Tageblatt: Herr Grötsch, warum gibt es Sie eigentlich noch?
Uli Grötsch: Warum sollte es mich nicht mehr geben?
Die Union hat im Wahlkampf immer gesagt, einmal in der Regierung, werde man den Polizeibeauftragten abschaffen.
Ja, und nun sitze ich immer noch hier, mittendrin im zweiten Amtsjahr. Und ich freue mich, dass ich mein Amt so gut etabliert habe. Das fühlt sich gut an.
Sie sind seit März 2024 im Amt. Was sind die meisten Klagen, die Sie zu hören bekommen?
Klagen würde ich das nicht nennen, aber es gibt viel zu tun: Wir sind jetzt bei gut 1.400 Zuschriften, die wir bekommen haben. Das betrifft Themen wie Racial Profiling, strukturelle Probleme oder aber das bürokratische Beschaffungswesen – daraus sind seit meinem Amtsantritt rund 430 Vorgänge hervorgegangen, die wir jeweils intensiv bearbeiten. Im Schnitt kann man sagen, dass davon rund Zweidrittel aus der Bevölkerung und ein Drittel von Polizeibeschäftigten kommen … Thematisch haben wir natürlich zurzeit den Schwerpunkt bei den Grenzkontrollen.
Worum geht es da konkret?
Ich habe in den letzten Monaten fast alle Kontrollstellen an den deutschen Außengrenzen besucht. Mir geht es darum zu sehen, in welcher Einsatzsituation die Bundespolizistinnen und Bundespolizisten sind, wie sie ausgerüstet sind, wie es mit den Schichtzeiten oder der Unterbringung klappt. Dabei hat mir zum Beispiel eine Bundespolizistin gezeigt, dass die bayerische Grenzpolizei ein Herzfrequenzmessgerät hat, das man an den Auflieger von einem Lkw machen kann, und in ein paar Sekunden wird angezeigt, ob Personen auf der Ladefläche sind. Das ist natürlich für die Bekämpfung der illegalen Migration wichtig. Nur musste man sich das Gerät dort von den bayerischen Kollegen halt leihen.
Und dann?
Ich habe beim Bundespolizeipräsidium angerufen und gefragt, wieso eigentlich die Bundespolizei so was dort nicht in Gebrauch hat? Na ja, und dann hat ein Prozess angefangen. Jetzt wird europaweit ausgeschrieben, dann beschafft, verteilt, eingewiesen. Das dauert und dauert. Wir brauchen auch hier mehr Tempo und weniger Bürokratie.
Wenn Sie sagen, Sie haben sich fast alle Kontrollstellen angeschaut, wie läuft es denn an den Grenzen?
Was die Ausstattung angeht, hat sich sehr viel getan. Die ersten Kontrollstellen, die wir gesehen haben, waren noch rudimentär ausgestattet. An der Grenze zu Tschechien zum Beispiel mussten Bundespolizistinnen und Bundespolizisten auf Dixi-Toiletten gehen. Das kann man mal an einem schönen Frühlingsvormittag machen. Aber im Winter nachts um zwei? Das ist kein Vergnügen, um es mal vorsichtig zu sagen. Mir ist es ein zentrales Anliegen, dass es eine vernünftige Infrastruktur gibt, damit diese Kontrollstellen auch entsprechend betrieben werden können. Wasser, Abwasser, Stromversorgung, Toiletten. Das muss sein.
Das heißt, die Ausstattung an den Grenzkontrollen ist verbesserungsbedürftig?
Das ist sie. Wir haben Kontrollstellen gesehen, die wirklich sehr gut ausgestattet sind, andere aber nicht. Das darf nicht sein.
Wie lange sind die verschärften Grenzkontrollen noch durchhaltbar?
Die Bundespolizei bekommt es hin, weil sie bisher alles hingekriegt hat. Aber man muss schon die Frage stellen, zu welchem Preis. Die Belastungen, denen die Beamtinnen und Beamten ausgesetzt sind, sind enorm hoch. An der österreichischen Grenze, das wissen Sie, kontrolliert die Bundespolizei schon seit 2015. Da wurden in Kiefersfelden und in Bad Reichenhall jetzt die Container erneuert, weil sie einfach abgewohnt waren nach all den Jahren. Die zentrale Frage muss daher sein, wie man die Grenzkontrollstellen so betreibt, dass die Kontrollen für die Bundespolizei womöglich noch über einen längeren Zeitraum leistbar bleiben.
Und wie kann man das machen?
Eine stationäre Kontrollstelle, die zwar imposant aussieht, ist nicht überall das effektivste Mittel. Die Politik sollte sich nicht dahingehend einmischen. Das kann die Bundespolizei regional selber am besten entscheiden. Was ich feststelle, ist, dass wegen der Grenzkontrollen andere Dinge nicht mehr so gemacht werden können, wie es notwendig wäre – Übungen zum Beispiel. Die fallen einfach weg. Das geht nicht.
Wie blicken Sie auf das Urteil des Berliner Verwaltungsgerichtes, das die Zurückweisung von drei Asylsuchenden für rechtswidrig erklärt hat?
