ForumLynchen eines großen Künstlers oder berechtigte öffentliche Debatte?

Forum / Lynchen eines großen Künstlers oder berechtigte öffentliche Debatte?
 Foto: Carlota Ciudad/EFE/EPA/dpa

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Aktuell schlägt der Fall des berühmten französischen Schauspielers Gérard Depardieu hohe Wellen in der Presse, wobei diametral entgegengesetzte Ansichten hart aufeinanderprallen.

Möchten Betrachter*innen sich selbst eine objektive Meinung zu diesem Fall bilden, ohne der einen oder anderen Seite blind zu vertrauen und sich gar von der heutzutage nicht unüblichen Cancel Culture mitreißen zu lassen, kommen sie nicht umhin, die bislang bekannten Fakten genauer unter die Lupe zu nehmen.

Gérard Depardieu ist sonder Zweifel einer der bekanntesten und begabtesten französischen Schauspieler, welcher über außergewöhnliche Fähigkeiten verfügt.

Seit geraumer Zeit werden durch eine große Anzahl Frauen schwere Vorwürfe gegen ihn erhoben, welche von unmanierlichem Benehmen über sexuelle Belästigung bis hin zur Vergewaltigung reichen. Einige Frauen haben in diesem Zusammenhang Anzeige gegen den prominenten Schauspieler erstattet. Urteile stehen derzeit noch aus.

France Télévisions veröffentlichte vor Kurzem den Filmauszug „Complément d’enquête“, welchen Depardieu während eines Besuchs in Nordkorea zeigt und während dessen er fortwährend sexistische Bemerkungen platziert, insbesondere ein junges Mädchen betreffend. Die Authentizität dieses Filmbeitrags wurde im Übrigen von einem Gerichtsvollzieher bestätigt.

Wie bereits angeführt, könnten die verschiedenen Reaktionen darauf nicht unterschiedlicher ausfallen: Eine Gruppe bekannter französischer Künstler*innen, wie etwa Pierre Richard oder die Sängerin Carla Bruni, solidarisieren sich mittlerweile mit Gérard Depardieu und sprechen von einem Lynchen des großen Künstlers und von einer Beeinträchtigung der Kunstfreiheit.

Der französische Präsident Emmanuel Macron sah es rezent als erforderlich an, sich schützend vor den bislang noch von keinem Gericht verurteilten und vom Präsidenten bewunderten Schauspieler zu stellen. Er sprach in diesem Kontext von einer Menschenjagd gegen einen großartigen Schauspieler; über die betroffenen Frauen hingegen verlor er kein Wort.

Andere Künstler*innen hingegen, wie etwa die bekannte Sophie Marceau, distanzieren sich klar und deutlich von Depardieu und verweisen auf seine seit langem bekannte sexistische und rüpelhafte Art. Die französische Kulturministerin Rima Abdul Malak hat das Verhalten von Depardieu als Schande für Frankreich bezeichnet. Das Wachsfigurenkabinett Musée Grévin in Paris entfernt auf öffentlichen Druck hin die Figur Depardieus aus seiner Ausstellung.

Der frühere französische Präsident François Hollande kritisiert das Verhalten seines Nachfolgers in diesem Kontext aufs Schärfste und moniert, dass Macron sich nicht um die Rechte der betroffenen Frauen schert (siehe Artikel in der Zeitung Ledevoir). Der Westschweizer Fernsehsender RTS zeigt bis auf Weiteres keine Filme mehr mit Depardieu als Schauspieler.

Justizsysteme sind auf Täterschutz fokussiert

Häufig wird die Frage aufgeworfen, ob denn die beschuldigenden Frauen überhaupt glaubwürdig seien, insbesondere, da nur sehr wenige von ihnen bei der Justiz Anzeige erstattet hätten.

Dazu folgende erklärende Fakten: Statistiken belegen, dass im Kontext sexualisierter Gewalt lediglich eine verschwindend geringe Anzahl der beschuldigenden Frauen lügt (etwa zwei Prozent!). In vielen Ländern der Europäischen Union führt eine Anzeige von Sexualdelikten in den allermeisten Fällen nicht zu einer Verurteilung der Täter, sehr häufig kommt es nicht mal zum Prozess, da die Justizsysteme allesamt sehr stark auf Täterschutz fokussiert sind.

In diesem Kontext empfehle ich die Lektüre des so exzellenten wie aufschlussreichen Artikels „Ad Acta: Die juristische Vernachlässigung von Opfern sexualisierter Gewalt“, erschienen im Tageblatt-Forum vom 7. November 2023.

Nach Analyse der vorhergehenden Fakten komme ich zu folgender Schlussfolgerung: Der französische Präsident Emmanuel Macron hat mit seiner einseitigen Parteiergreifung zugunsten von Depardieu den Frauen klar aufgezeigt, dass er fest auf der Seite eines patriarchalisch geprägten Systems steht und sich für die Rechte der Frauen keinen Deut interessiert. Er ist somit nicht mehr nur der Präsident der Reichen, was ja bereits hinlänglich bekannt war, sondern hat sich jetzt zusätzlich auch als Präsident der Sexisten und Vergewaltiger geoutet. Sein Verhalten ist dem eines Republikpräsidenten absolut unwürdig. Zurücktreten, Herr Macron, mit Ihrer Aussage verhöhnen Sie alle Frauen!

