Ukraine-KriegLuxemburger flüchtet mit Familie aus Kiew

Ukraine-Krieg / Luxemburger flüchtet mit Familie aus Kiew
Das Fluchtauto. Daniels Frau Veronika hat es beschafft. In Moldawien müssen sie es stehen lassen. Dort wird die Familie abgeholt und nach Luxemburg gebracht. Foto: DMP

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Am späten Mittwochabend ist Daniel M. Porcedda in Moldawien angekommen. Der Luxemburger und seine Familie haben Kiew gestern Morgen fluchtartig verlassen – aus Angst vor den brutalen russischen Angriffen. In ein paar Tagen geht es weiter nach Luxemburg. 

2.095: So viele Kilometer sind es laut Michelin-Routenplaner von Kiew bis nach Esch. Das entspricht ungefähr der Strecke von Esch bis nach Sevilla. Letzteres wäre ein Vergnügen. Ersteres ist eine Strapaze. Vor allem in diesen Zeiten und besonders für Daniel M. Porcedda und seine Familie.

Der einzige Luxemburger in Kiew hat die ukrainische Hauptstadt am Mittwochmorgen fluchtartig verlassen. Er nimmt allerdings nicht den von Michelin vorgeschlagenen kürzesten Weg über Warschau und Berlin. Das wäre zu gefährlich, weil zu nahe an der weißrussischen Grenze. Daniel und seine Familie sind viel weiter südlich gefahren, weit weg von möglichen Fliegerangriffen und russischen Soldaten. Am Mittwochabend befinden Daniel, seine Frau und zwei Töchter sich kurz vor der Grenze nach Moldawien. Dort wollen sie übernachten.

Lage spitzt sich zu

Vor einer Woche, bei unserem ersten Gespräch, hat Daniel es nicht im Geringsten in Erwägung gezogen, Kiew zu verlassen. Seit 24 Jahren lebt er dort, hat sich eine Existenz, eine Familie, einen Freundeskreis aufgebaut. Kiew, die Ukraine, ist die Heimat des heute 63-Jährigen.

In den letzten Tagen aber hat sich die Lage zugespitzt. Zuerst der völkerrechtswidrige Einmarsch russischer Truppen, dann die Raketenangriffe und das Vorrücken von Putins Soldaten in Richtung Hauptstadt.

Daniel wirkt am Telefon und in seinen Textnachrichten stets gefasst, gar humorvoll und optimistisch. Am Dienstag klingt er leicht anders. „Es ist eine verzwickte Situation, die macht mir schon etwas zu schaffen“, sagte er. Er könne immer noch nicht fassen, was da geschehe, aber Explosionen, sich leerende Supermarktregale und ein auf die Hauptstadt zurollender russischer Militärkonvoi von über 60 Kilometern Länge würden ihn zu einer Entscheidung drängen. Vor allem Veronika, seine Frau, will weg. Die letzten Tage und Nächte hat die Familie im Keller oder im Korridor ihrer Appartementwohnung verbracht – aus Angst vor Einschlägen und zerberstenden Fensterscheiben. Erholsamen Schlaf gab es nicht.

„Etwas Besseres als den Tod findest du allemal“, sollen die Bremer Stadtmusikanten gesagt haben, bevor sie aufbrachen, ihr Glück zu suchen. Daniel und die Seinen haben Kiew am Mittwochmorgen verlassen. Am Dienstag bot sich die Möglichkeit, im Tross eines UN-Konvois Richtung Westen mitzufahren. Im eigenen Wagen. Den aber hat Daniel nicht. Es ist Veronika, die am Dienstagabend alle Hebel in Bewegung setzt, hin und her telefoniert – und fündig wird.

Am Mittwochmorgen fahren sie los. Scheinbar eine hektische Situation: „Wir haben die Gruppe verloren, versuchen jetzt zu tanken und wieder zum Konvoi hinzuzustoßen“, schreibt Daniel im Verlaufe des Morgens.

Gegen Mittag schickt er via Facebook einige Bilder der Odyssee – und Neuigkeiten. „Wir stecken wieder mal im Stau.“ Daniel erwähnt einen Schweizer Kollegen, der 60 Stunden an der ukrainisch-polnischen Grenze verbracht hat. Überall gebe es strenge Kontrollen, weil die Ukrainer genau kontrollieren, um ja keinen Fahnenflüchtigen, ausschließlich Männer, entwischen zu lassen.

In Sicherheit

In einer SMS schreibt Daniel am Nachmittag, dass sein Sohn Thierry, der in Luxemburg lebt, nach einem geeigneten Fahrzeug suche, um die Familie in Moldawien abzuholen, weiter dürfe man mit dem geliehenen Auto nämlich nicht fahren.

Am späten Abend warten Daniel, Veronika und die Töchter am ukrainisch-moldawischen Grenzübergang. Geduld ist verlangt. „Wir müssen mit langen Wartezeiten rechnen.“ Zu dem Zeitpunkt ist Thierry bereits unterwegs. Reine Fahrtzeit: rund 24 Stunden, sagt der Routenplaner.

Gegen 21.30 Uhr unserer Zeit, in Moldawien ist es eine Stunde später, haben Daniel und Familie die Grenze überquert. „Die Nacht werden wir im Auto verbringen müssen, alle Hotels sind mit Geflüchteten belegt“, sagt er am Telefon. Es gibt Schlimmeres in diesen Zeiten.