Gespräch„Putin hat diesen Krieg verloren“: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn über Russland und die Ukraine

Gespräch / „Putin hat diesen Krieg verloren“: Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn über Russland und die Ukraine
„An den Sanktionen führt kein Weg vorbei“: Jean Asselborn sieht Europa auf dem richtigen Weg Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Jean Asselborn ist sich sicher. Putin habe seinen Krieg bereits verloren, sagt Luxemburgs Außenminister. Ein Ende des Krieges bedeute das trotzdem nicht. Auch weil man einen Diktator nie unterschätzen sollte – vor allem, wenn er Nuklearwaffen besitzt.

Tageblatt: Die Ukraine feierte zuletzt militärische Erfolge, Russland reagierte mit einer Teilmobilmachung und Scheinreferenden sowie der Annexion von vier ukrainischen Oblasten. Was bedeutet das alles für den Weitergang des Krieges? Sehen Sie ein Ende?

Jean Asselborn: Wladimir Putin hat diesen Krieg verloren. Wir sehen, was man lange für kaum möglich gehalten hat, dass die Ukraine jetzt in einer offensiven Position ist, sowohl im Osten wie im Süden. Das ist nicht der absolute Durchbruch, die russische Armee ist weiterhin nicht zu unterschätzen. Aber die katastrophal abgelaufene Teilmobilmachung in Russland lässt tief blicken. Zehntausende junge Russen sind geflüchtet. Auch jene, die dort blieben, sind unwillig und unfähig, in den Krieg zu ziehen. Und auf der anderen Seite stehen die Ukrainer, die einen enormen Willen an den Tag legen, wenn es darum geht, ihr Land zu verteidigen. Diese sogenannten Annexionen, durch welche die Ukraine ein Gebiet von der Größe Portugals an Russland verloren hat, motivieren die Ukrainer zusätzlich. Auch wenn die Ukraine den Krieg heute noch nicht gewonnen hat, der wird noch dauern und viele Menschenleben kosten, hat Putin ihn trotzdem schon verloren.

In Moskau wollen einige aufs Ganze gehen und greifen nach mehr Macht, da ist nicht die Rede von einem verlorenen Krieg …

Was in Moskau geschieht, zeigt doch die Unruhe in der russischen Machtzentrale. Der tschetschenische Bluthund Ramsan Kadyrow wurde jetzt zum Generaloberst ernannt, das ist der dritthöchste Rang im russischen Militär. Auch der Chef der Söldner von der Wagner-Gruppe, Jewgeni Prigoschin, drängt mehr und mehr in den Vordergrund. Unseren Informationen zufolge sind das klare Anzeichen für Risse in der Führungsriege unter Putin. Zwischen Kadyrow und Prigoschin auf der einen Seite und dem russischen Verteidigungsminister Sergei Schoigu auf der anderen soll es enorme Spannungen geben. Für mich zeigt das deutlich, dass auch in Russland die Angst um sich greift, dass dieser Krieg verloren geht.

Sie klingen sehr optimistisch, was den Ausgang des Krieges betrifft. Doch Putin droht unverhohlen mit dem Einsatz von Nuklearwaffen. Schenken Sie diesen Drohungen keinen Glauben?

Einen Diktator darf man nicht unterschätzen. Viel von dem, was Adolf Hitler in „Mein Kampf“ geschrieben hatte, wurde später Wirklichkeit. Was Putin sagt, sollte niemand unterschätzen.

Halten Sie den Einsatz von Nuklearwaffen also für möglich?

Bis jetzt blieb es beim Säbelrasseln von Putin und seinen Hardlinern wie eben jenem Kadyrow zuletzt. Putin will uns damit Angst machen. Die Amerikaner können mit ihren Satelliten sehr genau beobachten, ob die Russen ihre Nuklearwaffen bewegen oder nicht. In den wöchentlichen Briefings der NATO wird immer wieder versichert, dass es keine Anzeichen gibt für Bewegungen in diesem Bereich. Wenn sich ein Nuklearschlag andeuten würde, wüssten wir dank der Amerikaner im Voraus darüber Bescheid.

