„Die Aktionspläne haben Vorrang für mich, darunter die Einführung des ersten Aktionsplans gegen geschlechtsspezifische Gewalt“, sagte Yuriko Backes, Ministerin für Gleichstellung und Diversität, 2024 im Interview mit dem Tageblatt. Letzteren stellte sie der Presse am Montag vor. Zunächst offenbarte der Bericht des „Comité de coopération entre les professionnels dans le domaine de la lutte contre la violence“ jedoch beunruhigende Zahlen aus dem Jahr 2024.
Sowohl die Polizeieinsätze wegen häuslicher Gewalt (2024: 1.178/2023: 1.057) als auch die Wegweisungen (2024: 287/2023: 246) – also von den Sicherheitsbehörden verhängte Verbote, eine Wohnung zu betreten, um Gewalt an Familienmitgliedern zu verhindern – sind gestiegen; 71 davon betrafen Wiederholungstäter*innen. Die meisten Interventionen erfolgten in Luxemburg-Stadt und in Esch. „Häusliche Gewalt spielt eine Rolle im Alltag vieler Frauen und Männer“, kommentierte Backes die Daten. „Die zunehmenden Polizeieinsätze sind aber auch ein Zeichen dafür, dass die Sensibilisierungsarbeit Früchte trägt. Immer mehr Menschen sprechen über die Vorfälle und melden sie den Autoritäten.“ Frauen bleiben derweil am stärksten von häuslicher Gewalt betroffen (81 Prozent), während es sich bei den Tatpersonen am häufigsten um Männer (87 Prozent) handelt. Diese Zahlen der Staatsanwaltschaft beziehen sich auf die Wegweisungen. Die Gerichte befassten sich 2024 insgesamt mit 1.168 Dossiers zu häuslicher Gewalt. Es fielen 173 Urteile.
Was tun gegen steigende Zahlen?
Es drängt sich die Frage nach den Handlungsmöglichkeiten der Einsatzkräfte, der Staatsanwaltschaft auf. Wie können beispielsweise Wiederholungstaten verhindert werden? „Ab Herbst wollen wir im Rahmen der Polizeieinsätze verstärkt Risikoanalysen durchführen“, gab Kristin Schmit, Generaldirektorin der Kriminalpolizei, bei der Pressekonferenz bekannt. „Dies ermöglicht, ein präziseres Bild der Gesamtsituation zu zeichnen, Vorfälle in der Vergangenheit zu beachten und gegebenenfalls besondere Schutzmaßnahmen zu ergreifen.“ Vonseiten der Staatsanwaltschaft, vertreten durch Laurent Seck, hieß es derweil, die Dossiers zu häuslicher Gewalt hätten Vorrang: In der Regel komme es innerhalb von drei bis sechs Monaten zur ersten Sitzung. Die Situation der Betroffenen werde von spezialisiertem Personal evaluiert und überwacht.
