Die deutsch-luxemburgische Freundschaft hatte es in den vergangenen Jahren nicht ganz leicht: Seit der Pandemie kann man im namensgebenden Schengen den Zerfall des grenzenlosen Europas quasi am lebenden Objekt, sprich dem uniformierten Bundespolizisten, beobachten. Deutschland hat Luxemburg jüngst häufig brüskiert, sei es durch illegale Grenzkontrollen oder durch unabgesprochene Steuerregelungen, die den hiesigen Grenzpendlern Kopfzerbrechen bereiten. All das wirkt allerdings wie Kleinkram angesichts der geopolitischen Herausforderungen: Trumps Wahl zum US-Präsidenten hat die Europäer mit heruntergelassener Hose erwischt. Ist Friedrich Merz der Hosenträger, den Europa jetzt braucht, um die viel beschworene „Führung“ wiederzufinden? Und welche Rolle spielt dabei die AfD?

Für Sam Tanson („déi gréng“) ist Merz nicht der Kanzler, der das Verhältnis zu Luxemburg wieder gerade biegen wird. „Die Aussagen zur Migration und zu den Grenzkontrollen im Wahlkampf lassen in der Hinsicht keine positiven Veränderungen erwarten“, sagt die Abgeordnete. Sie hofft allerdings, dass Merz als „überzeugter Europäer“ es schaffen könnte, Europa hinsichtlich der äußeren Gefahren zu größerer Einheit zu führen. Diese Einigung geschehe allerdings auf Kosten von progressiver Politik: „Wir sehen gerade, dass die EU ihr Engagement in Klimafragen und im sozialen Bereich zurückschraubt, obwohl es die gleiche Kommissionspräsidentin war, die dieses Engagement in der letzten Legislaturperiode vorangetrieben hat.“
Mit der konservativen Regierung in Deutschland würden Klimafragen nun noch weiter in den Hintergrund treten. Tanson hofft, dass Merz eine europäische Sammlungsbewegung anstoßen könnte, „ohne dabei Leute auszuschließen“. Sie setzt auch auf sein Bekenntnis zur Ukraine: „Er weiß, dass die Ukraine unterstützt werden muss und dass die EU bei Verhandlungen mit am Tisch sitzen muss.“ Für Tanson muss die SPD in der kommenden Koalition als „Korrektiv“ funktionieren, um die gröbsten Rückschritte in Klima- und Sozialfragen zu verhindern.

Alexandra Schoos (ADR) interpretiert das Resultat von CDU und AfD als Zeichen dafür, „dass die Deutschen Richtung Konservatismus wollen“. Es sei „fast traurig“, wenn man sagen müsse, die Politik der letzten Jahre ginge in die falsche Richtung. Sie erhofft sich von der CDU nun klare Linien in Außen- und Sicherheitspolitik. „Deutschland muss wieder ein starker Alliierter in Europa werden, es braucht da Leaderkompetenz, auch um in eine gute Ausgangsposition für Verhandlungen mit den USA und China zu gelangen.“ Das sei Merz‘ Schlüsselaufgabe. „Wir haben uns in Verteidigungsfragen sehr abhängig von den USA gemacht und müssen aus unserem Mausloch raus.“
Schoos hält die Grenzkontrollen zwischen Deutschland und Luxemburg indes für Symbolpolitik: „Sie kosten unglaublich viel Geld und Ressourcen, lösen aber keine Probleme.“ Der Schutz der europäischen Außengrenzen müsse auch auf europäischem Niveau durchgesetzt werden. Die bisherigen Attentate hätten sich auch nicht durch mehr Grenzkontrollen verhindern lassen und man könne ein solches Problem auch nicht an einer Nationalität festmachen. Merz’ Ausschluss einer Koalition mit der AfD findet die ADR-Politikerin indes fragwürdig: „Wir sind gegen Brandmauern.“ Zwar könne die AfD auch aus der Opposition heraus eine kritische Politik machen. Schoos sagt aber auch: „Die Union wird für verschiedene Punkte ihres politischen Vorhabens auf AfD-Stimmen angewiesen sein.“

