Freitag5. Dezember 2025

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„Eine herausfordernde Phase“Präsident des internationalen Sportjournalistenverbandes spricht über die großen Aufgaben seiner Branche

„Eine herausfordernde Phase“ / Präsident des internationalen Sportjournalistenverbandes spricht über die großen Aufgaben seiner Branche
Gianni Merlo bei der „Awards Night“ von Sportspress.lu Foto: Editpress/Julien Garroy

Ehrengast bei der „Awards Night“ von Sportspress.lu war am Donnerstag Gianni Merlo. Mit dem Präsidenten des internationalen Sportpresseverbandes, der Stunden über den Sportjournalismus reden könnte, unterhielt sich das Tageblatt über die Themen, die ihn aktuell am meisten beschäftigen.

Content Creators und KI

„Es ist uns wichtig, unsere berufliche Identität zu wahren. Derzeit befinden wir uns in einer sehr herausfordernden Phase, in der wir nach Lösungen für Content Creators suchen. Dabei geht es auch darum, Leitlinien zu entwickeln, die definieren, wie wir sie als Journalisten anerkennen können. Entscheidend ist, dass jedes Land Informationen beisteuert – nur durch Austausch können wir die beste Lösung finden. Wir haben eine Arbeitsgruppe, die bereits im Kontakt mit IOC, FIFA, World Athletics und UEFA steht. Zudem müssen wir mit den Verbänden klären, wie die Mixed Zone im Stadion organisiert wird und welcher Bereich für Journalistinnen und Journalisten und welcher für Content Creators vorgesehen ist – auch bei Pressekonferenzen.

Darüber hinaus entsteht nun eine weitere Arbeitsgruppe zum Thema künstliche Intelligenz, das ebenfalls von großer Bedeutung ist. Es geht darum, zu überlegen, was in zehn Jahren relevant sein wird. Wir haben uns an die Versprechen des Internets gewöhnt, doch heute wird unsere journalistische Arbeit von Maschinen verarbeitet, durcheinandergewürfelt und wieder ausgespuckt, sodass man nicht einmal mehr ein Wort oder einen Satz wiedererkennt. In gewisser Weise ist das ein Verbrechen, denn unsere intellektuelle Arbeit wird genutzt, ohne dass wir noch nachvollziehen können, was uns gehört und was nicht.“

Förderung junger Journalisten

„Leider haben junge Journalisten heute kaum noch die Zeit, selbst Trainings zu beobachten, und verlieren dadurch das Gefühl für das Geschehen. Deshalb haben wir als Verband das Projekt ‚Young Reporter‘ ins Leben gerufen. Wir bringen junge Reporter direkt auf das Feld, damit sie Erfahrungen sammeln und wirklich verstehen, was passiert. Seit 2011 haben mehr als 500 junge Reporter teilgenommen – und das völlig kostenlos. Es ist eine Art Masterkurs: Sie reisen, erleben alles vor Ort und sammeln wertvolle Praxiserfahrung.

Nationale Verbände haben den Wert solcher Projekte manchmal nicht erkannt. Man braucht erfahrene Menschen mit jungem Geist, nicht nur erfahrene Menschen mit altem Denken.“

Informationszugang

„Wir müssen für die Zukunft arbeiten und insbesondere die echten Sportjournalistinnen schützen. Tun wir das nicht, droht der Sport, in kriminelle Strukturen abzurutschen – Manipulationen und Spielabsprachen existieren bereits. Nur wir können dem Einhalt gebieten, und auch die Verbände erkennen, wie wichtig unsere Präsenz ist. Wenn das Publikum merkt, dass alles – selbst die Spiele – manipuliert ist, wird es sich vom Sport abwenden. Niemand kauft ein Ticket für eine Show, die keine echten Emotionen vermittelt. 

Daher müssen wir sicherstellen, dass wir Zugang zu den Quellen haben. Manager und Agenten versuchen oft, Athletinnen zu verbergen, um ihre Macht zu sichern oder Dinge zu verschleiern. Manche Champions sind möglicherweise nicht sauber, und wir müssen gegen solche Praktiken vorgehen. Andernfalls verwandeln wir uns selbst in PR-Agenten. Unsere Profession unterscheidet sich grundlegend von PR – und darauf muss das Publikum vertrauen können.“

Glaubwürdigkeit

„Das Kernproblem ist unsere Glaubwürdigkeit. Solange wir sie nicht stärken, wird in vielen Ländern – besonders in den sozialen Medien – negativ über den Journalismus gesprochen. Es kursieren Kampagnen, die Journalistinnen und Journalisten als unvorbereitet oder untauglich darstellen – ein Bild, das nicht der Realität entspricht.

