Drogenproblematik„Luxemburg-Stadt kann nicht die Probleme des Landes lösen“ 

Drogenproblematik / „Luxemburg-Stadt kann nicht die Probleme des Landes lösen“ 
Das Drogenhilfszentrum Abrigado in Bonneweg: Brennpunkt und Kondensat sozialer Probleme Foto: Editpress/Tania Feller

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Drogen, Prostitution, Gewalt: Nirgendwo sonst finden sich die sozialen Probleme unseres Landes auf solch engstem Raum konzentriert wie in Bonneweg und dem Bahnhofsviertel. Besonders oft steht das Drogenhilfszentrum Abrigado im Fokus der Kritiken und Polemiken. Zu Unrecht, wie einige meinen. Die Probleme seien das Resultat mehrerer Faktoren: die hohe Dichte sozialer Einrichtungen und mangelnder politischer Wille.

Es vergeht kein Monat, ohne dass im hauptstädtischen Gemeinderat mindestens einmal über die Viertel Bonneweg und Gare geredet wird. Leider nicht immer im Positiven. Allzu oft geht es um die Probleme, die es dort zuhauf gibt. Regelmäßig beschweren sich die Bewohner der beiden Viertel über den dortigen Drogenhandel und die Prostitution. Politiker, Sozialarbeiter und Anwohner sind sich eigentlich darüber einig, dass sich etwas ändern muss. Doch eine Lösung zu finden, scheint ein Ding der Unmöglichkeit zu sein. Ein Kondensat der Probleme der Viertel zeigen das Drogenhilfszentrum Abrigado (das noch bis voriges Jahr die einige Fixerstube im Lande war) und seine unmittelbare Umgebung.

Raoul Schaaf, Direktor des CNDS („Comité national de défense sociale“, die Trägerorganisation von Abrigado), ist sich der Besorgnis, die das Zentrum bei der Bevölkerung hervorruft, bewusst. Er weist darauf hin, dass es in Bonneweg noch andere soziale Einrichtungen gibt wie z.B. die „Vollekskichen“, um nur diese zu nennen. Das Viertel weise eine Konzentration an sozialen Einrichtungen auf, die vielleicht nicht ganz gesund ist, sagt er. Bei aller Kritik an der Fixerstube müsse man jedoch zwei Punkte beachten.

Erstens: Alles, was vor seiner Tür geschehe, gehe Abrigado im Grunde genommen nichts an. Die Angestellten  würden natürlich mitkriegen, was draußen los sei, ihre Befugnisse beschränkten sich allerdings nur auf das Drogenhilfszentrum selbst. „Wir intervenieren nur bei gesundheitlichen Notfällen außerhalb unserer Mauern.“ Schaaf ist sich allerdings bewusst, dass auch Sozialarbeit in der direkten Umgebung von Abrigado notwendig ist. Im Budget 2021 sei die Schaffung einer Streetworker-Stelle vorgesehen. Dieser soll sich um die „Kundschaft“ auf der Straße kümmern.

(…) die Gemeinde versucht, dort ein Problem zu lösen, das ein landesweites ist

Raoul Schaaf, Direktor des „Comité national de défense sociale“

CNDS-Direktor Raoul Schaaf
CNDS-Direktor Raoul Schaaf Foto: Editpress/Alain Rischard

Zweitens, und das sei der springende Punkt, der schon öfters von der Politik thematisiert worden sei: „Man muss einfach feststellen, dass die Gemeinde versucht, dort ein Problem zu lösen, das ein landesweites ist“, sagt Schaaf. Obwohl die Regierung eine Dezentralisierung des sozialen Angebots bereits in ihrem Koalitionsabkommen mit der Schaffung von Fixerstuben in Esch und Ettelbrück vorsah, wurde erst im vorigen Sommer „Contact Esch“ eröffnet.

„Vor der Tür treffen sich drei Gruppen von Leuten. Da gibt es die Dealer, die auf Kundenfang gehen, die Leute, die dort ihren Stoff einkaufen, aber nicht ins Abrigado selbst gehen, und diejenigen Abhängige, die das Zentrum zwar benutzen, aber obdachlos sind. Jetzt, in der Covid-19-Zeit, sollen die Leute zum Eigenschutz zu Hause bleiben. Aber für viele unserer Kunden ist das einfacher gesagt als getan. Wohin soll man denn gehen, wenn man kein Zuhause hat?“  Die Polizei interveniere regelmäßig vor Ort, nehme aber nur die richtigen Dealer mit, Abhängige, die zum Eigenbedarf dealen, würden in Ruhe gelassen. Es bringe eh nichts, diese festzunehmen. Dass die Bewohner des Viertels die Nase voll haben, verstehe er voll und ganz. Ein positiver Aspekt von Abrigado sei aber, dass jährlich etwa 500 benutzte Spritzen weniger auf der Straße landen. Corona-bedingt empfange das Zentrum zurzeit etwa 45 Drogenabhängige täglich. Vor der Krise waren es rund 200.  

Gesellschaft ohne Drogen? Unmöglich!

Um die angesprochenen Probleme in Bonneweg zu entschärfen, gibt es laut Schaaf nur zwei Möglichkeiten: Erstens müsse das soziale Hilfsangebot dringend dezentralisiert werden, und zweitens rät Schaaf dringend zu einer Entkriminalisierung aller Drogen, durch die wenigstens die Beschaffungskriminalität bekämpft werden könne. „Eine Gesellschaft ohne Drogen kriegen wir nicht hin“, ist Schaaf überzeugt.

