Auch Österreich hat Leopard-Kampfpanzer. Aber keinen davon wird die Ukraine je sehen. Verteidigungsministerium oder Heeresführung suchen nicht einmal nach Ausreden, obwohl es in diesem Fall gar keiner Notlüge bedürfte. Von den 56 beim Panzerbataillon im oberösterreichischen Wels stehenden Tanks vom Typ Leopard 2A4, Baujahr 1983-85, ist bloß ein Teil einsatzfähig, keiner nachtsichtfähig, viele sind nur noch Ersatzteillager. Ob den ukrainischen Verteidigern damit viel geholfen wäre, ist zu bezweifeln.
Gut, man könnte nachrüsten, reparieren. Doch die Frage stellt sich einfach nicht. Denn, tu felix Austria, bist neutral. Auch wenn die Neutralität seit dem EU-Beitritt situationselastisch ausgelegt wird, Waffenlieferungen in ein Kriegsgebiet gingen mit ihr auf keinen Fall unter einen Hut. Also fragt auch niemand die Österreicher nach irgendeiner Beteiligung an der militärischen Unterstützung der Ukraine.
So erspart sich die Alpenrepublik jene quälende Debatte, mit der sich der „große Bruder“ seit Beginn des russischen Angriffskrieges konfrontiert sieht: Zu zögerlich seien die Deutschen bei der militärischen Unterstützung des Putin-Opfers, zu wenig kommt zu spät. Jetzt beginnt das Theater von vorn – mit den Kampfflugzeugen.
Heilige Kuh
Österreich leistet sich den Luxus von Kampfjets erst gar nicht. Es tut so, als hätte sich wenig bis gar nichts geändert. Die längst fällige Debatte über eine neue Sicherheitsdoktrin findet nicht statt, weil kein Politiker in Verdacht geraten will, die heilige Kuh Neutralität auf die Schlachtbank führen zu wollen.
Es formiert sich allerdings Widerstand gegen diese Vogel-Strauß-Politik. Ein Bündnis aus (Ex-)Politikern, Experten und Unternehmern will den Österreichern reinen Wein einschenken. In einem offenen Brief an Bundespräsident, Bundesregierung, Nationalrat und Bevölkerung kritisieren sie, „trotz der dramatischen Rückkehr des Krieges in Europa sind weite Teile der heimischen Politik und Gesellschaft der Illusion verfallen, Österreich könne so bleiben wie es ist, sich heraushalten, und mit etwas mehr Geld für das Bundesheer das Auslangen finden“. Während „unsere ehemals neutralen beziehungsweise bündnisfreien Freunde Schweden und Finnland der NATO beitreten“ und die „früher ähnlich vorsichtigen Nachbarn, Deutschland und Tschechien“ Waffen in die Ukraine schickten, tue Österreich so, „als wäre die Welt am 23. Februar 2022 stehen geblieben“. Die verfassungsrechtlichen Grundlagen und Sicherheitsdoktrinen werden als „anachronistisch“, das Bundesheer als „unvorbereitet, die Heimat ernsthaft zu verteidigen“, bezeichnet. Österreichs sicherheitspolitische Position werde „international von den Einen belächelt, von den anderen als rückgratlos wahrgenommen“. Gefordert wird eine „ergebnisoffene Diskussion über die außen-, sicherheits- und verteidigungspolitische Zukunft Österreichs sowie die Verabschiedung einer neuen Sicherheitsdoktrin, die den geänderten Umständen Rechnung trägt“.
Prominentester Unterzeichner des Briefes ist der Vizepräsident des Europaparlamentes Othmar Karas, ein ÖVP-Politiker, der allerdings in den eigenen Reihen wegen oft von der Parteilinie abweichender Meinungen nur eine überschaubare Fangemeinde hat. Neben zahlreichen Spitzendiplomaten und Generälen finden sich auf der Liste der Unterstützer die Schriftsteller Robert Menasse und Doron Rabinovici, die frühere Neos-Bundespräsidentschaftskandidatin Irmgard Griss, Ex-Nationalratspräsident Heinrich Neisser (ÖVP), Ex-Verteidigungsminister Friedhelm Frischenschlager (Neos) und der Direktor der Diplomatischen Akademie, Emil Brix.
Erster Brief ignoriert
Es ist nicht die erste Initiative dieser Art. Schon kurz nach Putins Überfall auf die Ukraine hatte die Gruppe „unseresicherheit.at“ einen ersten offenen Brief veröffentlicht, in dem eine sicherheitspolitische Debatte „ohne Scheuklappen“ gefordert wird. Diese solle durch eine vom Bundespräsidenten eingesetzte unabhängige Expertengruppe geleitet werden. Im nunmehr veröffentlichten zweiten offenen Brief beklagen die Unterzeichner, dass „keiner der Adressaten unsere Forderung (…) ernsthaft in Betracht gezogen“ habe.
Tatsächlich findet eine sicherheitspolitische Debatte nicht statt. Vorigen Freitag hatte die finnische Regierungschefin Sanna Marin bei einem Besuch in Wien die Neutralität als „nicht mehr angemessen“ bezeichnet, sich dabei aber natürlich nur auf Finnland bezogen. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) hatte auf die Frage, wie es Österreich mit der Neutralität halte, nur geantwortet, es gebe in der EU „überhaupt keinen Druck auf neutrale Staaten, ihren Status zu verändern“. Schon im Frühjahr hatte Nehammer „Diskussionen, die keine Grundlage finden in der Realität“, abgelehnt. „Österreich war neutral, Österreich ist neutral, Österreich wird auch neutral bleiben“, so der ÖVP-Chef damals.
Auch die neue Initiative wird nur von den liberalen Neos begrüßt, während sie vom rechtspopulistischen FPÖ-Chef Herbert Kickl genützt wird, um sich als Hüter der Neutralität in Szene zu setzen. Diese sei ein „Identitätsmerkmal“ und „Schutzschirm für Österreich, der nicht am Altar der EU- und NATO-hörigen Eliten geopfert werden darf“.
Da in Umfragen konstant mehr als 70 Prozent der Österreicher für die Beibehaltung der Neutralität eintreten und einen NATO-Beitritt ablehnen, wird auch künftig jede Bundesregierung auf sicherheitspolitisches Trittbrettfahren setzen. Egal, was Wladimir Putin noch einfällt …
De Maart
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