Donnerstag30. Oktober 2025

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GroßbritannienNach monatelanger Debatte: Londoner Unterhaus macht Weg für Sterbehilfe frei

Großbritannien / Nach monatelanger Debatte: Londoner Unterhaus macht Weg für Sterbehilfe frei
Die Labour-Abgeordnete Kim Leadbeater eröffnet die abschließende Debatte über das Sterbehilfegesetz Foto: PRU/AFP

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Lautstarke Demonstrantengruppen vor dem Palast von Westminster, hochemotionale Schlagzeilen der Londoner Tageszeitungen – wie zu Beginn der knapp siebenmonatigen Debatte über eine begrenzte Freigabe der Sterbehilfe in England und Wales prallten auch am Freitag wieder die Meinungen aufeinander.

Ihr Gesetzentwurf biete Todkranken in der letzten Phase ihres Lebens eine „mitfühlende und sichere Wahlmöglichkeit“, argumentierte die Sozialdemokratin Kim Leadbeater. Am Ende des vierstündigen letzten Austauschs von Argumenten gaben die Abgeordneten mit 314:291 Stimmen den Weg für die Reform frei.

Um den Charakter einer freien, nur dem eigenen Gewissen verpflichteten Sachentscheidung zu unterstreichen, hatte die Labour-Regierung unter Premier Keir Starmer, anders als im britischen System üblich, keinen eigenen Gesetzentwurf eingereicht, sondern Leadbeaters Initiative durch Zugeständnisse im parlamentarischen Ablauf erleichtert.

Vom Regierungschef weiß man, dass er die Rechtsreform unterstützt. Als Leiter der Staatsanwaltschaft war Starmer zwischen 2008 und 2013 mehrfach mit dem schwierigen Thema konfrontiert. Seither müssen Sterbe-Beihelfer zwar weiterhin mit einem Ermittlungsverfahren rechnen, gehen im Normalfall aber straffrei aus. De jure aber bleibt die Androhung einer Gefängnisstrafe von bis zu 14 Jahren für Beihilfe zum Suizid bestehen. Selbstmord selbst ist seit 1961 straffrei.

Keine Anzeichen von äußerem Druck

Leadbeater wies auf die zahlreichen Widersprüche im bisher geltenden Recht hin. So können erwachsene Briten nicht zu einer lebensrettenden oder -verlängernden Maßnahme, etwa einer Bluttransfusion, gezwungen werden. Ebenso legal ist es, sich zu Tode zu hungern. „Das ergibt doch keinen Sinn“, argumentierte die 49-Jährige. „Wir sollten das Recht haben, über unsere eigenen Körper zu entscheiden und zu sagen: Es reicht jetzt.“

Leadbeaters überarbeiteter Plan sieht die Prüfung des Suizidwunsches von Schwerstkranken mit einer Lebenserwartung von weniger als einem Jahr durch mindestens zwei Ärzte vor. Ausdrücklich sollten die notwendigen Gespräche auch Informationen über mögliche Maßnahmen der Palliativpflege enthalten. Mit ihrer Unterschrift sollen die Ärztinnen garantieren, dass die Sterbewilligen geistig gesund sind und keine Anzeichen von äußerem Druck vorliegen.

Das Unterhaus hatte der Euthanasie zuletzt 2015 eine Absage erteilt. Allen Umfragen des vergangenen Jahrzehnts zufolge stimmen die Briten hingegen mit einer Zweidrittelmehrheit der Reform zu. Das dürfte mit den Traumata zusammenhängen, die viele Zurückbleibende beim Tod ihrer nahen Angehörigen oder Freunde erleiden.

Tatsächlich steckt die viel gerühmte Hospizbewegung auf der Insel in einer tiefen Krise. Palliativpflege wird nur zu einem Drittel staatlich unterstützt, den Rest müssen Wohlfahrtsverbände und Lobby-Gruppen aus Spendenmitteln finanzieren. Das hat die ohnehin knappe Zahl von Hospizen weiter reduziert. Die Folge sind immer wieder würdelose Sterbeverläufe in Sechsbettzimmern ohne Privatsphäre. Üblicherweise werden den Patienten zuletzt Nahrung und Wasser verweigert, anstatt sie mit erlösenden Medikamenten zu versorgen. Die Verbesserung solcher Zustände wird seit Jahren gefordert, worauf viele Gegner der Reform hinwiesen.

Keine individuellen Überprüfungen

Ausdrücklich ging Leadbeater auf die Argumente vieler Palliativpflegerinnen und -ärztinnen ein, die der Sterbehilfe skeptisch gegenüberstehen. Ohnehin war auch diesmal, wie schon bei der ersten Lesung im November, die Debatte innerhalb und außerhalb des Parlaments von gegenseitigem Respekt geprägt.

Seine Gegnerschaft basiere „weder auf religiösem Glauben noch auf Unkenntnis“, teilte James Cleverly als prominenter Sprecher der Reform-Skeptiker mit. Vielmehr halten wie der Konservative viele Parlamentarier die bisher durchgesetzten Einschränkungen und Kontrollen nicht für ausreichend. Im Verlauf der monatelangen Beratungen in den Parlamentsausschüssen gaben die Befürworter den Plan auf, jeden individuellen Fall durch eine Richterin am High Court überprüfen zu lassen. Dagegen hatte sich Justizministerin Shabana Mahmood unter Hinweis auf die schwere Überlastung der Gerichte gewehrt. Sie steht dem neuen Gesetz weiterhin ebenso ablehnend gegenüber wie Gesundheitsminister Wesley Streeting. Dieser befürchtet negative finanzielle Konsequenzen für das Gesundheitssystem NHS. Angesichts des Zustandes in der Palliativpflege hätten Todkranke „keine echte Alternative“.