Wie man im letzten Gemeinderat vor den Sommerferien feststellen konnte, sprachen sich aber nur „déi Lénk“ und die ADR für eine Liberalisierung aus. „Das geht uns doch nichts an“ scheine eine noch sehr verbreitete Meinung zu sein, bedauert Schaaf. Zusammen mit der Universität sei den Gemeinden vorgeschlagen worden, gemeinsame Präventionsprogramme auf kommunaler Ebene anzubieten. „Die Zahl der interessierten Gemeinden war sehr übersichtlich, um es mal diplomatisch auszudrücken“, sagt Schaaf.

Nicht nur Drogenprobleme

Einer Entkriminalisierung der Drogen stehen allerdings nicht alle Sozialarbeiter so aufgeschlossen gegenüber wie Raoul Schaaf. Djillali Mokeddem arbeitet als Streetworker bei Inter-Actions und kennt die Probleme im Viertel sehr gut. Eine Freigabe der Drogen würde seines Erachtens nur in einem strikt geregelten Rahmen Sinn ergeben.

Auf die Probleme im Viertel angesprochen, weist er darauf hin, dass Drogen sehr wohl ein großes Problem sind, aber nicht das einzige. Es seien vor allem die Begleiterscheinungen wie Prostitution, Aggressivität und Gewalt, die Außenstehenden Probleme bereiteten. Oft käme es zu Streitereien zwischen Dealern und Kunden, weil z.B. der Stoff nicht gut sei oder Erstere Geld einstecken, aber keine Ware liefern würden. Zudem gebe es seit einiger Zeit immer mehr Mittelsmänner, die kleine Mengen verkauften. „Die Drogen sind aber beileibe nicht das einzige Problem“, sagt Mokeddem. „Es gibt in dem Viertel viele Obdachlosen, und die meisten unter ihnen sind nicht von illegalen Drogen abhängig. Viele haben aber ein Alkoholproblem.“

Und das ist ja bekanntlich eine ganz legale Droge.

Drogenersatzprogramm

Kurz vor Beginn der Corona-Krise startete Abrigado ein Pilotprojekt: Ein medizinischer Bereitschaftsdienst zusammen mit einem Drogenersatzprogramm („substitution à bas seuil“), wo Heroinsüchtige und Kokainabhängige Ersatzmedikamente erhalten. Seit dem Ende des „Confinement“ wurde aus dem Pilotprojekt ein permanentes Angebot. 70 Leute nahmen es bereits in Anspruch, 30 Abhängige profitieren jetzt regelmäßig davon. Die Möglichkeit zum Drogenersatz mache die Leute rezeptiver für Therapieangebote, sagt Raoul Schaaf. Zwei Teilnehmer des Programms haben sich bereits dazu entschieden.

„A vos côtés“-Projekt

Im Gemeinderat vom 13. Juli wurde ein Projekt der Vereinigung Inter-Actions vorgestellt, das laut Paul Galles (CSV) einen Paradigmenwechsel in der Sozialpolitik darstelle. „A vos côtés“ heißt das neue Projekt, an dem momentan noch gearbeitet wird. „Es geht darum, den Einwohnern des Bahnhofsviertels ein Sicherheitsgefühl durch mehr Präsenz zu vermitteln.“ Inter-Actions will mit diesem Projekt den „Garer“ Einwohnern zur Seite stehen wie z.B. älteren Personen zum Einkaufen begleiten, was diese sich angesichts der Probleme im Viertel alleine vielleicht nicht mehr trauen. Inter-Actions wird sechs Leute aus seinem Street-Sport-Programm für dieses Projekt rekrutieren, erklärt Direktor Roger Faber. Geleitet werde die Gruppe von einem Erzieher oder Sozialarbeiter. Anstatt wie die Polizei den Problemen im Viertel repressiv zu begegnen, versucht Inter-Actions einen präventiven Weg zu gehen, wofür die Mitarbeiter des Projekts eine Ausbildung in Mediation und Anti-Aggressionsverhalten erhalten.
Obwohl sie eine Art Uniform tragen werden, erhalten sie keinerlei polizeilichen Funktionen. Tom Krieps (LSAP) warnte allerdings bei der Vorstellung des Projekts – die diesbezügliche Konvention wurde vom Gemeinderat einstimmig gutgeheißen –, dass es Konfliktsituationen geben werde. Die „A vos côtés“-Leute hätten die gleichen Rechte, sich irgendwo einzumischen, wie jeder andere auch. Man solle sich nichts vormachen, denn es werde immer Situationen geben, bei denen es eskalieren könne. Alle Parteien begrüßten aber die Tatsache, dass es ein Projekt sei, das den Bewohnern des Viertels zugutekomme und den Problemen des Viertels präventiv begegnen will. Laut Roger Faber soll das Projekt Mitte Februar kommenden Jahres startklar sein.

de Schmatt.
27. Juli 2020 - 15.59

Nein , Luxemburg Stadt kann nicht die Probleme des ganzen Landes lösen, die Hauptstadt kann froh sein, wenn sie die Probleme auf ihrem Territorium in den Griff bekommt.

Nomi
27. Juli 2020 - 14.26

Haalt dach op un den Symptomer ze spillen an gidd dach endlech un d'Ursaachen runn !