Dienstag28. Oktober 2025

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EU-ParlamentMöglicherweise turbulente Debatte mit Viktor Orban 

EU-Parlament / Möglicherweise turbulente Debatte mit Viktor Orban 
Die niederländische Grünen-Abgeordnete Tineke Strik (M.) prangert die rechtsstaatlichen Mängel in Ungarn an  Foto: Emilie Gomez/European Union 2024/EP

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Der ungarische Regierungschef Viktor Orban wird am Mittwoch eine Rede im Europäischen Parlament (EP) in Straßburg halten. Die damit verbundene Debatte mit den EU-Parlamentariern könnte turbulent werden. Am Dienstag redeten sich die Beteiligten bereits warm.

Es ist eine Übung, die die Regierungschefs des betreffenden EU-Mitgliedstaates gleich in den ersten Wochen absolvieren, sobald sie die turnusmäßige EU-Ratspräsidentschaft übernehmen: Sie präsentieren im EU-Parlament ihre politischen Prioritäten. Nicht aber Viktor Orban. Der zeigt sich nun erst in Straßburg, nachdem bereits über die Hälfte des sechsmonatigen ungarischen EU-Ratsvorsitzes abgelaufen ist.

Den Vorsitzenden der EVP-Fraktion im EP, Manfred Weber, scheint das nicht zu wundern. Orban sei ein „Totalausfall“, meinte der Deutsche am Dienstag in Straßburg, der allerdings noch vor einigen Jahren große Stücke auf den Ungarn hielt. Die ungarische Ratspräsidentschaft bleibe „ohne Impakt“ und gebe „Europa keine Orientierung“, so Manfred Weber, der Orban bescheinigte, „isoliert“ zu sein und „keine Rolle“ zu spielen.

Umso eifriger jedoch versucht dieser, sich in Szene zu setzen. Denn bereits am Dienstag hielt der Ungar auf Betreiben der rechtsextremen EP-Fraktion Europa der Patrioten, der neben seiner Fidesz-Partei etwa auch Le Pens Rassemblement national angehört, im EP Hof und ließ während einer zweistündigen Pressekonferenz seine kruden Ansichten vom Stapel (siehe unten stehenden Artikel).

Zuvor aber hatten bereits Vertreter aller politischen Schattierungen, die nicht dem braunen Farbenspektrum angehören, Stellung zum Auftreten des ungarischen Regierungschefs im Besonderen, aber auch zu seinem Regierungsstil und dessen Auswirkungen auf das Land im Allgemeinen bezogen.

Vertreter der Interessen Putins und Chinas

„Orban vertritt all das, was unserer Union entgegensteht“, sagte Iratxe Garcia Pérez. Die Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion überließ ansonsten ihrer ungarischen Fraktionskollegin Klára Dobrev das Feld. „Viktor Orban ist ein Verräter“, da er sich mit seiner Veto-Politik in der EU mehr den Interessen von Putins Russland hingebe als den Interessen Ungarns, so Klára Dobrev. Doch auch China habe sich Orban angedient und das Land in den letzten Jahren zu einer Fabrik für die Chinesen gemacht, mit unterbezahlten Arbeitnehmern und Arbeitsbedingungen, die jenen von „Sklaven“ ähnelten.

Orban habe keine Lösungen für die Probleme seines Landes, meinte ihrerseits die Vorsitzende der Liberalen-Fraktion „Renew“. Zu diesen gehöre jedoch nicht die Ein-, sondern die Auswanderung, so Valérie Hayer. Allein im vergangenen Jahr hätten 33.000 Menschen das Land verlassen, die höchste Zahl seit zehn Jahren, so die Französin. Die würde es aber nicht nach Russland oder China ziehen, sondern in die westlichen EU-Länder, mokierte sich Hayer über Orbans politischen Wertekompass.

Sie wollten erst gar nicht, dass der Ungar im EU-Parlament auftritt: „Viktor Orban ist nicht willkommen in diesem Haus“, trotzte Terry Reintke einem gegenteiligen Mehrheitsbeschluss zum Vorschlag der Grünen-Fraktion in der Konferenz der Präsidenten, den Ungarn erst gar nicht im Plenum reden zu lassen. Denn der würde eine „vernünftige Kooperation zwischen den Institutionen unterminieren“ und mehr auf Putin als auf die EP-Abgeordneten hören, sagte die Ko-Vorsitzende der Grünen-Partei.

Was der Ungar nicht erzählen wird

Was die EU-Parlamentarier von Orbans Rede am Mittwochmorgen zu erwarten hätten, darüber hatte Tineke Strik am Dienstag bereits eine gewisse Vorstellung. Die niederländische Grünen-Abgeordnete ist Berichterstatterin über die rechtsstaatliche Situation in Ungarn und zählte im Beisein ihrer Schattenberichterstatter aus vier weiteren EP-Fraktionen auf, was die EP-Abgeordneten nicht zu hören bekommen würden. Orban werde sich sicher als „kompetenter und starker Ratsvorsitzender“ präsentieren, doch nichts über die Korruption im Land erzählen, nichts über „seine 24-stündige Propagandamaschinerie und seine autokratische Kontrolle über praktisch jeden Aspekt der Gesellschaft in Ungarn“, so die Grünen-Abgeordnete weiter. Unerwähnt bleibe auch, dass die Urteile des Europäischen Gerichtshofes in Ungarn nicht umgesetzt werden, die Unabhängigkeit der Justiz angegriffen werde, es keinen Medienpluralismus gebe und die Grundrechte von Minderheiten verletzt würden.

Ungarn zähle zu den „korruptesten Ländern der EU“, sagte Tineke Strik, die sich bei Besuchen selbst ein Bild über die Lage im Land machen konnte. Das Problem der Korruption könne jedoch nicht gelöst werden, da die dafür zuständige Integritätsbehörde keine Ermittlungsbefugnisse habe und einschlägige Fälle in den Schubladen der Staatsanwaltschaft verschwänden, so die Grünen-Politikerin weiter.

Dabei werde auch EU-Geld gestohlen, sagte Thijs Reuten. „Ich bin wütend“, meinte der niederländische Sozialdemokrat, auch auf die anderen 26 EU-Staaten, die das zulassen und ihre Instrumente nicht nutzen würden, um gegen diese Entwicklung vorzugehen. Denn bereits seit 2018 läuft ein Rechtsstaatsverfahren nach Artikel 7 des EU-Vertrags gegen Ungarn, da grundlegende EU-Regeln im Land missachtet werden. Bislang aber haben die EU-Staaten davon abgesehen, das Verfahren weiterzubringen, an dessen Ende ein zeitweiliger Entzug des Stimmrechts in der EU für das betreffende Land steht.