In der Nähe der zurückeroberten Stadt Lyman reckt ein ukrainischer Soldat die Faust in die Höhe
In der Nähe der zurückeroberten Stadt Lyman reckt ein ukrainischer Soldat die Faust in die Höhe Foto: AFP/Yasuyoshi Chiba

Putin sagte aber zuletzt, er „bluffe“ nicht. War das in Ihren Augen demnach trotzdem ein „Bluff“?

Ich sage nicht, dass nichts passieren kann und sich das nicht ändern könnte. Wir sollten die Menschen aber nicht mit einer Angst alleine lassen, die nicht gerechtfertigt wäre. Russlands Außenministerium und der Kreml haben gestern erklärt, gar nicht daran zu denken, Nuklearwaffen einzusetzen.

Wenn es trotzdem dazu kommen würde, wie würde die NATO, wie würde der Westen reagieren?

Das weiß ich nicht, das sagt auch niemand und wir sind ja noch nicht da.

Würde der Artikel 5 der NATO zur Beistandspflicht gezogen werden, wenn durch einen Nuklearschlag auf ukrainisches Gebiet auch NATO-Staaten atomar verseucht würden?

Was machst du mit Artikel 5, wenn jemand eine Atombombe abwirft? Bislang hat eigentlich nur ein Amerikaner sich geäußert. Der ehemalige General David Petraeus sagte, die NATO würde sehr hart reagieren, sollte Russland Nuklearwaffen einsetzen, aber nicht unbedingt mit Nuklearwaffen darauf antworten. Aber stellen Sie sich vor, eine solche taktische Nuklearwaffe (die im Gegensatz zu einer strategischen Nuklearwaffe, der sogenannten Atombombe, in der Regel zur Bekämpfung gegnerischer Streitkräfte eingesetzt werden soll und weniger Sprengkraft hat, Anm. d. Red.) würde auf eine ukrainische Stadt fallen und es gäbe 100.000 Tote – ich glaube nicht, dass dann konventionell reagiert würde. Trotzdem sollten wir die Leute jetzt nicht verrückt machen. Wie gesagt, Anzeichen für Bewegung in Russlands Atomarsenal gibt es bislang keine.

All jene, die solche Behauptungen machen, wie Marine Le Pen, die AfD, Matteo Salvini und auch die ADR in Luxemburg, müssten erst einmal ein wenig darüber nachdenken, wer diese Europäische Union ist

Jean Asselborn zu den Forderungen, die Sanktionen gegen Russland wieder aufzuheben

Die Europäische Union hat eben ihr achtes Sanktionspaket gegen Russland beschlossen, liefert an die Ukraine Waffen und unterstützt das Land mit Milliardensummen. In Europa werden die Stimmen lauter, die Sanktionen aufzuheben, einerseits um Putin nicht weiter in Richtung atomare Eskalation zu drängen und um andererseits wieder Gas aus Russland beziehen zu können. Was entgegnen Sie auf solche Forderungen?

Das ist Unfug. Wenn wir die Sanktionen aufheben, wäre nicht alles wieder in Ordnung. Zudem werden die Sanktionen der EU einstimmig von allen 27 Mitgliedstaaten beschlossen und dieselbe Einstimmigkeit braucht es, um sie aufzuheben. Auch das Argument, unsere Sanktionen würden Russland nicht treffen, stimmt nicht. Die russische Autoindustrie ist zusammengebrochen, die lassen jetzt wieder Autos ohne Airbag vom Stapel rollen. Mehr als tausend Unternehmen haben Russland verlassen, dabei gingen rund 150.000 Arbeitsplätze verloren, von dem Know-how, das nun nicht mehr in Russland ist, gar nicht zu reden. Irgendwann kommt der Moment, an dem zivile russische Flugzeuge nicht mehr abheben können ohne die Kooperation mit Airbus oder Boeing. Russland hat Probleme, sein 4G-Netz stabil zu halten und 5G einzuführen. Aus Chinas Angst davor, in den Sanktionsstrudel hineingezogen zu werden, liefert Huawei keine neuen Technologien nach Russland. Ohne westliche Technologie bei der Digitalisierung und Automatisierung ist Russland ausgeschlossen von der Welt. Sie können Tomaten anpflanzen, aber das können sie nicht. Ökonomisch gesehen rollt da eine katastrophale Welle auf Russland zu, das weiß selbstverständlich auch Putin.

