Samstag25. Oktober 2025

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InterviewLuxemburg im 2. Weltkrieg: Was sich hinter der neuen Plattform „ww2.lu“ verbirgt

Interview / Luxemburg im 2. Weltkrieg: Was sich hinter der neuen Plattform „ww2.lu“ verbirgt
Fotos wie dieses gibt es auf ww2.lu zu entdecken: Es zeigt die zwischen Ende August und Ende Oktober 1941 zerstörte große Synagoge von Luxemburg Copyright: Photothèque de la ville de Luxembourg, Pierre Bertogne

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Luxemburg im Zweiten Weltkrieg – darum geht es in der neuen Online-Ausstellung „Luxemb(o)urg in the Second World War“ des „Centre for Contemporary and Digital History“ der Universität Luxemburg. Doch wie entstand das Projekt? Und warum braucht es digitale Geschichtsvermittlung? Interview mit dem Projektleiter Christoph Brüll.

Tageblatt: Christoph Brüll, am Donnerstag lancierte das „Centre for Contemporary and Digital History“(C²DH) die Plattform „ww2.lu. Luxemb(o)urg in the Second World War“: Wer die Website besucht, entdeckt Luxemburgs Kriegsvergangenheit. Wie kam es zu dem Projekt?

Christoph Brüll: Die Initiative ging vom damaligen Staatsminister Xavier Bettel aus; das Projekt wurde durch eine staatliche Konvention im Jahr 2021 beschlossen. Nachdem das C²DH bereits Online-Angebote zu Luxemburg im Ersten Weltkrieg erarbeitet hatte, lag es auf der Hand, dasselbe für den Zweiten Weltkrieg zu leisten.

Pünktlich zum 80. Jahrestag der Ardennenoffensive gehen Sie online.

Das ist Zufall! Wir arbeiten seit 2022 intensiv an der Plattform. In den Prozess waren zahlreiche Mitarbeitende aus dem Institut sowie Kulturinstitutionen beteiligt – darunter das Nationalarchiv, die „Bibliothèque nationale du Luxembourg“, das „Centre national de littérature“, das „Centre national de l’audiovisuel“ und das „Musée national de la résistance et des droits humains“ (MNR). Wir greifen demnach auf vielfältige – und vor allem visuelle – Quellen zu. Schriftdokumente finden Sie auf der Website weniger, dafür aber Filmmaterial, besonders aus den Jahren 1944/1945. Hinzu kommt unser Katalog, für den über dreißig Fachleute Kurzbeiträge verfasst haben.

Was wollen Sie mit der Online-Ausstellung erreichen?

Wir verfolgen mehrere Ziele. Eines davon ist es, zu offenbaren: In den vergangenen Jahren ist viel in der Erforschung des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg passiert. Es werden Themen in den Vordergrund gerückt, die zuvor weniger Beachtung fanden.

Die da wären?

Zum Beispiel die vergessenen Opfer des Nationalsozialismus, die auch das MNR derzeit in der Sonderausstellung „Victimes oubliées“ (noch bis zum 23. Dezember, d.Red.) aufgreift. Ferner werden das Verhalten der Justiz, lokaler Behörden, aber auch die Erfahrungen von Angehörigen der Zwangsrekrutierten in Luxemburg verstärkt untersucht. In der Online-Ausstellung greifen wir weitere, eher unbekanntere Orte und Sujets auf: Tourismus in Luxemburg zu Zeiten der Annexion oder die Stadtbebauungspläne der NS für den Kirchberg, die in der Form nie umgesetzt wurden, sich aber in der heutigen Gestaltung des Kirchbergs widerspiegeln.

In den vergangenen Jahren ist viel in der Erforschung des Zweiten Weltkriegs in Luxemburg passiert. Es werden Themen in den Vordergrund gerückt, die zuvor weniger Beachtung fanden.

Christoph Brüll, Projektleiter ww2.lu

Klassiker wie die Geschichte der „Gëlle Frau“ tauchen nicht auf?

Doch, wir behandeln auch die gängigen Themen rund um die Besatzungszeit – die Judenverfolgung, die NS-Verwaltung, die Entscheidung zum Exil, die luxemburgische Beteiligung am Widerstand im Ausland usw. –, nur eben in einem anderen Licht. Uns war zudem wichtig, hervorzuheben: Die Positionen der Personen, die damals in Luxemburg lebten, veränderten sich mit der Zeit. So versuchten anfangs einige, mit der neuen Situation umzugehen, beteiligten sich später jedoch am Widerstand.

