ÖsterreichMassen auf den Straßen und ÖVP nur vordergründig geeint gegen machthungrige FPÖ

Österreich / Massen auf den Straßen und ÖVP nur vordergründig geeint gegen machthungrige FPÖ
„Demokratie verteidigen: Wien steht auf gegen Rechtsextremismus und Rassismus“, das war das Motto der Demonstration in Wien  Foto: Tobias Steinmaurer/APA/dpa

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Die Front gegen den machthungrigen FPÖ-Chef Herbert Kickl scheint geschlossen: Zehntausende Österreicher marschierten auf gegen die Rechtsextremisten, während die ÖVP ihren Wahlkampf mit einer Anti-Kickl-Show eröffnete. Doch der Schein trügt.

Die „Plattform für eine menschliche Asylpolitik“, „Fridays for Future“ und „Black Voices Austria“ hatten – unterstützt von Gewerkschaften, Religionsgemeinschaften und Künstlern sowie SPÖ und Grünen – am Vorabend des Holocaust-Gedenktags zum „Aufstehen gegen Rechtsextremismus und Rassismus“ aufgerufen. 15.000 Teilnehmer wurden vor dem Wiener Parlament erwartet, gut dreimal so viele kamen. Nach Angaben der Veranstalter sollen es sogar 85.000 gewesen sein. In Innsbruck wurden etwa 3.000 Teilnehmer bei einer ähnlichen Kundgebung gezählt, in Salzburg 1.500.

Die österreichischen Aufmärsche hatten denselben Auslöser wie der schon eine paar Tage früher in Deutschland entbrannte Volkszorn gegen AfD und Co.: die Enthüllungen über das Potsdamer Rechtsextremisten-Treffen unter maßgeblicher österreichischer Beteiligung. Martin Sellner, Mastermind der österreichischen Identitären, hatte dort seine kruden Vorstellungen von „Remigration“ nicht assimilierter Migranten zum Besten gegeben. Während sich die AfD-Führung trotz Beteiligung prominenter Vertreter hinterher etwas zu distanzieren versuchte, empfindet die FPÖ die Empörung über das Treffen „patriotischer Politiker“ als „völlig unverständlich“ und hält „Remigration“ für das Gebot der Stunde.

Rote Linie

Erich Fenninger, einer der Organisatoren der Wiener Kundgebung, erinnern die „Deportationsfantasien“ der Rechtsextremen an den „Madagaskarplan der Nazis“. 1940 zogen Adolf Hitler und Joseph Goebbels die Deportation von vier Millionen Juden auf die ostafrikanische Insel in Erwägung. Fenninger: „Wir haben aus der Geschichte gelernt. Wir schauen nicht zu, wenn heute wieder völlig verstaubte faschistische Konzepte aus Kellern hervorgekramt werden. Wir ziehen hier und jetzt eine rote Linie.“

Dass diese rote Linie mit einigen Tagen Verzögerung durch das Zentrum Wiens gezogen wurde, könnte auch dem innenpolitischen Kalender geschuldet gewesen sein. Denn am späten Freitagnachmittag hatte auch Bundeskanzler Karl Nehammer seinen großen Auftritt. Im oberösterreichischen Wels, wo die FPÖ seit der Flüchtlingswelle 2015 den Bürgermeister stellt, trommelte die ÖVP 2.000 Funktionäre in der Messehalle zusammen, um am Beginn des Superwahljahres endlich einen Weg aus dem Umfrage-Jammertal zu finden. Der von manchen Beobachtern erwartete Befreiungsschlag, nämlich ein Vorziehen der Herbst-Wahlen auf den Europawahltermin im Juni, blieb zwar aus, aber es roch intensiv nach Wahlkampf.

Dabei setzten die ÖVP-Strategen in ihrer Verzweiflung auf eine im Einmaleins des Wahlkämpfers eigentlich als No-Go geltende Taktik: Herbert Kickl ist omnipräsent. Der angesichts der FPÖ-Poleposition in allen Umfragen schon von einer Kür zum „Volkskanzler“ träumende Rechtspopulist ist zentrales Thema einer Show, die den blauen Teufel an die Wand malt bzw. mit Videoeinspielungen an selbige projiziert. ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker brandmarkt Kickl als „Versager“, stellt dessen Bilanz als Innenminister der 2019 im Ibiza-Skandal abgesoffenen ÖVP-FPÖ-Koalition als katastrophal hin und postuliert: „Wir brauchen keinen Kickl, wir brauchen einen Nehammer!“

Laut Veranstalter waren es 85.000, die am Freitag in Wien gegen Rassismus protestierten 
Laut Veranstalter waren es 85.000, die am Freitag in Wien gegen Rassismus protestierten  Foto: AFP

Und der Kanzler macht dem Herausforderer die Freude, ihn quasi offiziell auf eine Ebene mit sich zu heben, indem er den großen Showdown ausruft. „Es wird die Entscheidung sein zwischen ihm (Kickl, Anm.) und mir als Bundeskanzler von Österreich“, sagt der ÖVP-Chef. Und: „Es wird ein Jahr der Entscheidungen sein zwischen demjenigen, der sich in der dunklen Vergangenheit verliert und lieber an Verschwörungen glaubt.“

„ÖVP-Heiratsantrag an FPÖ“

Während der Kanzler dafür in Wels viel Applaus bekommt, formieren sich in Wien, Salzburg und Innsbruck gerade die Demonstrationszüge, auf denen Transparente mit Slogans wie „Kickl Vollkoffer“ zu sehen sind. Die Einigkeit der Kanzlerpartei mit den Massen auf den Straßen in ihrer Aversion gegen den Rechtspopulisten kann freilich nicht hinwegtäuschen über die inhaltliche Kluft zwischen den ÖVP-Rezepten gegen den blauen Angstgegner und den Forderungen der Demonstranten. Denn Nehammer präsentiert einen „Österreich-Plan“, den der in Wien demonstrierende SPÖ-Vorsitzende Andreas Babler als „Heiratsantrag an die FPÖ“ bezeichnet.

Neben einem umfangreichen Steuersenkungsprogramm für alle verspricht der Kanzler vor allem eine restriktivere Ausländerpolitik. Die ÖVP plant ein schärferes Fremdenrecht mit Abschiebe- und Verfahrenszentren im Ausland und dem Beschlagnahmen von Wertsachen bei ankommenden Asylwerbern als Kostenbeitrag. Wer keinen rechtmäßigen Aufenthaltstitel hat, soll nur noch „ausschließlich existenznotwenige Sachleistungen“ erhalten. Asylanten, die „Urlaub im Heimatland“ machen, soll der Asylstatus entzogen werden. Mit der ÖVP werde es auch keine „Aufweichung“ bei der Vergabe der Staatsbürgerschaft und des Wahlrechts geben.

Weder die mit keinem Gegenfinanzierungskonzept versehenen Steuerzuckerl. Auch nicht mit der SPÖ, nach dem sich manche Christdemokraten schon als neuen, alten Regierungspartner sehnen. Das geht nur mit der FPÖ, deren Vorsitzenden die ÖVP aber in ihrem Welser Hochamt gerade endgültig zum Gottseibeiuns erklärt hat. Nehammer setzt darauf, dass Kickl wie vor 24 Jahren Jörg Haider im Gegenzug für die Rückkehr seiner Partei an den Futtertrog der Macht auf ein Regierungsamt verzichten könnte. Der richtet dem Kanzler freilich nach dessen Welser Auftritt nur noch spöttisch aus: „Karli, es ist vorbei!“