„Als Hauptunterstützer der Rebellen ist die Türkei der große regionale Gewinner“, sagt Paul Salem vom Thinktank Middle East Institute. Der Sieg der Assad-Gegner bedeute für Ankara auch „die Verantwortung, Teil eines erfolgreichen Übergangs zu sein“. Die Türkei sei bereit, „Sicherheit zu garantieren“ und „Syriens Wunden zu heilen“, versprach der türkische Außenminister Hakan Fidan und forderte einen „reibungslosen Machtwechsel“.
Drei Millionen Syrer sind in den vergangenen Jahren vor dem Bürgerkrieg ins Nachbarland geflohen. Auch deshalb hat die türkische Regierung großes Interesse daran, dass sich die Lage in Syrien schnell stabilisiert und die Geflüchteten zurückkehren können.
„Der Einfluss der Türkei in Damaskus wird zunehmen und den des Iran und Russlands ersetzen“, erwartet Soner Cagaptay von der Denkfabrik Washington Institute for Near East Policy. Ankara müsse der islamistischen Gruppe Hajat Tahrir al-Scham (HTS), die die Rebellion anführt, helfen, „internationale Anerkennung zu erlangen“ und „Russland und den Iran rauszuschmeißen“. Das werde aber nicht funktionieren, „wenn die Türkei zur neuen Schutzmacht Syriens wird“, sagt der Politikwissenschaftler.
Ich kann mir nicht vorstellen, dass das neue Regime oder die neue soziopolitische Ordnung den Russen erlauben wird, dort zu bleiben, nachdem diese alles getan haben, um das Assad-Regime zu halten
Assads Syrien war Teil der selbsternannten „Achse des Widerstands“. Der Iran, die palästinensische Hamas und die libanesische Hisbollah – weitere Mitglieder dieser informellen Allianz gegen Israel und den Westen – sind durch die Konflikte und Kriege mit Israel bereits stark geschwächt. Nun ist auch noch Syrien weggebrochen.
Teheran und die übrigen Verbündeten der „Achse des Widerstands“ müssten sich nun auf ihr „Heimatterrain“ konzentrieren, analysiert Andreas Krieg von der Universität King’s College in London. „Und so wird die Achse ihren transnationalen Charakter und ihre regionale strategische Tiefe verlieren.“
Der Aufstand gegen Assad begann 2011 im „Arabischen Frühling“. Daraufhin ging die Regierung erbarmungslos gegen die eigene Bevölkerung vor, auch mit Chemiewaffen. Assad wurde international zum Paria, mehr als ein Jahrzehnt war er in der Region weitgehend isoliert. Doch mit der Unterstützung seiner Verbündeten in Teheran und Russland hielt er sich weiter an der Macht, er schien den Bürgerkrieg gewonnen zu haben. Die Vereinigten Arabischen Emirate und andere Golfstaaten nahmen vor Kurzem sogar ihre Beziehungen zu Assad wieder auf.
Trump nicht an Syrien interessiert
Jetzt seien diese Staaten, die sich schon vor sunnitischen Islamisten wie den Muslimbrüdern gefürchtet hätten, plötzlich mit „Muslimbrüdern auf Steroiden“ in Damaskus konfrontiert, sagt Aron Lund vom Thinktank Century International: „Die sind ihnen noch feindseliger gesinnt.“
Wie sich die Lage in Syrien entwickeln wird, ist laut Lund unvorhersehbar. „Es geht nicht nur um den Sturz des Assad-Regimes, sondern auch um die Frage, was an seine Stelle tritt. Und wie lange es dauert, bis sich das herauskristallisiert. Es könnte also leicht zu verschiedenen Arten von regionalen Auseinandersetzungen in Syrien kommen“, warnt Lund.
Unklar ist auch, welche Rolle Russland in der Region künftig noch spielen wird. Moskau unterstützte Assad bis zuletzt militärisch und gewährt ihm nun offenbar Asyl. Der größte russische Marinestützpunkt im Nahen Osten befindet sich in Tartus an der syrischen Mittelmeerküste. „Sie werden diesen Stützpunkt wahrscheinlich verlieren“, sagt Nahost-Experte Krieg. „Ich kann mir nicht vorstellen, dass das neue Regime oder die neue soziopolitische Ordnung den Russen erlauben wird, dort zu bleiben, nachdem diese alles getan haben, um das Assad-Regime zu halten.“
Auch die Rückkehr von Donald Trump ins Weiße Haus im Januar wird Einfluss auf die Neuordnung des Nahen Ostens nehmen. Von Rabat bis Riad, von Teheran bis Khartum hoffen Machthaber und Oppositionelle auf die Gunst des designierten US-Präsidenten. „Das Chaos“ in Syrien sei „nicht der Kampf“ Washingtons, stellte Trump bereits klar.
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