Für wen ist die Ausstellung primär gedacht?

Das Angebot ist leicht zugänglich und richtet sich explizit auch an ein junges Publikum. Es braucht kein großes Vorwissen, um sich die Inhalte zu erschließen. Manche Rubriken laden zum Spiel ein – beispielsweise stoßen Sie an einer Stelle auf die luxemburgische Abgeordnetenkammer, wie sie die Widerständler im Jahr 1945 vorgefunden haben, nämlich unaufgeräumt und chaotisch. Sie können für Ordnung sorgen, indem Sie verschiedene Quellen anklicken, die wiederum auf andere Inhalte verweisen. Wer sich intensiv mit Luxemburg im Zweiten Weltkrieg beschäftigt, kommt jedoch auch auf seine Kosten und findet sicherlich Gefallen an den zahlreichen Quellen und Archivvideos, die wir neu und teilweise kreativ – etwa in Form eines Cartoons, nachgestellter Fotos oder einer interaktiven Karte – aufgearbeitet haben.

Christoph Brüll im Interview mit dem Tageblatt
Christoph Brüll im Interview mit dem Tageblatt Foto: Editpress/Hervé Montaigu

Eine Flexibilität, die für digitale Ausstellungen spricht?

Das transmediale Storytelling, das digitale Ausstellungskonzepte bieten, ermöglicht, andere Publika anzusprechen als ein Buch. Durch die Einbindung von Videos, Ton und die Erstellung eines Farbkonzepts erhält das Projekt überdies eine ästhetische Dimension. Die meisten Websites zum Zweiten Weltkrieg sind schwarz-weiß und rot, als Symbol des geflossenen Blutes. Wir wollen dem etwas entgegenhalten. Auch im Zweiten Weltkrieg war der Himmel blau – um es plakativ auszudrücken. Wir nutzen keine grellen Farben, versuchen aber, Akzente zu setzen. Eine digitale Ausstellung ist darüber hinaus langlebiger und kann weltweit besucht werden – wir sind, in Bezug auf andere digitale Projekte, immer wieder überrascht, von wo aus Menschen auf unsere Websites zugreifen. Auch erlaubt die Online-Schau fortlaufende Ergänzungen – und solche sind für dieses Projekt geplant.

Inwiefern schaden solche Online-Ausstellungen Museen?

Es ist falsch, beides in ein Konkurrenzverhältnis zu setzen. Materielle und digitale Ausstellungen können sich ergänzen – ich verstehe das eher als ein Zusammenspiel, in unserem Fall zum Beispiel mit dem MNR. In der Online-Ausstellung sind Quellen vermerkt, die auf das Museum verweisen und die Betrachtenden anspornen, die dortige Ausstellung zu besuchen. Wir sind ein Zentrum für zeitgenössische und digitale Geschichtsforschung – für uns sind die digitale Aufarbeitung historischer Themen sowie ihre Vermittlung demnach ein wichtiges Werkzeug.

Wenn Sie von Vermittlung sprechen, drängt sich die Frage auf, wie präsent der Zweite Weltkrieg für die jüngsten Generationen noch ist.

Das Thema ist meiner Erfahrung nach noch allgegenwärtig an Luxemburgs Schulen. Ab Januar wollen wir besondere Veranstaltungen für das Unterrichtswesen einführen, u.a. Fortbildungen für das Lehrpersonal und Gruppenführungen durch die Online-Ausstellung. Der Besuch von Online-Ausstellungen wird zu Unrecht als individuelles Erlebnis wahrgenommen, dabei können sie durchaus gemeinsam entdeckt werden. Wir zeigen den Lehrkräften, wie sie die Website mit ihrer Klasse nutzen können.

Und was ist Ihr persönlicher Höhepunkt, wenn Sie die Website aufrufen?

Ganz klar: die visuellen Aspekte der Schau. Das ist allgemein etwas, wofür wir bis dato die meisten positiven Rückmeldungen erhalten haben. Dahinter steckt die anspruchsvolle Arbeit mehrerer Mitarbeitenden des Media-Teams der Fakultät und meiner Kollegin Muriel van Ruymbeke. Insgesamt waren die vergangenen drei Jahre eine aufregende Zeit, zumal es einige Personalwechsel gab. Am Ende hat alles gepasst und auch die Zusammenarbeit mit den Kulturinstitutionen lief reibungslos.

Die Website ww2.lu ist bis auf Weiteres unbegrenzt und frei zugänglich.