Femizid in Kürze
60
Prozent der weiblichen Mordopfer 2023 wurden im Kontext häuslicher Gewalt getötet
Als Femizid gelten Mord, Totschlag und Körperverletzung mit Todesfolge, bei dem das Motiv auf das Geschlecht der Frau und auf patriarchale Genderdifferenzen zurückzuführen ist. Die Taten ereignen sich oft, wenn auch nicht ausschließlich, im Rahmen häuslicher Gewalt. 2023 wurde weltweit alle zehn Minuten eine Frau durch eine Beziehungsperson oder ein Familienmitglied getötet. In demselben Jahr machten Männer 80 Prozent der Mordopfer allgemein aus. Während 12 Prozent von ihnen im Kontext häuslicher Gewalt umgebracht wurden, betrug dieser Wert bei den weiblichen Opfern 60 Prozent. Das offenbart ein Bericht von „UN Women“ und dem „UN Office on Drugs and Crime“. Nach dem „European Institute for Gender Equality“ wurden in Luxemburg zwischen 2018 und 2022 insgesamt 15 Frauen ermordet, fünf davon durch Angehörige.
So argumentiert das Justizministerium
„Femizid steht in fast keinem EU-Mitgliedsstaat als eigenständiges Vergehen im Strafgesetzbuch. In Belgien, wo 2023 die ‚Loi sur la prévention et la lutte contre les féminicides, les homicides fondés sur le genre et les violences‘ verabschiedet wurde, sah man ebenfalls davon ab. In Luxemburg entschied sich die vorangehende Regierung genauso. Genderbasierte Gewalt gilt jedoch seit 2023 als ‚circonstance aggravante‘: Die Strafe auf körperliche Gewaltverbrechen wird verdoppelt, wenn das Tatmotiv u.a. auf das Geschlecht zurückzuführen ist (bisher wurde das Gesetz noch nicht angewandt, Stand Februar 2025, d.R.). Die Einführung von Femizid als spezifisches Verbrechen würde hingegen nichts am Strafmaß ändern: Auf Mord steht in Luxemburg eine lebenslange Haftstrafe.

Zu den juristischen Schwierigkeiten, die hinsichtlich der Umsetzung bestehen, empfehlen wir ferner die Lektüre des ‚rapport d’information 2695‘ der französischen ‚Assemblée nationale aux droits des femmes et à l’égalité des chances entre les hommes et les femmes‘ zur Anerkennung von Femizid: Darin wird u.a. die ‚égalité devant la loi‘, die sowohl in Frankreich als auch in Luxemburg in der Verfassung verankert ist, als auch ‚le risque d’une infraction difficle à qualifier et donc à sanctionner‘ erwähnt.
Der Justizministerin Elisabeth Margue ist der Kampf gegen genderbasierte Gewalt dennoch wichtig, insbesondere folgende Punkte: Die Opfer gehören besser geschützt und die Tatpersonen angemessen bestraft – dafür braucht die Justiz die nötigen Mittel, um ihrer Arbeit nachzukommen. Dies erfordert Weiterbildungen und Sensibilisierungsangebote, die Erstellung von Statistiken und die Digitalisierung, die Verbesserung prozeduraler Instrumente und nicht zuletzt den Ausgleich des akuten Personalmangels in der Magistratur.“
So kontern feministische Aktivistinnen
Claire Schadeck, Projektleiterin im „CID Fraen a Gender“

„Déi Lénk fordert in ihrem Antrag nicht explizit die Aufnahme von Femizid ins Strafgesetzbuch, sondern dessen statistische Erfassung. Das ist ein wichtiger Schritt, denn wir müssen uns ein Mittel geben, dieses Phänomen zu dokumentieren und daraus juristische Konsequenzen abzuleiten. Damit das langfristig geschieht, braucht es allerdings Gesetze statt Anträge: Eines, das Femizid als Straftatbestand definiert, und eines, das auch künftige Regierungen zur statistischen Nachverfolgung verpflichtet.
Darüber hinaus ist es unzureichend, genderspezifische Gewalt als ‚circonstance aggravante‘ zu ahnden. Der erschwerende Strafbestand bezieht sich generell auf das Geschlecht, doch die frauenspezifische Komponente fehlt. Es ist wichtig, das Ungleichgewicht zu benennen: Frauen werden öfter ermordet, weil sie Frauen sind; Männer sind öfter Opfer von Gewalttaten, aber selten aufgrund ihres Geschlechts. Noch dazu geht die Gewalt, unabhängig des Motivs, meist von ihnen aus. Es braucht deswegen präzise Daten, um Präventionsarbeit zu leisten.
Die bestehenden Gegenargumente zur Aufnahme von Femizid ins Strafgesetzbuch halte ich derweil für problematisch. Wenn der Einwand lautet: ‚Auf Mord steht ohnehin die Höchststrafe‘, ergibt der Verweis auf das Bestehen der ‚circonstance aggravante‘ in diesem Kontext keinen Sinn. Wenn es heißt: ‚Vor dem Gesetz sind alle gleich‘, stimme ich dem zwar grundsätzlich zu, aber: Wer so argumentiert, verzerrt die Realität und ignoriert den strukturellen Aspekt des Problems. Wenn wir den Mord an Frauen mit Mord im Allgemeinen gleichsetzen, kommen wir im Kampf gegen geschlechtsspezifische Gewalt nicht weiter und versäumen es, ihr Ausmaß zu erkennen.
Wir durften kürzlich den ersten ‚Assises des violences fondées sur le genre‘ beiwohnen, bald soll das erste ‚Centre national pour victimes de violences’ eröffnet werden – es besteht also durchaus ein Bewusstsein für die Problematik, es geht voran in den Dossiers. Trotzdem fehlt es an wichtigen Tools, um die Betroffenen zu schützen: In Luxemburg besteht beispielsweise nach wie vor kein konkreter Plan für die Beschaffung oder den Einsatz der Anti-Annäherungsfessel – obwohl wir wissen, dass 52 Prozent der Tatpersonen, gegen die im Zusammenhang mit häuslicher Gewalt eine Wegweisung ausgesprochen wird, Wiederholungstäter sind. Der Schutz der Opfer darf nicht an administrativen Hürden scheitern.
Es gibt internationale Maßstäbe, nach denen wir uns zu deren Überwindung richten könnten. Auch im Hinblick auf die Einführung von Femizid ins Strafgesetzbuch. Wir müssen das Rad nicht neu erfinden. Vor allem aber müssen wir uns trauen, ausschließlich über Gewalt gegen Frauen und Minoritäten zu sprechen. Es ist in Ordnung, sich auf dieses spezifische Problem zu konzentrieren. Wir dürfen nie aus den Augen verlieren, worum es geht: Den Mord an Frauen zu verhindern.“
Marina Anastasilaki, Anwältin und Expertin für Menschenrechte

