger Widerspruch in der Luft: die Stille des Weihers, die wohltuende Langsamkeit des Tages – und das Wissen, dass wir Leben genommen haben. Vielleicht macht genau das den Unterschied: sich bewusst zu machen, was hinter einem Stück Fisch steckt.

Frischer Fisch zum Abendessen
Frischer Fisch zum Abendessen Foto: Jessica Oé