25. November 2025 - 16.23 Uhr
KonzertMänner in Käfigen: Was Luxemburg bei Ikkimels Auftritt am Mittwoch im Atelier erwartet
Die Berliner Partyrapperin Ikkimel spielt am Mittwochabend im Atelier. Die Show ist ausverkauft, bevor in Luxemburg überhaupt jemand so richtig erklären kann, was da eigentlich auf einen zukommt. Denn wer da ins Atelier einfällt, hat mit der klassischen Rap-Biografie wenig zu tun. Hinter dem Künstlernamen steht Melina Gaby Strauß, Jahrgang 1997, aufgewachsen in Berlin-Tempelhof. Bevor sie anfing, in Songs über Ketamin, Krawall und Sex zu rappen, studierte sie deutsche Philologie, Sozial- und Kulturanthropologie und forschte im Bereich Sprachwissenschaft. Erst der Tod ihres Vaters brachte den Bruch und machte aus der angehenden Wissenschaftlerin eine Rapperin, wie sie auf Instagram berichtete.
Ich hab immer gern Rap gehört und Party gemacht, gerne gefreestylt mit Freunden etc. Anfang Corona ist mein Vater an Blutkrebs gestorben. Das war nach Jahren der Pflege dann der Punkt, wo ich dachte, man lebt nur einmal. Ich scheiß jetzt auf alles und mach einfach was, was mir Spaß macht.
Musikalisch steht Ikkimel irgendwo zwischen Rap, Techno und Hyperpop. Ihre Tracks rasen mit Gabber- und Rave-Beats nach vorne, Synthesizer flackern im 2000er-Clubästhetik-Modus, dazwischen Rap-Passagen, Hooks, die direkt in den Kopf gehen, und ein Dauerfeuer an Zitaten aus Internetkultur und Deutschrap-Geschichte.
Nach den ersten Singles kamen die EPs „Aszendent Bitch“ und „Hat sie nicht gesagt“, 2025 dann das Debütalbum mit dem programmatischen Titel „Fotze“. Dazu Kollaborationen mit Streaming-Lieblingen und TikTok-Rappern – Ikkimel bewegt sich ganz selbstverständlich in der Online-Pop-Ökonomie ihrer Generation.
Generationenwechsel
Zusammen mit Künstlern wie Ski Aggu (Freitag im Atelier, ebenfalls ausverkauft) ist Ikkimel eine Heroldin des Wandels in dem Genre. Frühere Generationen wie Eko Fresh oder jünger auch Haftbefehl waren geprägt von migrantischen Aufstiegsbiografien außerhalb der Grenzen des Gesetzes. Es ging darum, „es geschafft“ zu haben, als Drogendealer oder Zuhälter. Ikkimel ist in ihren Texten eher Drogenkonsumentin und bezeichnet sich selbst als „Bitch“.
Ihr Image ist klar: sexpositiv, furchtlos, laut. Ihre Lieder erzählen von Sex, Drogen, Selbstzerstörung, Grenzüberschreitungen – alles aus einer weiblichen Ich-Perspektive, die die klassischen Rollen dreht. Die Vokabeln sind dabei dieselben, mit denen männliche Rapper seit Jahrzehnten durchkommen. Nur dass sie sie jetzt benutzt und sich selbst in den Mittelpunkt stellt. Wo andere sich „feministisch“ labeln, reicht bei ihr ein Blick auf die Songnamen, um zu verstehen: Ikkimel bittet nicht. Ikkimel nimmt sich.
Auf der Bühne treibt sie das Prinzip noch ein Stück weiter. Bei ihrer ausverkauften Clubshow-Tour tauchten zuletzt Käfige auf, in die sich vorzugsweise Männer einsperren lassen, die sich freiwillig melden. Besonders gern solche mit Merchandise von älteren Rapkollegen, die ihre Kunst öffentlich abfällig kommentiert haben. Sexspielzeug dient als Requisite, zwischen den Songs wird getrunken, geschrien, angefeuert. Mindestens ein Mal sorgte die Ankündigung, sie könne Fans bei Bedarf auch mal anpinkeln, für eine kleine Social-Media-Hysterie. Dazu kommen unangemeldete Videodrehs in Berlin, die Hunderte Fans anziehen und am Ende mit Polizei und Platzverweis enden.
Ambivalente Befreiung
Es wäre zu einfach, das alles nur als kalkulierten Skandal abzutun. Aber es wäre auch bequem, Ikkimel als reine Heldin der sexuellen Befreiung zu feiern. Ihre Fans sehen in ihr die logische Konsequenz einer Popkultur, in der Frauen seit Jahrzehnten entweder Objekt oder brave Sängerin sein durften: Jetzt steht da eine, die sich das hässliche Vokabular holt, das sonst gegen sie benutzt wird, und es in alle Richtungen zurückfeuert. Kritiker fragen dagegen, ob es wirklich Befreiung ist, wenn man die Logik des männlichen Blicks einfach kopiert. Nur halt mit anderer Besetzung auf der Bühne.
Der deutschsprachige Rap hat solche Debatten in den letzten Jahrzehnten durchgespielt, ohne dass sie je wirklich abgeschlossen wurden. Schon Lady Bitch Ray in den 2000ern oder später SXTN und Shirin David haben gezeigt, dass explizite Sexualität aus weiblicher Perspektive zugleich empowernd und problematisch sein kann. Ikkimel schiebt den Regler noch ein paar Stufen höher, was Tempo und Tabubruch angeht. Sie ist weniger klassische Rapperin, mehr Gesamtkunstwerk aus Clubnacht, Sex-Performance und Social-Media-Drama.
Spannend ist, wie sehr sich an ihr der Generationskonflikt entzündet. Ältere Rapper, die früher selbst mit Macho-Pose Karriere gemacht haben, fühlen sich plötzlich provoziert und reagieren mit Beleidigungen, Ankündigungen von „Klärungen“ und offenen Drohungen. Dass eine junge Frau deren Stilmittel nimmt, aufdreht und sich dabei weigert, um Respekt zu bitten, scheint schwerer aushaltbar als jede noch so brutale Männerfantasie auf Platte.
Bleibt die Frage: Ist das alles eine wirklich neue Form von Feminismus oder einfach nur Reizüberflutung mit politischem Blattgoldüberzug? Wie viel Metaebene steckt in diesen Shows und wie viel reiner Tabubruch um des Effekts willen? Die Antwort fällt sicher je nach Publikum unterschiedlich aus. Kunst darf übertreiben, darf nerven, darf wehtun. Sie entbindet aber niemanden von der Pflicht des Nachdenkens.
Wer sich selbst ein Bild machen will, hat am Mittwochabend im Atelier Gelegenheit dazu. Ikkimel kommt zum ersten Mal nach Luxemburg. Die Tickets sind offiziell vergriffen. Wer es aber doch noch schafft, eins zu ergattern, wird an diesem Abend vermutlich mehr geboten bekommen als nur ein paar schnelle Club-Banger. Die Frage ist, ob man aus der Show eine Erkenntnis mitnimmt, die über Käfige, Dildos und Drogen hinausgeht. Oder ob genau das schon die ganze Aussage ist.
Konzert
26.11.2025 im Atelier
54, rue de Hollerich, L-1740 Luxemburg
19.00 Uhr: Doors
20.00 Uhr: Filow & Brooze
21.00 Uhr: Ikkimel
De Maart

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