Keine sexualisierte Gewalt verharmlosen

Künstler*innen wie etwa Sophie Marceau hingegen gebührt Respekt: Ihr Mut, klar Position zu beziehen, daran sollten alle sich ein Beispiel nehmen und sich mit den betroffenen Frauen solidarisieren!

Absolut lobenswert ist ebenfalls die unmissverständliche Stellungnahme von François Hollande! Es bleibt zu hoffen, dass weitere prominente Politiker*innen Stellungnahmen wie jene von Ministerin Rima Abdul Malak oder von Ex-Präsident François Hollande offen teilen.

Das Verhalten von Richard, Bruni und Co. hingegen ist derart erbärmlich, dass sich hoffentlich jegliche weitere Analyse dieser peinlichen, ja, abstoßenden Position erübrigt.

Niemals darf die künstlerische Freiheit, welche in der Tat ein hohes Gut darstellt, dazu missbraucht werden, Sexismus oder gar sexualisierte Gewalt zu verharmlosen oder etwa zu rechtfertigen!

Demnach ist die derzeit öffentlich geführte Debatte um die öffentliche Person Gérard Depardieu, deren sexistische, frauenverachtende Attitüden für jedermann klar erkennbar sind, absolut berechtigt und darf keinesfalls als Lynchjustiz bewertet werden! Nicht dritte Personen demontieren derzeit Depardieu, das hat er konsequent und gründlich über viele Jahre hinweg selbst erledigt!

Vielmehr kann und soll diese Debatte dazu genutzt werden, Ländergrenzen übergreifend stärker für die Thematik zu sensibilisieren und den fortschrittlichen Teil unserer Gesellschaft im wichtigen Kampf gegen sexualisierte Gewalt und für eine Verbesserung der juristischen Rahmenbedingungen zu unterstützen.


Guy Mathey, Jahrgang 1963, ist pensionierter Eisenbahner und seit seiner Zeit in der Jugendabteilung des FNCTTFEL-Landesverbands überzeugter und engagierter Feminist

Phil
8. Januar 2024 - 23.57

Die Zahl der Gendersternchen sagt genug über Artikel und Verfasser aus.

Meng Meenung
8. Januar 2024 - 7.49

Grosser Künstler? Naja net méi an net manner wéi aanerer. En ass arrogant, misogyn an e mengt e kéint sech alles erlaaben. Et gett Zäit hien op Plaatz ze setzen well e wees net méi wou en hier kennt.

JJ
7. Januar 2024 - 9.20

"..eine verschwindend geringe Anzahl der beschuldigenden Frauen lügt (etwa zwei Prozent!)" Da stellt sich doch die Frage: Wie stellt man das fest? Mit einem Lügendetektor? Durch späte Einsicht? Wer einen Übergriff erleidet tut gut daran "sofort" Klage einzureichen und Beweise zu erbringen.Nicht erst nach Jahren und wenn es sich beim "Täter" um einen Prominenten handelt. Egal wie die Sache ausgehen mag.Depardieu hat seinen Ruf verloren.Sowie viele Prominente auch. Darum: @ jung.luc.lux ,ich stimme ihnen zu. Diese inzwischen jahrelange Hexenjagd hat mich dazu bewogen die Straßenseite zu wechseln,wenn mir eine Dame entgegen kommt. Man weiß ja nie.

jung.luc.lux
6. Januar 2024 - 10.22

Tout le monde est présumé innocent jusqu'à preuve du contraire. Ceci est valable aussi pour Depardieu. Il faut noter que les mauvaises manières de Depardieu ne constituent ni crime, ni délit.

carlo
6. Januar 2024 - 9.05

Unverständlich, wie Depardieu trotz Aussagen vor laufenden Kameras und zugegebenen Übergriffen an jungen Frauen einen solch riesigen Macho Bonus geniesst. Vor kurzem gingen die Meinungen nach dem Fall des Rammstein Bandleaders Lindemann in ganz andere Richtungen.

Miette
5. Januar 2024 - 22.54

Depardieu war früher einmal ein guter Schauspieler, ohne Frage. Er entwickelte sich im Lauf der Jahre zu einem haltlosen Trinker ohne Manieren. Besoffen in einem Flugzeuggang pinkeln usw. Er hat mal in einem Interview erzählt, daß er die "armen Mädchen" bedauert, welche ihm in jungen Jahren "unter die Hände kamen". Wie die Sau am Sofa eben. Aber nur wenn einer säuft wie ein Loch ist das dennoch nicht in Ordnung.

Leila
5. Januar 2024 - 12.19

Macron ist ja auch der Meinung, D. hätte Frankreich berühmt gemacht... Bei so viel gewichtiger Unterstützung darf man sich u.a. auch getrost egal wo erleichtern. Ohne Frage ist er eine Kinogrösse, aber sonst im Privatleben doch eher nicht. Man muss kein Feminist sein, um seine abstoßenden *Manieren* zu verurteilen.

luxmann5
5. Januar 2024 - 8.17

Den konstruierten fall Depardieu zu benutzen um den totalversager Hollande hoch zu loben und den ruecktritt des diesmal ehrbar handelnden Macron zu verlangen...heureusement que le ridicule ne rue pas.