EditorialNicht nur der Westen demonstriert Geschlossenheit

Editorial / Nicht nur der Westen demonstriert Geschlossenheit
Nicht nur der Westen demonstrierte Geschlossenheit: Hier winken die Vertreter von 3,21 Milliarden Menschen

Jetzt weiterlesen! !

Für 0,59 € können Sie diesen Artikel erwerben.

Sie sind bereits Kunde?

Kann man Russland noch vertrauen? Die Schweden und die Finnen tun das nicht mehr. Beide Länder werden der NATO beitreten. Der Angriffskrieg, mit dem Russland die Ukraine überzieht, hat eine neue Ära eingeleitet. Der Westen hat sich bei den Gipfeln der G7 und der NATO so geschlossen gezeigt, wie es lange nicht der Fall war. Das ist auch nötig – sollte uns aber nicht überheblich werden lassen. 

Aus westlicher Perspektive heraus hat sich Moskau ins Abseits katapultiert. In absehbarer Zukunft scheinen halbwegs normale Beziehungen kaum denkbar. Weite Teile der Welt aber sehen das anders. Die Bilder vom Brics-Gipfel, dem informellen Zusammenschluss von China, Russland, Brasilien, Indien und Südafrika, sprechen Bände. Über Zoom winken sich deren Staats- und Regierungschefs zu, Xi Jinping und Wladimir Putin grinsen genüsslich dabei. Später rufen sie zum Schutz der Menschenrechte auf.

Das mag bizarr anmuten, macht die Sache aber nicht besser – nicht nur der Westen demonstrierte in den vergangenen Tagen Geschlossenheit, und beim Brics-Treffen haben sich die Vertreter von 3,21 Milliarden Menschen zugewunken. Von einem Vertrauensverlust gegenüber Russland war nichts zu sehen. Beim G7-Gipfel zeigte sich wiederum, dass die Welt dem Westen nicht mehr folgt. Mit Indien, Indonesien, Südafrika, Senegal und Argentinien waren fünf Gastländer eingeladen. In die Sanktionen gegen Russland ließen sie sich nicht einbinden. Von Senegal und Südafrika gab es Kritik. Indonesien will Putin weiter beim G20-Gipfel im Herbst dabeihaben. Und Indien denkt nicht daran, auf russisches Öl zu verzichten. Dazu passte dann auch die Reuters-Meldung drei Tage später, dass der größte indische Zementkonzern wohl russische Kohle mit chinesischem Yuan einkauft.

Die NATO zählt bald 32 Mitglieder und hat sich bei ihrem Gipfel in Madrid auch sonst neu aufgestellt. Statt 40.000 werden bald 300.000 Soldaten in Europa in erhöhter Alarmbereitschaft sein. Die Staaten werden viel mehr Geld in das Militärbündnis und ihre eigenen Armeen pumpen. Sogar Luxemburg will seine Militärausgaben in den kommenden Jahren auf eine Milliarde Euro erhöhen. Die USA werden zusätzliche Soldaten nach Europa schicken. Man wappnet sich für das Schlimmste.

Ungemach droht auch jetzt schon bei uns. Wie viel Gas im nächsten Winter kosten wird, steht noch in den Sternen. Der anhaltende Anstieg der Energiepreise treibt die Inflation an, im Euro-Raum lag sie im Juni bei 8,6 Prozent. Wir spüren das bei jedem Gang zur Kasse an der Tankstelle oder im Supermarkt. Zwischen den Staaten hat das Gezeter, wer der Ukraine wie viel Geld geben soll, bereits begonnen. Der Druck auf die westlichen Demokratien wird die kommenden Monate zunehmen. Wir werden Politiker brauchen, die diese Krise mit viel Fingerspitzengefühl angehen. Hat der Westen diese Politiker? Daran ließ der NATO-Gipfel leider Zweifel aufkommen. In die Jubel-Arien über die neue Geschlossenheit schlichen sich bereits Drohungen gegenüber China ein. Dabei müssen wir, alleine um der Ukraine bei ihrer Verteidigung zu helfen und Russland in Schach zu halten, schon an unsere Grenzen gehen.

Viel wird vom weiteren Kriegsverlauf in der Ukraine abhängen und wie lange der dauert. Von dort gab es zuletzt neben vielen schlimmen endlich auch wieder bessere Nachrichten. Die Ukrainer konnten die russischen Truppen von der symbolisch wie strategisch wichtigen Schlangeninsel vertreiben. Ein Coup, der auch dank der Waffenlieferungen aus dem Westen gelang; soll noch einer sagen, die würden nichts bringen. Zweitens, und das ist der hellere Hoffnungsschimmer, fand vor wenigen Tagen der bislang größte Gefangenenaustausch zwischen der Ukraine und Russland statt. Ein Zeichen dafür, dass es noch funktionierende Gesprächskanäle zwischen beiden Staaten gibt. Angesichts der Brutalität dieses Krieges ist das keine Selbstverständlichkeit. Von einer Wende zu sprechen, dürfte aber verfrüht sein. Russland ist mit seiner militärischen und wirtschaftlichen Schlagkraft weiter dabei, diesen Krieg zu gewinnen. Von Kriegsmüdigkeit ist bei Putin nichts zu spüren. Auch der Westen wird einen langen Atem brauchen. 

Jill
3. Juli 2022 - 12.17

Ja, da soll noch einer sagen unsere Politiker wären nicht weitsichtig. Die Sanktionen sind ein voller Erfolg, der Rubel so stark wie nie, der Euro wird zur Weichwährung. Die EU versinkt im Chaos der Energiekrise und viele Menschen werden im Winter frieren und andere vielleicht ihre Jobs verlieren. Russland verkauft sein Öl nach Asien und verdient sogar mehr daran als vorher. Die EU wiederum kauft dieses Öl, auf Umwegen, von Indien, zu einem erhöhten Preis. Unsere Politiker hören nicht auf zu predigen dass die Ukraine diesen Krieg gewinnen muss und wird. Na also, es läuft doch und aus Dankbarkeit wählen wir beim nächsten Mal noch einmal die Gambia.