„Es ist ein ‚baby step‘, dass die Regierung die Erfassung von Femiziden befürwortet. Die Weigerung, Femizide in das Strafgesetzbuch aufzunehmen, signalisiert jedoch, dass die Angelegenheit auf institutioneller Ebene nicht ernst genommen wird und sowohl ihre soziale als auch ihre rechtliche Tragweite außer Acht gelassen wird. Der Mangel an juristischer Sicherheit kostet Frauen jeden Tag das Leben. Es geht um die Verteidigung eines Grundrechts, des Rechts auf Leben. Femizid als solchen zu benennen und zu kriminalisieren, darf daher nicht zur Debatte stehen. Wir brauchen eine klare Definition und einen Rechtsrahmen für die Führung von Statistiken.
Die Aufnahme von Femizid in das Strafgesetzbuch ist keine Symbolpolitik. Sie geht einher mit der Anwendung einer geschlechterspezifischen Perspektive in der Ermittlung: Von der Polizei über die Rechtsmedizin bis hin zum Gerichtssaal muss diese berücksichtigt werden. Nun stellt sich oft die Frage: ‚Wie will man beweisen, dass eine Frau wegen ihres Geschlechts getötet wurde?‘. Darauf gibt es mehrere Antworten. Der rechtliche Ansatz wäre, sich auf den Täter zu konzentrieren. Seine Vergangenheit ist relevant: Wie war die Beziehung zu dem Opfer? Ist der Täter bereits durch gewalttätiges Verhalten gegenüber Frauen aufgefallen? Dies kann ein Hinweis darauf sein, dass seine Handlung gendermotiviert ist.
Als Juristin ist es für mich unverständlich, dass dieses Verfahren nicht Standard ist. In Lateinamerika ist Femizid in 18 Ländern als separates Verbrechen im Strafgesetzbuch aufgeführt. Es gibt ‚Leitfäden‘ mit Erklärungen, wie geschlechtsspezifische Investigationen funktionieren können. Alles liegt bereit. Prinzipiell ist Luxemburg ein fortschrittliches Land mit Vorbildfunktion: Würde die Regierung Femizid unter Strafe stellen, würden andere Mitgliedsstaaten in Europa nachziehen. Bisher ist Femizid in Zypern und Kroatien bereits ein separater Straftatbestand, während Malta den Schritt unternommen hat, Femizid ausdrücklich als Motivation für Tötungsdelikte hinzuzufügen.
Natürlich löst die Kriminalisierung von Femiziden das Grundproblem nicht und es gibt unterschiedliche Daten zu ihrem Einfluss auf die Anzahl der Femizide, doch Femizide als solche zu erkennen ist ‚step 0‘. Misogynie ist das Krebsgeschwür unserer Gesellschaft – wir müssen es dekonstruieren. Die Kriminalisierung muss mit einer altersgerechten Genderbildung einhergehen. Das verhindert langfristig nicht nur Femizide, sondern reduziert die Kriminalität im Allgemeinen, denn was führt zu Gewalttaten? Es kann Hass auf eine Gruppe von Menschen sein – und dieser Hass ist anerzogen. Niemand wird als Frauenhasser geboren. Wenn wir Kindern und Jugendlichen beibringen, mehr zu lieben statt zu hassen, trägt das auch zur Lösung bei.“
Und was sagt das Ministerium für Gleichstellung und Diversität?

„Es ist ein zentraler Teil der Arbeit des Ministeriums für Gleichstellung und Diversität (Mega), Zahlen zu geschlechtsbasierter Gewalt zu erfassen. Das erlaubt uns, angemessen und nachhaltig auf alle Formen von Gewalt zu reagieren. Dass diese Themen dem Mega wichtig sind, zeigen unsere vergangenen und geplanten Aktivitäten: die ersten ‚Assises‘ zu geschlechtsbasierter Gewalt, die im Januar 2025 stattfanden; die geplanten Präsentationen des ‚Centre national pour victimes de violences‘ und des ersten Aktionsplans zu geschlechtsbasierter Gewalt in Luxemburg. Alles andere fällt in den Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums.“
De Maart

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