Gilles Baum (DP) bedauert das Fehlen einer „freiheitlich-demokratischen Stimme“ im neuen Deutschen Bundestag. Er habe den Rauswurf der FDP allerdings erwartet, die Partei habe „gravierende Fehler“ gemacht. Er hofft indes auf eine neue Stärke der Achse Berlin-Paris: „Merz hat Führungsstärke. Scholz war ein schwacher Kanzler, auch in seiner Darstellung. Auch wir als Luxemburg haben großes Interesse daran, dass der Motor Frankreich-Deutschland wieder funktioniert.“ Merz könne einem geschwächten Europa ein neues Gesicht geben.
Hinsichtlich der Grenzfrage sagt Baum: „Ich hoffe, dass da ein neues Moment in der Diskussion entsteht durch Merz.“ Luxemburgs Regierung werde nicht aufhören, zu intervenieren. Es brauche letztlich eine europäische Lösung, die Grenzkontrollen brächten hinsichtlich der illegalen Migration relativ wenig. „Mit den Grenzkontrollen werden wir auf lange Sicht den Standortvorteil der hohen Gehälter verlieren, das ist für Luxemburgs Wirtschaft überlebenswichtig“, so Baum.
Baum glaubt auch nicht, dass die ADR vom Aufwind der AfD profitieren wird: „Die AfD hat ihre Wählerbasis in Ostdeutschland. Die Partei hat sich über die letzten Jahre radikalisiert. Sie nutzen jeden Messerangriff für ihre Zwecke.“ Es gäbe in Deutschland auch Leute, die lange und viel gearbeitet haben und sehr kleine Renten haben. „Die AfD setzt da an: Sie hetzt diese Leute gegen die Ausländer auf und profitiert so von den Versäumnissen der vergangenen Regierungen.“ Die ADR würde zwar auf der AfD-Schiene fahren, aber Luxemburg habe den Vorteil, „dass wir eine Politik machen können, die gravierende Probleme früher beim Schopf packt“.

Für David Wagner („déi Lénk“) ist es „im Großen und Ganzen kein gutes Wahlresultat“. Die Linke habe aber ein exzellentes Resultat vorgelegt. Damit reihe die Entwicklung in Deutschland sich in eine internationale Entwicklung ein, die man auch in Belgien und Frankreich beobachten könne: In allen Ländern, in denen Rechte auf dem Vormarsch seien, würden auch linke Parteien wieder Boden gut machen – vor allem bei jungen Wählern. Im aktuellen Kontext sei das sehr wichtig, denn: „Man kann den Faschismus nur an den Wurzeln bekämpfen, es gibt keine Faschismuskritik ohne Kapitalismuskritik.“ Die Linke habe den negativen Ballast um Wagenknecht verloren und eine neue Dynamik entfaltet.
Die voraussichtliche Regierungskoalition zwischen CDU und SPD sieht Wagner sehr kritisch: „Die Frage ist, inwieweit die SPD bereit ist, den CDU-Kurs mitzutragen. Vielleicht kriegt die SPD Kompromisse hin, vielleicht will sie das aber gar nicht.“ Die SPD habe mit rechten Themen Wahlkampf gemacht und sei damit an einem historischen Tiefpunkt gelandet. Der einzige Vorteil für Luxemburg: „Der Kontakt zwischen Frieden und Merz ist besser als der zwischen Frieden und Scholz.“ Luxemburg werde nun versuchen, ein bilaterales Arrangement in der Frage der Grenzkontrollen zu finden.
Der Fokus auf Migrationspolitik werde allerdings auch in Zukunft zu Problemen führen. „In Frankreich braucht es den Rassemblement National nicht an der Regierung, damit diese rechte Politik macht“, so Wagner. In Deutschland mache jetzt die CDU eine Politik, die die AfD legitimiert. „Die Migrationspolitik wird aber nicht zur Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen führen – und das wird die AfD bei der nächsten Wahl noch stärker machen.“ Es sei wie ein brennendes Haus, in dem jemand die Fenster öffne und damit das Feuer durch Sauerstoff noch anstachele. Wagner sagt: „Söder ist der Trottel, der das Fenster öffnet.“