Für mich ist klar: Die Einsatzkräfte an den Grenzkontrollstellen können nicht zur Verantwortung gezogen werden. Es ist die Aufgabe des Dienstherrn, neben einer klaren Weisungslage auch für eine klare Rechtslage bei Zurückweisungen zu sorgen. Ich bin kein Jurist, ich bin Polizist, aber ich sehe auf den ersten Blick, dass die Exekutive hier was anderes sagt als die Judikative. Das halte ich für einen wahrhaft problematischen Zustand, der schleunigst geklärt werden muss.
Von Innenminister Dobrindt?
Die Einsatzkräfte haben den Anspruch an ihre eigene Arbeit und an sich selbst, dass sie rechtmäßig handeln. Das ist eine Frage, die im Innenministerium zu klären ist.
Sie haben Racial Profiling bereits angesprochen. Wir nehmen an, dass solche Beschwerden aus der Bevölkerung bei Ihnen landen. Hat die Polizei ein Rassismusproblem?
Die Polizei hat kein Rassismusproblem. Das sage ich ganz ausdrücklich. Aber ich sehe einen Spagat: Man sagt der Bundespolizei, bekämpfe die illegale Migration nach Deutschland. Und illegale Migration kommt vornehmlich aus afrikanischen Ländern und aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens. Auf der anderen Seite ist Racial Profiling verboten, darf die Bundespolizei also niemanden nur wegen seiner Hautfarbe, ethnischen Herkunft, sexuellen oder religiösen Orientierung kontrollieren. Mir geht es darum, dafür ein Bewusstsein zu schaffen. Es gibt noch Luft nach oben, was die Sensibilisierung, was Aus- und Fortbildungen angeht.
Wie halten Sie es mit AfD-Mitgliedern bei der Bundespolizei?
Das ist für uns ein sehr großes Thema. Der Gesetzgeber hat schon im November 2023 mit einer klaren Intention das Bundesdisziplinarrecht geändert. Ich bin klar in meiner Auffassung: Eine AfD-Mitgliedschaft und eine Tätigkeit als Polizeibeamtin oder Polizeibeamter sind nicht miteinander vereinbar. Die AfD hat es nun ja auch schriftlich vom Verfassungsschutz bekommen, dass sie eine rechtsextreme Partei ist.
Muss das Disziplinarrecht stärker angewendet werden?
Ja. Das erwarte ich. Eine Mitgliedschaft mit sichtbarem Engagement für die AfD muss die Entfernung aus dem Dienst zur Folge haben. Engagement heißt für mich, man setzt sich offen für die Partei ein, kandidiert für den Gemeinde- oder Stadtrat oder gar für den Bundestag.
Sie werden Ende des Monats Ihren ersten Jahresbericht vorlegen. Was wird drinstehen?
Wir sprechen sehr deutlich Probleme bei den Liegenschaften an. Das betrifft die Unterbringung an Bahnhöfen oder den Zustand von Dienststellen. Auch wird ein Schwerpunkt bei den sogenannten Personenbegleitern Luft liegen, die Rückführungen und Abschiebungen durchführen. Das ist eine ausgesprochen anspruchsvolle Tätigkeit. Und wir sprechen natürlich auch das Thema sexuelle Belästigung in den Polizeien des Bundes klar an.
Wie groß ist dieses Problem?
Sexismus und sexuelle Belästigung sind gesamtgesellschaftliche Probleme. Sie haben bei den Polizeibehörden genauso wenig zu suchen wie anderswo in unserer Gesellschaft. Ich glaube, staatliche Institutionen sind dahingehend in einer besonderen Verantwortung. Meine Erwartung gegenüber den Polizeibehörden des Bundes ist aber, dass überall in den Behörden – mit Nachdruck von der Leitungsebene – Nulltoleranz gegenüber Sexismus und sexueller Belästigung herrscht. Da gibt es Nachholbedarf. Aber das ist auch ein gesamtgesellschaftliches Problem.
Das gilt auch für die Zunahme der Gewalt. Inwieweit trifft das die Bundespolizei im Einsatz?
Es ist tägliche Realität, dass die Bundespolizei vor allem an Bahnhöfen übelsten Beleidigungen ausgesetzt ist. Gerade die Beamtinnen erfahren sexualisierte Anfeindungen aus der untersten Schublade. Auch körperliche Angriffe haben zugenommen und das immer öfter unter Mitführung von Messern. Schlimm ist, dass die betroffenen Polizistinnen und Polizisten dies oft nicht mehr anzeigen. Weil sie wissen, dass die Staatsanwaltschaft die Verfahren viel zu oft einstellen.
Was muss passieren?
Jede einzelne Staatsanwaltschaft hat die Verantwortung dafür, dass die Vertreterinnen und Vertreter des Staates mit Respekt behandelt werden. Und wer Polizistinnen oder Polizisten beleidigt oder angreift, muss bestraft werden. Das erwarte ich von der Justiz.

De Maart
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