Aber auch für Europa sind die wirtschaftlichen Aussichten alles andere als rosig. Gab es keinen Weg an diesen Sanktionen vorbei?

Nein, wir sind auf der richtigen Schiene und auf dieser bleiben wir auch drauf. Wir konnten politisch als Europa nicht weitermachen nach der russischen Invasion, als wäre nichts geschehen. Mal im Ernst: Wir konnten als Europa doch nicht weiter Geschäfte machen mit dem, der für diesen Krieg verantwortlich ist. Das ist doch undenkbar! All jene, die solche Behauptungen machen, wie Marine Le Pen in Frankreich, die AfD in Deutschland, Matteo Salvini in Italien und auch die ADR in Luxemburg, müssten erst einmal ein wenig darüber nachdenken, wer diese Europäische Union ist, warum wir die Europäische Union sind und wieso wir wollen, dass unsere Kinder und Enkelkinder ein Recht auf diese Werte haben und wir diese Werte deswegen verteidigen müssen. Würde Putin diesen Krieg gewinnen, würden unsere Kinder und Enkelkinder nicht mehr die Chance auf ein Leben in Freiheit haben, wie wir sie nach dem Zweiten Weltkrieg hatten. So einfach ist das. Demnach: Ein bisschen nachdenken und – vorausgesetzt sozial Schwache bekommen Hilfe von ihrem Staat – ein paar Grad weniger im Winter. Durch diesen Krieg und seine Folgen wird auch Europa wirtschaftlich hart getroffen und auch hier werden viele Menschen leiden müssen, aber durch diesen Krieg – und zwar nur durch diesen Krieg und nicht durch die Sanktionen – sind unzählige Menschen von Hunger bedroht. Das ist einzig und alleine die Schuld Russlands. Es gibt keine europäischen Sanktionen gegen Russland, die die Ausfuhr von Lebensmitteln blockieren würden.

Die Annexionen machen Verhandlungen noch unwahrscheinlicher. Die atomare Eskalation ist inzwischen Bestandteil der russischen Kriegsführung. Mit den Explosionen an den Nord-Stream-Pipelines wurde das Baltische Meer zum Schauplatz hybrider Kriegsführung. Russlands Krieg in der Ukraine scheint eher näher an Europa zu rücken, als auf ein Ende zuzusteuern. Ist Europas Weg trotzdem der richtige?

Wir müssen auf unserer Linie bleiben und Putin deutlich machen, dass er sein Land rückwärts bewegt. Für das russische Volk ist das eine Tragödie. Nach der Teilmobilmachung weiß jetzt ganz Russland, dass das keine „militärische Spezialoperation“ ist, die niemanden etwas angeht. Jede Familie weiß, was gespielt wird und dass ihr Land diese Barbarei, diesen kriminellen Krieg, der durch nichts zu rechtfertigen ist, begonnen hat. An den Sanktionen führt kein Weg vorbei. Auch die Hilfen für die Ukrainer laufen weiter. Und der Weg ist nicht falsch, das zeigt die militärische Entwicklung zurzeit, die ohne die westliche Unterstützung der Ukraine und die Sanktionen gegen Russland nicht möglich gewesen wäre.

Beobachter
9. Oktober 2022 - 11.16

Wenn die richtige Schiene gesprengt wird, werden wir entgleisen!

Jimmy
9. Oktober 2022 - 9.03

Putin soll den Krieg laut Asselborn verloren haben, ist aber immer noch da um weitere Eskalationen zu starten, niemand von den Politikern hatte den Mut diesen Kriegstreiber kalt zu stellen,nur weiter dumm laabern und das Volk für dumm halten,Selensky wird Europa sowieso mit Wiederaufbau beauftragen was Putin zerstört hat,es stinkt bis zum Himmel.