KinoPelículas paralelas: Eröffnung der Filmfestspiele in Venedig

Kino / Películas paralelas: Eröffnung der Filmfestspiele in Venedig
 Foto: AFP/Pierre-Philippe Marcou

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Zwei Filme schlagen, ach, in meiner Brust – „Madres paralelas“, der neue Film von Pedro Almodóvar, Eröffnungsfilm der 78. Filmfestspiele in Venedig.

Die Eröffnungsfilme bei einem renommierten Filmfestival haben in der Regel nicht den allerbesten Ruf. Vor allem erinnert sich nicht einmal die vor Ort gewesene Filmpresse retrospektiv, welchem Film diese Rolle zustand. Und das öfter als gedacht. Das ist bei der „Mostra internazionale d’arte cinematografica“ nicht anders. An den letztjährigen Festspiele-eröffnenden Film – immerhin mit Alba Rohrwacher in einer Hauptrolle* – erinnert sich kaum jemand. Nachdem Leos Carax nun dieses Jahr in Cannes die Ehre hatte, ging man hier am Lido auf Nummer sicher und lud Pedro Almodóvar ein. Dieser ist Cannes und Venedig gleichermaßen treu und tanzt immer wieder auf beiden Hochzeiten. Um eine Dualität geht es auch in seinem neuen Film, der am Mittwochabend die 78. Filmfestspiele von Venedig eröffnen durfte.

„Madres paralelas“ zeigt ein Frauengespann – nicht ganz überraschend von Penélope Cruz angeführt –, welches sich zuerst auf der Entbindungsstation eines Krankenhauses trifft. Cruz’ Figur Janis ist eine Fotografin, die ein Massengrab ausfindig machen und ausgraben lassen will. Janis, ihre Familie und das ganze Dorf gehen davon aus, dass in dem unscheinbaren Feld nicht nur ihr Urgroßvater, sondern auch eine Menge andere Opfer des Franco-Regimes begraben sind.

Bei einem Shooting trifft Janis den renommierten Archäologen Arturo. Die Zusammenarbeit wird zur Affäre und führt zu einer Schwangerschaft. Im Krankenhaus liegt die fast 40-Jährige neben der jungen Ana – von Milena Smit gespielt –, die genauso alleine ihr Kind erwartet. Arturo ist nämlich verheiratet und kümmert sich lieber um seine krebskranke Frau. Janis und Ana stehen vor der Herausforderung, ihre Neugeborenen alleine großzuziehen. Die beiden kommen sich näher, doch ein nicht vorhersehbarer Verlust wird diese Probleme gleichermaßen festigen und die Frauen an ihre moralischen Grenzen führen.

Almodóvar zum Zweiten

Pedro Almodóvar
Pedro Almodóvar Foto: AFP/Valery Hache

Pedro Almodóvar ist mit „Madres paralelas“ das zweite Jahr in Folge auf dem Lido. Letztes Jahr stellte er seine Version von Cocteaus „La voix humaine“ in Form eines Kurzfilms mit Tilda Swinton vor, dieses Jahr also schon seine zweite Produktion, die während der Pandemie zustande kam. Nach über vier Jahrzehnten im Geschäft sind die Zahnräder der Maschine Almodóvar ausreichend geölt, damit sich die Filme eigentlich fast schon im Alleingang drehen lassen. Die treuen Wegbegleiter sind auch wieder alle mit dabei – Kameramann José Luis Alcaine, der die Figuren in den satten Farben eines Almodóvar-Films eintaucht, Alberto Iglesias Musik schraubt das Melodrama gekonnt an die obere Grenze – und dann sind da die Schauspieler. Vor allem die Schauspielerinnen natürlich. Penélope Cruz, die seit den 90ern immer wieder vor seiner Kamera steht, darf sich durch die Leitmotive spielen, die Almodóvar seit jeher beschäftigen. Fragen zur Identitätssuche im Hinblick auf Sexualität und Mutterschaft. Beides kommt sich in „Madres paralelas“ näher als je zuvor, was auf dem Papier und im melodramatischen – und alles anderen als hysterischen – Gewand einen spannenden Film verspricht.

Dramaturgischer Graben

Almodóvar erweckt den Eindruck, Cruz das Gleiche anbieten zu wollen wie Antonia Bandera für „Dolor y gloria“. Das Ensemble um Cruz – mit einem immer wieder fröhlichen Wiedersehen mit Rossy de Palma – ist auf der Höhe der vorliegenden Aufgabe, aber Tatsache bleibt, dass dies nicht für das Drehbuch gilt. „Películas paralelas“ wäre der eigentlich passendere Filmtitel. Zwei abendfüllende Spielfilme sind hier in einem verpackt und auch die Art und Weise, wie Almodóvar seine Themen hier entwickelt, resultieren in keinem runden filmischen Beitrag.

Die unaufgearbeitete Vergangenheit unter Franco und der spanischen Gesellschaft anhand einer Familie und eines Dorfes sollte einen kathartischen Moment bedienen – im Fall von „Madres paralelas“ der letzte, abschließende Akt –, doch der Regisseur interessiert sich leider nicht genug für den ausgearbeiteten Rahmen, der den Handlungsstrang, den die beiden Frauenfiguren im Zentrum des Films bilden sollen, umgibt. Die Handlung um Janis und Ana reicht durchaus für das psychologische Kammerspiel aus.

Dieses Kammerspiel noch mit einer halbgaren nationalen Katharsis auffüttern zu wollen, tut beidem keinen Gefallen. Die beiden Komponenten sind schlussendlich von einem dramaturgischen Graben voneinander getrennt, der das Ganze zerstreut wirken lässt. Es ist schade für die Schauspielerinnen – Penélope Cruz und die Newcomerin Milena Smit –, die unter der Schauspielführung des Spaniers trotz allem nuancierte Leistungen an den Tag legen. Vor allem bei Milena Smit hat man den Eindruck, als ob sie schon seit Jahren mit Pedro Almodóvar zusammenarbeiten würde.

* Lacci von Daniele Luchetti