Im Zentrum steht ein YouTuber namens „Stuu“, der seine minderjährigen weiblichen Fans für Sexspiele missbraucht haben soll. Entsprechende Vorwürfe hatte letzte Woche ein Internet-Filmemacher namens SA Wadega in einem Investigativ-YouTube-Video erhoben. Am Sonntag nun legte ein Mitarbeiter von Wardega neue Beweise in Form von Screenshots, Tonaufnahmen und Opferaussagen vor und bezichtigte zwei weitere YouTuber der Pädophilie.
Polens Regierung, der bei den Wahlen am Sonntag ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit der liberalen und linken Opposition droht, sieht in dem Skandal einen willkommenen Anlass, den Bürgern die Kaczynski-Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) als Law-and-Order-Formation in Erinnerung zu rufen. Dabei bedient sich die im Westen gerne als altbacken bezeichnete national-konservative Partei jener Social Media, die die jungen Polen am besten erreichen – Instagram und TikTok: „Egal ob Star, bekannter YouTuber oder wer auch immer Millionen Fans hat: Wer ein Verbrechen begeht, gerade sowas Brutales wie Pädophilie, muss dafür vor Gericht Verantwortung übernehmen“, droht Vize-Justizminister Piotr Cieplucha auf seinem eigenen TikTok-Kanal vor einer grauen Gefängniszelle.
Bereits letzte Woche hatte Regierungschef Mateusz Morawiecki das erste Enthüllungsvideo kommentiert, das wie das neue Material binnen kurzer Zeit über eine Million Mal angeschaut wurde. „Wir müssen unsere Kinder im Internet schützen“, twitterte Morawiecki und kündigte sofort ein hartes Vorgehen des Staates an.
SA Wardega hat inzwischen zusammen mit weiteren YouTubern offenbar vor Staatsanwälten ausgesagt. Er und sein Mitarbeiter „Konopskyy“ wollen auch mit den Ermittlungsorganen zusammenarbeiten. „Wir können nicht alles offenlegen, aber ich versichere, dass alle Dienste arbeiten“, twitterte Morawiecki sichtlich zufrieden. Denn die „Pandora Gate“ genannte Affäre hat den von fast einer Million Bürgern besuchten „Marsch der Tausend Herzen“ der Opposition vor zehn Tagen als Thema verdrängt. Täglich kommen neue Enthüllungen ans Tageslicht, immer größere YouTuber-Kreise sollen „Stuu“ gedeckt oder sich gar selbst an minderjährigen weiblichen Fans vergangen haben. Ins Zentrum der Aufmerksamkeit ist inzwischen ein schlesischer Internet-VIP geraten, der ab 2018 mit Boxkämpfen zwischen Influencern und Showbiz-Stars Millionen verdient haben soll. Das große Geld hat der „Boxdel“ genannte Internetstar zwar unter der PiS-Herrschaft gemacht, doch seine angeblichen Kontakte mit Minderjährigen gehen in die Regierungszeit der liberalen Bürgerplattform zurück.
Donald Tusk greift PiS-Regierung an
Oppositionsführer Donald Tusk (PO) reagierte sofort und verurteilte YouTuber, die „ihre Popularität im Internet nutzten, um Minderjährige zu missbrauchen“. Gleichzeit wirft Tusk der PiS-Regierung und Morawiecki vor, weder etwas gegen Pädophilie im Internet noch in der katholischen Kirche unternommen zu haben. Das Aushängeschild der zwischen PiS und PO lavierenden fortschrittlich-katholischen Wahlliste „Dritter Weg“, Szymon Holownia, spielte ein eigenes YouTube-Video ein, in dem er allen Politikern vorwirft, „den Kopf im Sand zu verstecken“. Holownia ruft darin alle Eltern auf, mehr mit ihren Kindern zu sprechen und zu kontrollieren, was sie im Internet anschauen.
Das harte Durchgreifen des Staates und vor allem Festnahmen noch vor den Wahlen am 15. Oktober könnten viele Jungwähler in die Hände der PiS treiben. Bisher ist die Regierungspartei wegen ihrer Intoleranz gegenüber LGBTQ und generell weltanschaulich offeneren Lebensplänen wenig beliebt. Die beliebteste Partei bei Wählern zwischen 18 und 24 Jahren ist ausgerechnet die rechtsextreme „Konföderation“. Doch sehr viele Jungwähler sind politisch haltlos oder wollen gar nicht an die Urne. Der YouTube-Film „Pandora Gate“ könnte dies ändern. Er dürfte dazu auch einige bisher a-politische Eltern an die Urnen treiben. Dass die angeblichen Pädophilie-Fälle in der liberalen Regierungszeit liegen, hilft der Opposition nicht.
De Maart
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