87
Prozent der Menschen, die 2024 wegen häuslicher Gewalt eine Wegweisung erhielten, waren Männer
Laurence Bouquet, Direktionsbeauftragte der „Croix-Rouge“, wechselte die Perspektive und warf ein: „Wenn wir uns nicht um die Täter kümmern, bleiben weitere Opfer nicht aus.“ Wer Gewalt anwende, müsse Verantwortung dafür tragen und das eigene Verhaltensmuster hinterfragen. Manche Personen würden sich freiwillig bei „Riicht eraus“, der Beratungsstelle der „Croix-Rouge“ für Tatpersonen, melden (17 Prozent) – teilweise um körperlichen Übergriffen vorzubeugen. Andere seien durch eine Wegweisung (58 Prozent) oder per Gerichtsbeschluss (26 Prozent) gezwungen, mindestens einmal bei „Riicht eraus“ vorstellig zu werden. Jedes Jahr falle auf: Wiederholungstäter*innen seien meist jene, die dieser Verpflichtung nicht nachkamen. „Es braucht mehr Druck, damit diese Termine wahrgenommen werden“, so Bouquet weiter. „Das Angebot muss als Hilfe, nicht als Bestrafung wahrgenommen werden. Wer sich ändern will, kann das erreichen.“
Backes erwähnte weitere Anlaufstellen für Betroffene und Tatpersonen, etwa den „Service d’assistance pour victimes de violence domestique“ (2024) von InfoMann oder den „Service Lotus“ (2024) von „Riicht eraus“. Gilt das Angebot von InfoMann für Männer, widmen sich die Mitarbeitenden von Lotus Kindern und Jugendlichen mit Aggressions- und Gewaltproblemen. Ende April eröffnete zudem die zentrale Anlaufstelle „Centre national pour victimes de violences“. „Das Ministerium für Gleichstellung und Diversität investiert 60 Prozent seines Budgets in Höhe von rund 31.000.000 Euro in den Kampf gegen Gewalt“, betonte Backes. „Doch wir sind auf alle unsere Partner angewiesen, zumal das MEGA für die Koordination zuständig ist.“
Partizipatives Dokument

In dem Esprit wurde auch der erste Aktionsplan gegen geschlechtsspezifische Gewalt (PAN) ausgearbeitet, den der Regierungsrat am 20. Juni annahm. Der PAN basiert auf den vier Säulen der Istanbul-Konvention und enthält acht strategische Themenbereiche: Weiterbildung, Sensibilisierung, rechtlicher Rahmen für den Opferschutz, Verantwortungsübernahme durch die Tatpersonen, Betreuung der Opfer und Tatpersonen, Datenerhebung, Steuerung der Politik zur Bekämpfung aller Formen von Gewalt sowie internationale Solidarität. Das schlägt sich in 62 Projekten nieder, verteilt auf zehn Ministerien. „Im Regierungsabkommen war eine globale Strategie vorgesehen“, sagte Backes, „aber wir wollten einen konkreten Plan ausarbeiten. Aus dem Grund ordneten wir jeder Maßnahme das zuständige Ministerium sowie eine Ausführungsfrist zu. Es ist wichtig, Aktionspläne zu erstellen, doch sie müssen umgesetzt werden.“ Dafür soll nun eine interministerielle Arbeitsgruppe sorgen.
Gleichzeitig stellte Backes die Gründung eines „Forum ONG“ in Aussicht. „Der Aktionsplan ist ein dynamisches, offenes Dokument, das kontinuierlich ergänzt und verbessert werden kann“, erklärte sie. „Dafür möchten wir eng mit der Zivilgesellschaft zusammenarbeiten.“ Die Arbeiten an dem Aktionsplan seien von Anfang an partizipativ gewesen, so die Ministerin, beispielsweise durch die Veranstaltung der ersten „assises des violences fondées sur le genre“ im Januar 2025. Damals waren rund 60 Organisationen dem Ruf des MEGA gefolgt, um sich über das Thema auszutauschen. Die „assises“ sollen ab sofort jährlich stattfinden. In die Ausarbeitung des PAN flossen auch die Empfehlungen des Grevio – eines Gremiums des Europarats, das über die Umsetzung der Istanbul-Konvention wacht – für Luxemburg ein.
In drei Jahren ist eine erste Evaluierung des Maßnahmenkatalogs geplant. Bis dahin will das MEGA selbst weitere Kampagnen durchführen, darunter eine zu Gewalt im öffentlichen Transport (2026) oder zu Zivilcourage bei Gewalt im Internet (2025-2026). Ein anderer Schwerpunkt: die Datenerhebung und Studien, die das MEGA vorantreiben will. Die Pressekonferenz endete mit Backes’ Appell an ihre Kolleg*innen: „Dieser Aktionsplan ist wichtig und richtungsweisend. Alle Akteure müssen mit Hochdruck an der Umsetzung arbeiten. Nur gemeinsam können wir unsere Ziele erreichen – und ich bin zuversichtlich, dass wir das im Interesse der Gesamtgesellschaft schaffen.“
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