Franz Fayot (LSAP) sieht viele Parallelen zwischen Friedrich Merz und Luc Frieden: „Beide waren zuvor in der internationalen Finanzwirtschaft, beide haben neoliberale Bücher geschrieben, beide sind stramm konservativ und wirtschaftsliberal.“ Merz werde durch seine Migrationspolitik die Grenzkontrollen weiter verschärfen, der Wahlausgang sei keine gute Nachricht für Luxemburg: „Wir haben einen Nachbarn, dem wir ein bisschen egal sind.“ Durch den guten Draht zwischen Merz und Frieden könnte eine Kulanz für Luxemburg entstehen – eine Art Kollateralnutzen.
Das große Risiko sei, dass die SPD, die schon 10 Prozentpunkte verloren habe, in einer großen Koalition mit der CDU unter die Räder gerät. Die Hauptthemen seien Migration und Kompetitivität, wo es um Deregulierung und Steuererleichterungen geht, während soziale Fragen in den Hintergrund treten. „Man fühlt sich wie in der Vorzeit der Nazi-Machtergreifung, auch damals hat die SPD im Sinne der Staatsräson viele Dinge mitgetragen“, so Fayot.
Ermutigend bei Merz sei, bei allen Reservationen hinsichtlich Wirtschafts- und Migrationspolitik, das Bekenntnis zu einem unabhängigen Europa, auch gegenüber den USA. „Trump führt gerade einen Putsch im Inneren durch, es ist ein Scharniermoment der Geschichte, alte Allianzen gelten nicht mehr“, sagt Fayot. „Wir brauchen jetzt eine Dynamik in Europa, um in der Verteidigungspolitik und in der Ukraine-Frage aufzuholen.“ Es sei wichtig, dass da neben den normalen Prozeduren der EU eine Koalition der Willigen entstehe. Merz sei der „starke Mann“ der Konservativen, der Regierungschef des größten Landes der EU und er könnte Europa wieder handlungsfähig machen.

„Von der Wahl, die es in Deutschland gab, war Merz die bestmögliche“, sagt Laurent Zeimet (CSV). Mit Merz werde Deutschland in Europa eine Stimme haben. Das Vakuum, das Scholz da hinterlassen habe, sei für Europa eine Katastrophe gewesen. „Die Latte hängt nicht hoch“, so Zeimet.
Hinsichtlich der Grenzkontrollen zwischen Luxemburg und Deutschland hofft Zeimet auf Entspannung: „Friedrich Merz hat im Saarland gelebt, wir hoffen, dass die Grenzregion nun in Berlin besser vertreten wird. Die Grenzkontrollen passen nicht in ein gelebtes Europa.“ Er denke auch, dass der Austausch zwischen Merz und Frieden vertrauensvoller sei, da die beiden sich kennen.
Bauchschmerzen bereitet Zeimet der Aufstieg der AfD: „Deutschland hat nun eine rechtsextreme Partei als größte Oppositionspartei.“ Die Volksparteien müssten nun beweisen, dass eine Demokratie handlungsfähig ist. Das Problem der CDU sei, dass sie selbst in der Vergangenheit an der Regierung viele Fehler gemacht habe. Die Glaubwürdigkeit sei nicht gegeben, die Christdemokraten müssten jetzt beweisen, dass sie das besser hinkriegen. Die gute Nachricht sei, dass eine stabile Regierung möglich ist. „Hoffen wir, dass sie eine europäische Ausrichtung findet“, sagt Zeimet. „Europa ist zwischen Hammer und Amboss, wir müssen zueinander finden und handeln.“ Allzu optimistisch sei er in der Hinsicht allerdings nicht.
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