Wer hat die Macht? Wer verfolgt welche Interessen? Viele Menschen glauben, wir seien nicht kompetent genug und könnten durch PR ersetzt werden. Dieses Denken müssen wir ändern. Wir müssen zu den Menschen gehen, für unsere Arbeit kämpfen – jeden Tag, Schritt für Schritt. Es geht darum, zu ‚bilden’ und aufzuklären, damit die Menschen verstehen, wer oder was sie wahrnehmen. Wir müssen bewusst steuern, wie wir in ihren Köpfen präsent sind.

Dabei spielen Veranstaltungen eine wichtige Rolle. Letzten Monat organisierte ich in meiner Stadt ein Event mit drei ehemaligen Top-Skifahrern. 450 Teilnehmer, volle Plätze. Wir sprachen wie Freunde über Alltägliches, um die Glaubwürdigkeit des Journalismus zurückzugeben – indem wir direkt mit den Champions reden. Drei Tage später folgte ein großes Treffen mit 450 Schülern in einem Schloss. Anlässlich der bevorstehenden Durchquerung der Stadt durch die olympische Fackel erklärten wir ihre Bedeutung. Ich war überrascht und beeindruckt, wie aufmerksam die Schülerinnen und Schüler zuhörten. So beginnt ein Teil der Menschen allmählich, den Journalismus besser zu verstehen.“

Hinausgehen, zuhören, beobachten

„Als Journalist kannst du nicht einfach schreiben, was dir gefällt. Du musst hinausgehen, zuhören, beobachten und herausfinden, was die Menschen wirklich interessiert. Unser früherer Chefredakteur in den 80er-Jahren war in dieser Hinsicht ein Genie: Jeden Morgen ging er in die Bar, fuhr mit der Straßenbahn, hörte den Leuten zu und erst danach in die Redaktion. Er wusste genau, was die Menschen gesagt hatten und was sie lesen wollten. Innerhalb von nur zwei Jahren stieg so die Auflage der Zeitung auf eine Million Exemplare. Er verfügte über eine Art sechsten Sinn: Wenn in Cesena 1.000 Menschen unsere Zeitung kauften, mussten sie am Morgen ihre Spielergebnisse finden – egal wie klein die Nachricht war. Heutzutage hat sich die Kommunikation verändert, doch das Prinzip bleibt dasselbe: Informationen müssen schnell, direkt und zuverlässig sein.“

Generationen verbinden

„Wenn wir wollen, dass Jugendliche zu uns kommen, um zuzuhören, müssen wir ihnen zeigen, dass wir ihnen helfen können. Wenn wir sie ausschließen, weil wir glauben, sie könnten es nicht verstehen, ist alles verloren. Sport spielt dabei eine besonders wichtige Rolle, weil er generationsübergreifend wirkt. Ein Kind kann über Sport mit seinem Großvater sprechen – über Politik niemals. Sport verbindet, man geht gemeinsam zu Veranstaltungen, Marathonläufen und ähnlichen Events. Es ist auch ein Moment der Inklusion.“


Petz Lahure

Gianni Merlo und Petz Lahure kannten sich über 40 Jahre, sahen sich jährlich beim Giro d’Italia. „Er war ein Mann von Welt und hat gezeigt, dass Sportjournalismus auch Kultur ist“, so der AIPS-Präsident über den langjährigen Präsidenten von Sportspress.lu, der im Juli verstorben ist. Zu Ehren von Petz war Merlo auch bei der „Awards Night“ in Mondorf dabei, denn zu gerne hätte er ihm noch persönlich den Ehrenpreis seines Verbandes überreicht.


Zur Person

Der Italiener Gianni Merlo, Jahrgang 1947, ist seit 2005 Präsident der AIPS, des internationalen Verbandes der Sportjournalisten. Zuvor, von 1986 bis 2005, war er Präsident der AIPS-Leichtathletik-Kommission, von 1994 bis 1998 Präsident der Europäischen Sportpresse-Union (UEPS). Seine journalistische Laufbahn begann er 1967 bei der Zeitschrift Atletica Leggera. Danach arbeitete er für die Zeitungen Il Giorno, La Gazzetta del Popolo und Corriere Dello Sport-Stadio. Im Jahr 1972 war er zunächst als Assistent eines Fernsehkommentators für das italienische Schweizer Fernsehen und anschließend für die RAI tätig. Danach wechselte er zu La Gazzetta dello Sport, wo er die Ressorts Leichtathletik, Wintersport und Olympische Spiele leitete. Im Laufe seiner Karriere berichtete er über 13 Winter- und zwölf Sommerspiele. Außerdem berichtete er über mehr als 35 Welt- und Europameisterschaften in der Leichtathletik, im Skisport und in weiteren Disziplinen. Beim Kongress der AIPS im kommenden Frühling in Lausanne möchte er für ein weiteres Mandat kandidieren.